Montag, Oktober 21

Peking hat massiv in aufstrebende Wirtschaftsnationen investiert – und erwartet, dass sie seine weltpolitischen Ambitionen stützen. Dieser Plan trifft nun auf Schwierigkeiten, sagt der Asien-Experte James Crabtree.

Herr Crabtree, China ist nach den USA das Land mit der zweitgrössten Soft Power, also nichtmilitärischer Einflussmöglichkeit. Überrascht Sie das?

Nein. Wir im Westen betrachten China aus der Brille der geopolitischen Rivalität. In Südostasien, Südasien, Afrika und Lateinamerika wird China als eine Mischung von Chancen und Risiken gesehen, und oft überwiegen die Chancen. Politiker in Europa und den USA sollten China öfter mit den Augen aufstrebender Wirtschaftsnationen betrachten.

Was würden sie sehen, wenn sie diese Betrachtungsweise einnähmen?

Länder in Afrika oder Südostasien warten nicht einfach und hoffen, dass China sie rettet. Sie sind keine Vasallenstaaten. Diese Länder verfolgen eigene aussenpolitische Strategien, die oft darin bestehen, mit verschiedenen grossen Mächten in ihrer Region gute Beziehungen zu pflegen. Für Lateinamerika ist China beispielsweise ein nützlicher Ausgleich zur Dominanz der USA. Für Südasien ist China ein guter Ausgleich zu Indien. Natürlich stehen China, Russland und Indien in einem Wettstreit darum, wer die Anliegen des globalen Südens besser zur Sprache bringen kann.

Wer gewinnt diesen Wettstreit?

China war in den letzten Jahren ziemlich erfolgreich darin, seinen Einfluss in diesen Ländern auszuweiten. Peking hat sich das Wohlwollen des globalen Südens erkauft, in dem es enorm viel Geld für Infrastrukturbauten ausgegeben hat. China ist ein unkomplizierter Partner, der, wie es so schön heisst, Flughäfen baut, statt Vorträge zu halten.

Einige Länder werden ihre Kredite für die Infrastrukturprojekte nie zurückzahlen können. Warum ist China bereit, dieses Risiko zu tragen?

Teilweise aus Eigennutz. China sucht Zugang zu Ressourcen in diesen Ländern. Im Gegenzug für Kredite zählt es auf deren Unterstützung in internationalen Gremien, wie beispielsweise der Uno. Aber es geht China auch darum, eine Gruppe von Ländern zu schaffen, die ein Gegengewicht zu den USA und den anderen westlichen Demokratien bilden können.

Chinas Wirtschaft schwächelt. Was heisst das für Chinas weltpolitische Ambitionen?

Das Wirtschaftsmodell Chinas hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Die Immobilien- und Infrastrukturblasen sind geplatzt. Nun haben Chinas Wirtschaftsplaner entschieden, dass die Investitionen in Hightech-Industrien fliessen sollen. Chinesische Firmen produzieren nun Roboter, Solarzellen, Flugzeuge und Elektroautos – die traditionell in den USA, Europa, Japan, Südkorea und zu einem gewissen Grad auch in Ländern wie Malaysia hergestellt wurden. Darauf soll der zukünftige Wohlstand des Landes gründen. Die Investitionen sind jedoch so hoch, dass viel mehr produziert wird, als der heimische Markt benötigt. Der Rest muss exportiert werden. Der Westen befürchtet nun, dass seine Märkte mit chinesischen Hightech-Exporten überflutet werden – und erhebt Zölle. China wird jetzt versuchen, sie im globalen Süden zu verkaufen.

Was ist das Problem?

China wird dort auf dieselben Schwierigkeiten stossen wie im Westen. Auch in vielen Ländern des globalen Südens wollen die Politiker zunehmend verhindern, dass sie mit günstigen chinesischen Produkten überschwemmt werden. Denn auch diese Länder bauen teilweise eine eigene Hightech-Industrie auf.

Verstehe ich Sie richtig: China produziert und exportiert hochwertige Güter, und das sorgt für Spannungen mit jenen Ländern, die China eigentlich auf seiner Seite wissen will.

Ja, und das ist neu. Chinas Aufstieg war lange vorteilhaft für den globalen Süden. China stellte Investitionen zur Verfügung und gute, günstige Produkte. Nun bedroht Chinas Aufstieg die bereits existierenden Hightech-Industrien in Thailand, Malaysia, Indonesien, dem Nahen Osten oder Lateinamerika. Viele dieser Länder haben jüngst Zölle auf chinesische Ware erhoben, weil sie befürchten, dass die chinesischen Produkte entweder von staatlichen Subventionen profitieren oder einen so starken Kostenvorteil haben, dass die heimischen Produkte nicht mithalten können.

Die Sorge der EU, dass die chinesischen E-Autos nur dank hohen Subventionen so günstig sind, ist also berechtigt?

Ja. Aber europäische Elektroautos erhalten auch Subventionen. Die Herausforderung besteht darin, dass chinesische E-Autos selbst ohne Subventionen einen so hohen Skalen- und Kostenvorteil geniessen, dass europäische Autos einfach nicht mehr wettbewerbsfähig sind.

Bringen also die Zölle etwas?

Die Politiker in den USA und Europa und teilweise auch in Ländern wie Indonesien sind zum Schluss gekommen, dass es sonst nichts mehr gibt, was sie tun können, um ihre heimischen Industrien zu schützen. Ich war Anfang Jahr in Peking und habe mit eigenen Augen gesehen: Die chinesischen Elektrowagen sind grossartig. Sie haben dieselbe Qualität wie ein europäisches Auto, man bekommt sie aber für die Hälfte oder einen Drittel des Preises. Für Chinesen heisst das, dass sie wohl keine europäischen Autos mehr kaufen werden. Die europäischen Autohersteller müssen sich darauf einstellen, dass der gesamte chinesische Markt einbricht – ihr wichtigster Markt.

China wehrt sich gegen die Strafzölle aus dem Westen mit Gegenzöllen. Was tut China, wenn Länder des globalen Südens ebenfalls Zölle erheben?

China wird seinen Wirtschaftskurs nicht ändern. Die Kommunistische Partei Chinas zieht einen grossen Teil ihrer Legitimation daraus, dass die Wirtschaft wächst. Um die Spannungen mit den Ländern des globalen Südens zu mindern, bleiben den Machthabern in Peking die altbewährten Mittel wie die Diplomatie, Investitionen oder die Zusammenarbeit im Rahmen der neuen Seidenstrasse. China wird lernen müssen, mit wachsender Unzufriedenheit in diesen Ländern umzugehen.

Kenner der Geopolitik Asiens

PD

James Crabtree, Autor und Wissenschafter

James Crabtree forscht derzeit bei den Denkfabriken Asia Society Policy Institute, der Asia Society Schweiz und dem European Council on Foreign Relations. Bekannt ist der Brite als Autor des Buches «The Billionaire Raj», das die indische Oberschicht beleuchtet. Crabtree war zudem Korrespondent für die «Financial Times». Zwischen 2007 und 2010 arbeitete er als Berater in der strategischen Einheit des britischen Premierministers unter Gordon Brown und Tony Blair.

Exit mobile version