Sonntag, September 29

Gallium und Germanium sind unerlässlich für westliche Technologie. Der Grossteil davon kommt aus China.

Der technologische Fortschritt des Westens hängt von China ab. Das mag seltsam klingen angesichts des fortwährenden Handelskonflikts zwischen westlichen Ländern und China. Es liegt jedoch vor allem an zwei chemischen Elementen: Germanium und Gallium.

Und 98 Prozent des weltweit produzierten Galliums kommen aus China. Bei Germanium sind es 60 Prozent.

Germanium wird für die Produktion von Computerchips gebraucht, die in Tausenden von elektronischen Alltagsgegenständen, Autos, Handys, Flugzeugen stecken. Gallium ist beispielsweise nötig für Handykameras, LED oder Glasfaserkabel. Beide Elemente besitzen militärische Bedeutung, weil sie zur Herstellung von Nachtsichtgeräten oder Drohnen dienen.

Wenn die chinesische Regierung will, kann sie also den technologischen Fortschritt des Westens stark ausbremsen und verteuern. Das machte das Regime in Peking den westlichen Regierungen und Unternehmen spätestens vor einem Jahr bewusst. Damals führte es Exportkontrollen für die beiden Elemente ein.

Westliche Unternehmen reagierten entsprechend nervös. Sie befürchten seither, dass in einem nächsten Schritt Ausfuhren untersagt werden könnten. Das wiederum würde die Produktion von Hightech-Gütern beeinträchtigen. Zahlreiche Firmen versuchen deshalb, Vorräte aufzubauen. Heute sind Gallium und Germanium in Europa doppelt so teuer wie noch vergangenen Sommer.

Bis jetzt scheinen die chinesischen Behörden die Exporte jedoch nur zu kontrollieren, ohne deren Ausfuhr zu verbieten. Cory Combs ist Rohstoff-Experte bei der Beratungsfirma Trivium China mit Sitz in Peking. Er sagt, bisher habe man keine Belege dafür gefunden, dass China Exportlizenzen verweigere. Doch dauere es drei bis vier Monate, bis eine Genehmigung erteilt werde. Das treibe die Kosten nach oben, sagt Combs. Und es sei vorstellbar, dass gewisse Gesuche absichtlich verschleppt würden.

Dank dem Kontrollregime erhält Peking wertvolle Informationen über die Lieferung an die westlichen Unternehmen. Exporteure müssen in ihren Gesuchen ans Handelsministerium unter anderem Verträge und Informationen zu den Importeuren und Endnutzern vorlegen.

Dass die chinesischen Behörden detaillierte Informationen zu den Endnutzern erhalten, schürt im Westen zusätzliche Angst. China könnte dereinst etwa die flächendeckenden Exportkontrollen durch gezielte Ausfuhrverbote für einzelne Firmen ersetzen. Damit würde die Produktion von Schlüsseltechnologien im Westen beeinträchtigt.

Die USA und Europa sind China ausgeliefert

Die Entscheider im Westen wissen um die Abhängigkeit von China bei Gallium und Germanium, aber auch anderen für Hochtechnologie wichtigen Rohstoffen. Sie versuchen, das Problem mit verstärkter Kooperation zu mildern. In Kanada nahm vergangene Woche eine Verarbeitungsstätte für seltene Erden, eine Gruppe von siebzehn ähnlichen Elementen, den Betrieb auf.

Kürzlich präsentierte die Minerals Security Partnership, eine Koalition aus vierzehn Ländern und der EU, eine Initiative zur Finanzierung von Bergbauprojekten. Damit soll die Abhängigkeit von China im Bereich von kritischen Rohstoffen verkleinert werden.

Doch bei Gallium und Germanium wissen die westlichen Politiker, dass es unmöglich ist, an der Abhängigkeit von China schnell etwas zu ändern. Gallium wird als Nebenprodukt bei der Herstellung von Aluminium gewonnen, Germanium fällt bei der Zinkproduktion an. Und China ist der weltweit grösste Produzent von Aluminium und der zweitgrösste Produzent von Zink.

Wollte man in den USA oder Europa grosse Mengen an Gallium oder Germanium herstellen, müsste zunächst eine Produktionskette für Aluminium beziehungsweise Zink aufgebaut werden. Das würde enorme Investitionen bedeuten, weshalb bisher niemand diesen Schritt ernsthaft in Erwägung gezogen hat. Zu unrentabel wäre das Ganze. Das dürfte sich erst bei einem chinesischen Ausfuhrverbot ändern.

