Mittwoch, November 20

Mit dem Ukraine-Krieg hat das Satelliteninternet eine geopolitische Dimension erhalten. China hat grosse Pläne. Aber auch andere Akteure beteiligen sich am Wettlauf.

Die amerikanische Firma SpaceX setzt im Weltraum Massstäbe. Seit 2019 hat das von Elon Musk gegründete Unternehmen mehr als 6500 Kommunikationssatelliten im erdnahen Weltraum ausgesetzt. Und wöchentlich kommen Dutzende hinzu. Die auf niedrigen Umlaufbahnen fliegenden Satelliten bringen Internet in Regionen, in denen es keinen terrestrischen Empfang gibt.

Das Starlink-Netzwerk wird laut Firmenangaben inzwischen von mehr als vier Millionen Kunden in über hundert Ländern genutzt. Noch hat Elon Musk wenig ernstzunehmende Konkurrenz. Neben Starlink ist nur das zur französischen Eutelsat-Gruppe gehörende OneWeb in Betrieb.

Dabei wird es aber nicht bleiben. Überall auf der Welt gibt es derzeit Bestrebungen, ähnliche Satellitenkonstellationen zu errichten. Nimmt man die Ankündigungen zum Nennwert, könnten bald Zehntausende von Kommunikationssatelliten um die Erde kreisen. Was sich da anbahnt, ist ein neuer Wettlauf im Weltraum. Vordergründig geht es dabei um wirtschaftliche Interessen. Tatsächlich geht es aber um viel mehr. Der Ausgang dieses Wettlaufs könnte die Geopolitik verändern.

China hat grosse Pläne, die noch am Anfang stehen

Vor allem China ist bestrebt, sich eine gute Ausgangsposition zu verschaffen. In der Volksrepublik gibt es Pläne für drei voneinander unabhängige Megakonstellationen, die jeweils aus mehr als zehntausend Satelliten bestehen sollen. Peking hat die Bedeutung des Satelliteninternets relativ spät erkannt. Umso mehr drängt die Regierung nun, den Vorsprung von SpaceX aufzuholen.

Ein erster Schritt ist gemacht. Im August setzte eine chinesische Rakete die ersten 18 Satelliten der Spacesail-Konstellation im erdnahen Weltraum aus. Im Oktober folgten 18 weitere. Bis 2027 sollen 1296 Satelliten einsatzbereit sein und für eine globale Abdeckung sorgen. Langfristig ist ein Ausbau der Konstellation auf 14 000 Satelliten geplant. Das wäre mit dem Starlink-Netzwerk vergleichbar, das auf 12 000 Satelliten ausgebaut werden soll.

Dass China aufs Tempo drückt, hat nicht zuletzt mit dem Ukraine-Krieg zu tun. «Der Ukraine-Krieg hat gezeigt, wie wichtig es ist, vernetzt zu sein», sagt Sarah Wiedemar. Wiedemar ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Center for Security Studies der ETH Zürich und beschäftigt sich damit, wie kommerzielle Akteure zur Militarisierung des Weltraums beitragen.

Am Tag der russischen Invasion sabotierten staatliche Hacker die Verbindung zu einem kommerziellen Satelliten, den die ukrainischen Sicherheitskräfte nutzten. Sie mussten auf andere Kanäle ausweichen. Später halfen die Satelliten von Elon Musk, die unterbrochene Kommunikation insbesondere in Frontnähe wieder herzustellen.

Laut Berichten vom Frühjahr haben auch die russischen Invasoren Starlink genutzt, um auf ukrainischem Hoheitsgebiet zu kommunizieren. Dafür sollen Tausende von Starlink-Antennen ins Land gebracht worden sein. Für Wiedemar ist deshalb klar: «Der zivile und der militärische Nutzen der kommerziellen Satellitensysteme sind nicht voneinander zu trennen.»

In China arbeiten private Firmen und der Staat Hand in Hand

Wie die USA setzt auch China beim Satelliteninternet auf private Initiative. Die Satellitennetzwerke sollen von kommerziellen Akteuren entwickelt werden. Dahinter stehen jedoch staatliche Institutionen. So wird die Spacesail-Konstellation von einer Firma gebaut, die von der Stadtregierung von Schanghai gefördert wird. Noch offensichtlicher ist der staatliche Einfluss beim geplanten Satellitennetzwerk Guowang. Die zuständige China Satellite Network Group gehört dem Staat.

Die militärische Bedeutung der Satellitennetzwerke liegt spätestens seit dem Beginn des Ukraine-Krieges auf der Hand. Peking sieht in ihnen aber auch ein Instrument, um seine Soft Power zu stärken. Seit 2015 investiert China im Rahmen des Projekts «digitale Seidenstrasse» in die digitale Infrastruktur in Entwicklungsländern. Vor allem auf dem afrikanischen Kontinent sind die terrestrischen Kommunikationsnetze fest in chinesischer Hand. Ein chinesisches Satellitennetzwerk wäre die logische Ergänzung.

