Mittwoch, November 12

Japan und China streiten sich darüber, ob eine kleine Erhebung im Meer eine Insel oder ein Felsen ist. Je nach Interpretation kann Japan viel grössere Ressourcen kontrollieren.

Bedauerlich sei es, dass China eine Boje im Meer platziert habe, ohne deren Zweck oder seine Absichten klargemacht zu haben, sagte Japans Regierungssprecher. Die Boje, von der Yoshimasa Hayashi spricht, wurde von einem chinesischen Forschungsschiff im Juni in Gewässer zwischen Kyushu, einer von Japans vier Hauptinseln, und Okinotorishima, Japans südlichstem Punkt, gesetzt. Dazwischen liegen mehr als tausend Kilometer.

Der ganze Streit dreht sich um Okinotorishima. Beziehungsweise darum, ob es sich dabei um eine Insel oder bloss um einen Felsen handelt. Die Diskussion mag akademisch klingen, doch im Seerecht besteht da ein grosser Unterschied.

Inseln erlauben viel grösser Ansprüche als Felsen

In beiden Fällen kann ein Hoheitsgewässer von 12 Seemeilen (rund 22 Kilometer) beansprucht werden. Eine Insel erlaubt aber den zusätzlichen Anspruch auf eine exklusive Wirtschaftszone von bis zu 200 Seemeilen –und damit auf die Ressourcen in einem Meeresgebiet, das mehr als 250 Mal grösser ist.

Und noch weiter: Je nach Beschaffenheit des Seebodens können von einer Insel aus auch noch Rechte auf den erweiterten Kontinentalsockel geltend gemacht werden. Dann kann der Küstenstaat auch dort das alleinige Recht, Bodenschätze auszubeuten, beanspruchen.

Aus japanischer Sicht ist Okinotorishima eine Insel – aus chinesischer Sicht ein Felsen. Japan beansprucht eine exklusive Wirtschaftszone und einen erweiterten Kontinentalsockel um Okinotorishima – China hält diese Ansprüche für nicht gerechtfertigt. Tokio ärgert sich über die chinesische Boje, weil diese über «seinem» erweiterten Kontinentalsockel schwimmt. Peking findet, dass sein Forschungsschiff diese auf hoher See platziert hat. Und das ist legal.

Japans Antrag bei der Uno-Kommission ist blockiert

Ob der Anspruch auf einen erweiterten Kontinentalsockel gerechtfertigt ist, entscheidet eine spezielle Uno-Kommission, die Commission on the Limits of the Continental Shelf, kurz CLCS. Dort hat Japan 2008 einen Antrag eingereicht. Dieser umfasst auch Teile des südlichen Kyushu-Palau-Rückens, auf dem sich Okinotorishma befindet.

Doch China (und auch Südkorea) hat dagegen Widerspruch eingelegt. «In einem solchen Fall, der immer wieder vorkommt, vertagt die CLCS den Entscheid über den Kontinentalsockel», sagt Donald Rothwell, Professor für internationales Recht an der Australian National University. Erst wenn keine Einsprüche mehr vorliegen, entscheidet die Kommission, ob der Anspruch eines Landes gerechtfertigt ist.

Schliesslich dreht sich die Frage also wieder darum, ob Okinotorishima eine Insel oder ein Felsen ist. Nur wenige Quadratmeter des Atolls liegen auch bei höchstem Wasserstand über dem Meeresspiegel – damit wird die Minimalanforderung für Inseln wie Felsen nach der Uno-Seerechtskonvention erfüllt.

Über die Jahre hat Japan Hunderte von Millionen Dollar dafür ausgegeben, diese Erhebungen mit viel Beton vor Erosion zu schützen, damit sie nicht im Meer versinken. Wie diese kleinen Betonplattformen menschliche Besiedlung ermöglichen sollen – das ist das Kriterium im Seerecht, welches eine Insel von einem Felsen unterscheidet –, ist schwer nachvollziehbar.

Japans rechtliche Position ist schwach

«Japans Position, dass Okinotorishima eine Insel sein soll, ist schwach», sagt der Experte für Seerecht Rothwell. Tokios Argumentation sei mit einer Standardauslegung des entsprechenden Artikels im Uno-Seerechtsabkommen kaum vereinbar. Auch die Interpretation des Schiedsgerichts, das sich 2016 über den Status von Inseln und Felsen im Südchinesischen Meer geäussert hat, widerspreche der japanischen Ansicht.

Die Richter entschieden damals, dass alle Erhebungen im Südchinesischen Meer als Felsen einzustufen sind. Mit anderen Worten: Keiner von diesen Felsen erlaubt den Anspruch auf eine exklusive Wirtschaftszone oder gar einen erweiterten Kontinentalsockel. Und diese Erhebungen sind teilweise ein Vielfaches grösser als Okinotorishima.

Im Südchinesischen Meer ist China aber noch viel weiter gegangen, als Japan es bei Okinotorishima tut. Peking hat nicht bloss bestehende Felsen vor Erosion geschützt, sondern Korallenriffe, die zum Teil bei Flut unter Wasser liegen, zu riesigen Inseln aufgeschüttet. Auf mehreren von ihnen hat China Militärbasen mit kilometerlangen Flugpisten gebaut.

Japan könnte die Boje entfernen – doch was damit machen?

Doch zurück in den westlichen Pazifik, zu Okinotorishima. Nach chinesischer Darstellung ist die Boje Teil eines Tsunami-Warnsystems. Der wahre Grund, warum das chinesische Forschungsschiff sie platziert hat, dürfte aber ein anderer sein: Die Boje ist ein sichtbares Zeichen, dass Peking Tokios Ansprüche nicht respektiert. «China kann sich auf den Standpunkt stellen, dass, solange die CLCS die japanischen Ansprüche nicht anerkennt, es sich bei dem Gebiet um hohe See handelt und es dort eine Boje aussetzen darf», sagt Rothwell.

Wenn Japan seine Position durchsetzen will, könnte es die chinesische Boje entfernen. Dies wäre aus japanischer Sicht nur konsequent: Denn über einem erweiterten Kontinentalsockel darf ein anderes Land nur mit Erlaubnis des Küstenstaates eine Boje platzieren.

Doch sei die Boje chinesisches Eigentum, gibt Rothwell zu bedenken. In anderen Fällen, etwa wenn sich Bojen losgerissen hätten, habe der Küstenstaat diese meist dem Eigner zurückgegeben. Was Japan beabsichtigt, ist nicht bekannt.

Konfisziert Tokio allerdings die Boje, so wird das die bereits angespannten Beziehungen zwischen den beiden Ländern zusätzlich belasten. Im Ostchinesischen Meer streiten Japan und China bereits um die Senkaku-Inseln. Japan kontrolliert diese, China bezeichnet sie als Diaoyu und beansprucht sie für sich.

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