In Deutschland könnte wieder Gallium hergestellt werden

Mit Blick auf Germanium versuchen die USA die Abhängigkeit von China zumindest so weit zu reduzieren, dass die Herstellung besonders kritischer Technologien unabhängig von China stattfinden könnte. Zu diesem Zweck hat die amerikanische Firma Umicore mit dem kongolesischen Bergbauunternehmen STL einen Vertrag geschlossen. Ab Ende dieses Jahres werden die Amerikaner in der Demokratischen Republik Kongo Germanium aus Bergbauabfällen von STL rezyklieren. Initiiert wurde das Projekt von der amerikanischen Regierung.

Bei Gallium gäbe es in Europa sogar Produktionsmöglichkeiten. In Grossbritannien und Ungarn mussten während der 2010er Jahre Produktionsstätten schliessen, weil die Galliumpreise zu niedrig waren. In Deutschland produzierte man das Element bis 2016, bevor es ebenfalls zu unrentabel wurde.

Seither hat sich der Preis für Gallium verdreifacht. Siyamend al-Barazi von der Deutschen Rohstoffagentur (Dera) geht deshalb davon aus, dass die Galliumproduktion in Deutschland derzeit wieder rentabel wäre. Jedoch lassen sich deutliche Preisrückgänge aufgrund anhaltend hoher Produktion und Lagerbestände in China nicht ausschliessen.

Um die Galliumproduktion in Deutschland wieder zu aktivieren, brauchte es gemäss al-Barazi Investitionen von 10 bis 20 Millionen Euro. In Zeiten geopolitischer Spannungen ist das ein überschaubarer Betrag. Wichtiger als eine kurzfristige Produktionsaufnahme sei jedoch eine langfristige Perspektive, um auch bei niedrigen Galliumpreisen am Markt bestehen zu können.

Kontrollen weiterer Elemente könnten folgen

Der Westen wird aber bei kritischen Rohstoffen sowieso noch lange von China abhängig bleiben. Das kann sich Peking im Technologiekonflikt zunutze machen. Denn neben Gallium und Germanium gibt es weitere Rohstoffe, für die Peking Exportkontrollen bereits eingeführt hat oder noch einführen könnte. Im vergangenen Oktober etwa erliess die chinesische Regierung Kontrollen für Grafit, das für die Herstellung von Elektroautobatterien und Computerchips nötig ist.

Wolfram wäre gemäss einer Analyse von Trivium China ein Rohstoff, den Peking ebenfalls instrumentalisieren könnte. Das Element wird für viele militärische Güter sowie in der Auto- und Raumfahrtindustrie benötigt. Weitere Kandidaten für Exportkontrollen wären seltene Erden, die wichtig sind für viele militärische und industrielle Anwendungen sowie für Konsumgüter.

Exportkontrollen sind das perfekte Instrument für Peking

Exportkontrollen bei kritischen Rohstoffen dürften auch in Zukunft Chinas Mittel der Wahl bleiben im Technologiekonflikt mit dem Westen. Damit kann China weiter Verunsicherung schüren, Informationen sammeln und muss dabei selbst keine Risiken eingehen. Die Kontrollen kosten China wirtschaftlich kaum etwas und liefern gleichzeitig wertvolle Daten über die Lieferketten und westliche Endnutzer. Sie können rasch gelockert oder verschärft werden und sind deutlich flexibler als Obergrenzen oder Ausfuhrverbote.

Solange die Spannungen gross sind, wird im Westen die Angst vor einem chinesischen Ausfuhrstopp bestehen bleiben. Combs, der Rohstoffexperte von Trivium China, sagt dazu: «Es war ein strategischer Entscheid, eine Gegenmassnahme zu wählen, die mit so viel Unsicherheit verbunden ist.»

Ginge Peking über die Ausfuhrkontrollen hinaus und würde anfangen, im grossen Stil Lizenzen für Gallium oder Germanium zu verweigern, käme das einer Eskalation im Technologiekonflikt gleich. Chipproduzenten sähen sich mit Preisexplosionen und schliesslich mit Engpässen konfrontiert. Das hätte Auswirkungen auf die Preise und Verfügbarkeit von unzähligen elektronischen Gütern.

Doch China kann an einer derartigen Eskalation kaum ein Interesse haben. Die westlichen Regierungen würden rasch nach Alternativen zu den chinesischen Rohstoffen suchen, ohne dafür Kosten zu scheuen. Chinas grösster Trumpf verlöre damit schnell seine Wirkung.

Die chinesische Regierung dürfte deshalb im Wissen darum weiterhin auf Exportkontrollen als Mittel der sanften Eskalation setzen. Sie kann die Massnahmen auf andere Rohstoffe ausweiten, Unsicherheit verbreiten und dem Westen deutlich machen: Peking hat die Macht, den technologischen Fortschritt des Westens enorm auszubremsen und zu verteuern.

Exit mobile version