China beobachtet mit Argwohn, dass SpaceX Marktanteile in Afrika gewinnt. Laut «Business Insider Afrika» ist Starlink gegenwärtig in 13 afrikanischen Ländern zu empfangen. Schon deshalb ist Peking bestrebt, möglichst schnell ein chinesisches Pendant zu lancieren. Die Regierung rechnet sich aus, dass die bereits vorhandene Infrastruktur ein Anreiz für afrikanische Länder ist, auch beim Satelliteninternet auf chinesische Anbieter zu setzen. Das wäre vor allem für autokratische Länder attraktiv. Denn chinesische Anbieter wären wohl eher bereit als SpaceX, Inhalte zu zensieren.

China braucht mehr und billigere Raketen

Ob diese Strategie aufgeht, ist offen. Starlink hat einen Vorsprung von fünf Jahren. Diesen aufzuholen, erfordert erhebliche Anstrengungen. Die Satellitenfabrik in Schanghai kann derzeit 300 Spacesail-Satelliten pro Jahr herstellen. SpaceX produziert im gleichen Zeitraum zwischen 1000 und 1500 Satelliten.

Der eigentliche Flaschenhals sind jedoch nicht die Satelliten, sondern die Raketen. China ist nach den USA das Land mit den meisten Raketenstarts. Letztes Jahr starteten 67 Raketen in den Weltraum, dieses Jahr sollen es mehr als 100 werden. Das ist eine beeindruckende Steigerung, die Chinas Ambitionen im Weltraum unterstreicht. Aber es ist zu wenig, um zwei oder gar drei Megakonstellationen mit je 10 000 Kommunikationssatelliten zu errichten.

Es gibt noch ein anderes Manko: Chinas Raketen sind nicht wiederverwendbar. SpaceX kann seine Starlink-Satelliten nur deshalb zu unschlagbar günstigen Preisen in den Weltraum bringen, weil die erste Stufe der Falcon-9-Raketen bis zu 20-mal verwendet werden kann. Und die Preise werden weiter fallen. Mit dem Starship steht bereits ein Nachfolger für die Falcon 9 in den Startlöchern. Diese Schwerlastrakete ist so leistungsfähig, dass sie pro Start bis zu 100 Starlink-Satelliten in den Weltraum befördern kann. Zudem soll die gesamte Rakete wiederverwendet werden.

Dem hat China ebenso wenig entgegenzusetzen wie der Rest der Welt. Immerhin hat die chinesische Regierung das Problem erkannt. Seit einigen Jahren ermutigt es private und staatliche Raumfahrtunternehmen, wiederverwendbare Raketen zu entwickeln. Erste Erfolge zeichnen sich ab. Im September demonstrierte die private chinesische Firma Landspace die vertikale Landung einer Test-Raketenstufe. Im nächsten Jahr soll die Rakete namens Zhuque 3 erstmals in den Weltraum fliegen.

Der Hauptauftragnehmer des chinesischen Weltraumprogramms, die China Aerospace Science and Technology Corporation, verfolgt ebenfalls Pläne für eine wiederverwendbare Rakete. Wie «Ars Technica» kürzlich enthüllt hat, sieht sie wie ein Klon des Starship aus. Es wäre nicht das erste Mal, dass China versucht, amerikanische Raketentechnologie zu kopieren. Die Rakete mit dem Namen Langer Marsch 9 soll 2033 das erste Mal fliegen.

Verschiedene Akteure konkurrieren um Radiofrequenzen

So lange will und kann China nicht warten. Die Weichen für die zukünftige Nutzung des erdnahen Weltraums werden heute gestellt. Die Frequenzen für die Satellitenkonstellationen werden von der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) auf der Basis des Prinzips «first come, first served» vergeben. Wer zu spät kommt, muss damit rechnen, leer auszugehen.

Diese Regelung lädt dazu ein, Frequenzen vorsorglich reservieren zu lassen. Das hat auch China getan. Allerdings hat die ITU Regeln erlassen, die einer Lagerhaltung von Radiofrequenzen vorbeugen sollen. So muss der Antragsteller spätestens nach sieben Jahren den ersten Satelliten im Weltraum aussetzen. Sonst verfällt die Lizenz. Danach hat er weitere sieben Jahre Zeit, die Konstellation fertigzustellen.

China hat also ein Interesse daran, möglichst schnell möglichst viele Satelliten im erdnahen Weltraum zu stationieren. Das gilt allerdings auch für andere Akteure. So hat die amerikanische Firma Amazon im letzten Jahr zwei Prototypen ihrer Kuiper-Satelliten ins Weltall geschossen. 3236 weitere sollen folgen. Auch die EU bringt sich nach schwierigen Verhandlungen in Stellung. Im Oktober hat die
Europäische Kommission einem europäischen Firmenkonsortium den Auftrag erteilt, bis 2030 eine aus 290 Satelliten bestehende Konstellation namens Iris2 zu entwickeln.

Die Ziele von China, der EU oder von kommerziellen Anbietern unterscheiden sich voneinander. Eines haben aber alle Akteure gemein: Sie wollen verhindern, dass das Wettrennen im erdnahen Weltraum zu einem Sololauf für SpaceX wird.

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