Sonntag, September 29

Dass eine ballistische Interkontinentalrakete erstmals seit Jahrzehnten im Pazifik landete, ist kein Zufall. Die Volksrepublik baut ihr Atomarsenal aus und will Einsatzbereitschaft demonstrieren.

Die chinesische Volksbefreiungsarmee hat am Mittwoch erstmals seit Jahrzehnten eine Interkontinentalrakete, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden kann, in den Pazifik geschossen. Das chinesische Verteidigungsministerium teilte mit, dass die Rakete in das vorgesehene Zielgebiet ins Meer gefallen sei. Es habe sich um eine Routineübung gehandelt.

Ungewöhnliches Ziel verstärkt Aufmerksamkeit

Ob es sich um einen neuen Raketentyp handelte, ist nicht bekannt. Aussergewöhnlich ist das Zielgebiet – normalerweise testet China seine Raketen in den Wüstengebieten in Xinjiang. Die letzten solchen Tests fanden 2021 statt. Dabei kam erstmals ein sogenanntes Fractional Orbital Bombardment System, das kurz in eine Umlaufbahn um die Erde einschwenkt, mit einem Hyperschallgleiter zum Einsatz.

Soweit bekannt, landete eine chinesische Interkontinentalrakete letztmals 1980 im Pazifik. Dass jetzt wieder dieses Zielgebiet gewählt wurde, dürfte auf eine politische Botschaft hindeuten, die Peking senden will. Mit dem ungewöhnlichen Ziel erhält der Test grössere Aufmerksamkeit als sonst.

Peking will mit dem Test wohl signalisieren, dass die Einsatzbereitschaft der Raketenstreitkräfte gesichert ist. Diese Truppen sind sowohl für atomar bestückte als auch konventionelle Raketen zuständig. In den letzten Monaten und Jahren wurden mehrere hochrangige Generäle der Truppengattung ihres Amts enthoben und wegen Korruption verurteilt. Verschiedene westliche Experten hatten nach diesen Säuberungswellen die Einsatzfähigkeit der Truppen angezweifelt.

Der Pazifik ist auch der Raum, den die USA für ihre Tests von Interkontinentalraketen nutzen. Sie verfügen über ein spezielles Testzentrum auf den Marshallinseln. In dessen Umgebung landen die Raketen, die meist von Kalifornien aus gestartet werden. Zuletzt führten die USA im Juni einen Test mit einer Minuteman-Rakete durch. China kann mit dem Test vom Mittwoch im Pazifik zeigen, dass es sich den USA als gegenüber als gleichwertige Atommacht sieht.

Peking setzt stark auf Raketensilos

Peking verfügt zwar über die sogenannte nukleare Triade, kann also Atomsprengköpfe von der Luft, vom Boden und vom Wasser aus abfeuern. Doch der Schwerpunkt liegt auf Interkontinentalraketen, die aus tief im Boden eingegrabenen Silos abgefeuert werden. Laut Schätzungen des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) sind rund zwei Drittel der geschätzten 350 chinesischen Atomsprengköpfe in Raketensilos gelagert.

Satellitenbilder und andere Anzeichen deuten darauf hin, dass China sein Atomarsenal kräftig ausbaut. Bis 2030 soll das Land laut amerikanischen Schätzungen 1000 Sprengköpfe verfügen. Gleichzeitig baut Peking neue Trägersysteme. So wurden 300 neue Raketensilos in den kärglichen Weiten des Westens des Landes gebaut – ob sie alle mit Raketen bestückt sind, ist unbekannt.

Seit etwas mehr als einem Jahr ist auch ständig ein U-Boot der Jin-Klasse auf Patrouille, das mit Atomraketen bestückt ist. Damit habe China eine glaubwürdige seegestützte Abschreckung erhalten, schrieb das amerikanische Verteidigungsministerium letztes Jahr.

Peking äussert sich nicht zu den Beweggründen für den Ausbau seines Atomarsenals. Offiziell gilt immer noch die Doktrin, dass man Atomwaffen nie als erste einsetzen würde und dass man nur eine minimale Abschreckung anstrebe. Amerikanische Beobachter vermuten aber, dass Peking versucht, ein mit den USA und Russland vergleichbares Arsenal aufzubauen. Diese Länder haben jeweils rund 1700 einsatzbereite Atomsprengköpfe.

Peking greift die nukleare Teilhabe an

Trotz der offensichtlichen, rasanten Aufrüstung versucht sich China als verantwortungsvolle Atommacht darzustellen. Im Juli forderte die chinesische Vertretung an der Uno die anderen vier Vetomächte auf, auch «Non First Use»-Versprechen abzugeben. Was friedlich klingt, ist aber ein indirekter Angriff auf die amerikanische Strategie, andere Länder wie etwa Deutschland oder die Niederlande über die nukleare Teilhabe unter seinen Atomschirm zu stellen.

In der chinesischen Erklärung heisst es, «der betreffende Atomwaffenstaat sollte die Vereinbarung über die gemeinsame Nutzung von Kernwaffen und die erweiterte Abschreckung aufgeben und alle im Ausland stationierten Atomwaffen in sein eigenes Hoheitsgebiet zurückziehen».

Einzelne Stimmen rufen für vergleichbare Teilhabe-Abkommen für die amerikanischen Alliierten in Ostasien, namentlich Südkorea und Japan. Peking will dies um jeden Preis verhindern.

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