Samstag, Oktober 12

Zwischenfälle mit den Philippinen und Vietnam zeigen, dass die Volksrepublik nicht locker lässt. Peking wendet immer mehr Gewalt an.

Die Vorwürfe Vietnams sind happig: Chinesische Beamte hätten ein vietnamesisches Fischerboot in der Nähe der Paracel-Inseln gestoppt und die Fischer mit Eisenstangen verprügelt. Drei Besatzungsmitglieder sollen Knochenbrüche davongetragen haben. Vietnam sei äusserst besorgt über das brutale Verhalten der chinesischen Strafverfolgungsbehörden, sagte eine Regierungssprecherin vergangene Woche in Hanoi. Man wehre sich entschieden dagegen.

Das sind ungewöhnliche Töne aus Hanoi. Denn im Gegensatz zu den Philippinen, welche chinesische Aktionen im Südchinesischen Meer regelmässig veröffentlichen und anklagen, versucht Vietnam den Streit mit dem grossen Nachbarn auf diplomatischem Weg zu lösen.

Nach chinesischer Darstellung haben sich seine Beamten korrekt verhalten und es sei zu keinen Verletzten gekommen. Rhetorische Schützenhilfe erhielt Hanoi aus Manila. Man verurteile aufs Schärfste das «gewaltsame und illegale Vorgehen» der chinesischen Behörden, schreibt der philippinische Berater für nationale Sicherheit Eduardo Ano in einer Erklärung.

Die Philippinen erheben in den Paracel-Inseln keinen Anspruch. Diese werden vollständig von China kontrolliert, seit es 1974 (Süd-)Vietnam von dort gewaltsam vertrieben hat. Hanoi beansprucht die Inseln aber bis heute.

Vietnam und die Philippinen nähern sich an

Die Philippinen und Vietnam haben überlappende Ansprüche auf die weiter südlich gelegenen Spratly-Inseln. Dennoch kooperieren Hanoi und Manila zunehmend. Der ständige Druck Pekings bringe die beiden Länder zusammen, sagt der ehemalige Analyst der philippinischen Marine, Vincent Kyle Parada, der gegenwärtig in Singapur eine Weiterbildung absolviert.

Er verweist auf gemeinsame Manöver der Küstenwachen der beiden Länder. «Auf philippinischer Seite gibt es einen grossen Willen, die bilateralen Beziehungen zu Vietnam nicht zu stark von den überlappenden Ansprüchen in den Spratlys beeinträchtigen zu lassen», sagt Parada. «Das eigentliche Problem ist China.»

Im Juni kam es beim Second Thomas Shoal zu einem gewaltsamen Zwischenfall, bei dem ein philippinischer Soldat einen Finger verlor. Auf dem Riff haben die Philippinen einen Aussenposten auf einem alten Schiff, das dort auf Grund gesetzt wurde. Die chinesische Küstenwache behindert regelmässig die Nachschublieferungen am Second Thomas Shoal. Nach dem Zwischenfall im Juni schlossen beide Seiten ein Abkommen, dessen genauer Inhalt aber unbekannt ist.

Statt zu einer nachhaltigen Entspannung der Lage habe das Abkommen lediglich zu einer Verlagerung des chinesischen Drucks geführt, sagt Parada. So habe ein Raketenschnellboot der chinesischen Marine zwei Schiffe der philippinischen Fischereibehörden vom Half Moon Shoal vertrieben. Das ist aussergewöhnlich, weil sich die Marine der Volksbefreiungsarmee sonst im Hintergrund hält.

Im Südchinesischen wie im Ostchinesischen Meer gibt es bei territorialen Streitigkeiten eine Art ungeschriebenes Gesetz: Um eine Eskalationsspirale in einen Krieg zu vermeiden, setzen alle Seiten nur leicht bewaffnete Schiffe ihrer Küstenwachen oder Fischereibehörden ein. Die Kriegsmarinen übernehmen Überwachungsaufgaben und markieren allenfalls Präsenz. Sie bleiben aber im Hintergrund und greifen nicht direkt ins Geschehen ein. Das chinesische Raketenschnellboot bricht mit dieser Tradition.

Das Half Moon Shoal befindet sich wie das Second Thomas Shoal in der ausschliesslichen Wirtschaftszone der Philippinen. China beansprucht den Grossteil des Südchinesischen Meeres mit der Nine-Dash-Line für sich. Diesen Anspruch hat ein internationales Schiedsgericht 2016 für ungültig erklärt. Trotzdem hat Peking in den letzten Wochen zusätzlich auch am Sabina Shoal und am Scarborough Shoal philippinische Schiffe und Flugzeuge bedrängt.

Peking dehnt seine Macht aus

Es sei kein Zufall, dass Peking gerade an diesen drei Orten Druck aufsetze, sagt Parada. Beim Sabina Shoal wolle China verhindern, dass die Philippinen Gasvorkommen abbauten. Das Half Moon Shoal sei gross genug, um es zu einer künstlichen Insel aufzuschütten und mit einer Landebahn zu versehen, wie es Peking in den Spratly-Inseln bereits mit drei Inseln getan habe. Und von Scarborough – das China seit 2012 kontrolliert, aber bisher nicht ausgebaut hat – könnte man die Einfahrt in die Bucht von Manila kontrollieren, wo sich das Hauptquartier der philippinischen Marine befindet.

All diese Riffe sind nur wenige Dutzend Kilometer von den philippinischen Hauptinseln entfernt. «Wenn es Peking schafft, an diesen Standorten eine feste Präsenz aufzubauen, kann es die Bewegungsfreiheit der philippinischen Marine nach Belieben einschränken», erklärt Parada das Schreckensszenario für Manila.

Die philippinische Taktik, alle chinesischen Übergriffe zu dokumentieren und öffentlich zu machen, habe an Effektivität eingebüsst, kritisiert der Analyst. Manila habe zwar viel rhetorische und diplomatische Unterstützung erhalten. «Aber wenn sich die Philippinen nicht auch militärisch wehren können, erhöht China stetig den Druck.»

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