China will unabhängiger werden von Software und Chips aus dem Westen. Es könnte zusammen mit Russland und anderen autokratischen Staaten ein neues weltweites IT-Ökosystem erschaffen.
China will keine westlichen Hersteller mehr in seinen IT-Systemen. In der Verwaltung sollen möglichst bald nur noch chinesische Lösungen zum Einsatz kommen. Das besagt laut «Financial Times» eine neue Richtlinie von Ende Jahr. Konkret sollen in Laptops oder Servern künftig keine Prozessoren der amerikanischen Hersteller Intel oder AMD mehr laufen. Auch das Betriebssystem Windows von Microsoft soll von den Computern der Behörden verschwinden.
Die Richtlinie schreibt vor, dass nur noch «sichere und verlässliche» Chips und Betriebssysteme zum Einsatz kommen dürfen. Auf der Ende Dezember veröffentlichten Liste von Produkten, welche die Anforderung erfüllen, befinden sich nur solche von chinesischen Anbietern. Unter den zulässigen Prozessoren befinden sich zum Beispiel Modelle von HiSilicon, einer Tochterfirma von Huawei. Bei den Betriebssystemen handelt es sich laut «Financial Times» um Derivate des Open-Source-Produkts Linux.
Der Bann westlicher Produkte entspricht der langfristigen Strategie Chinas. Staatspräsident Xi Jinping will, dass sein Land dereinst unabhängig ist von westlicher Technologie, insbesondere von solcher aus den USA.
«Xinchuang», IT-Applikations-Innovation, heisst die entsprechende nationale Strategie, welche das Regime seit mehreren Jahren verfolgt. Die Regierung unterstützt die Entwicklung chinesischer Betriebssysteme, Prozessoren und Computer. Es geht ihr zudem um Datensicherheit und die Vision einer IT-Landschaft ganz ohne ausländische Produkte.
Geht es nach der chinesischen Regierung, soll der Umstieg von Verwaltung und Staatsbetrieben – weg von Windows und Intel, hin zu chinesischen Produkten – bis 2027 abgeschlossen sein. Ob das gelingt, ist offen. Denn insgesamt dominieren westliche Betriebssysteme in China immer noch, wie ein Blick in die Statistik zeigt.
Ende 2023 liefen laut der Analyseplattform Statcounter immer noch rund 80 Prozent aller Computer in China mit einem Windows-Betriebssystem. Weitere rund 5 Prozent funktionieren mit OS X von Apple, einem anderen amerikanischen Hersteller. Der Anteil westlicher Betriebssysteme war über die letzten Jahre zwar leicht rückläufig, ist aber immer noch sehr hoch.
Westen liefert sich einen Technologiewettkampf mit China
Nicht nur China verbietet bestimmte Produkte aus dem Westen. Umgekehrt haben westliche Staaten in den vergangenen Jahren ebenfalls Geräte und Software aus chinesischer Produktion verbannt oder gar verboten. Teilweise aus gleichem Grund: aus Sicherheitsbedenken.
So führte der Einsatz von Huawei-Komponenten in den neuen 5G-Mobilfunknetzen zu intensiven Diskussionen, unter anderem in der EU. Es gab die Befürchtung, dass China damit die Handynetze ausspionieren könnte. Grossbritannien verbot 2020 den Einbau von 5G-Netzwerkgeräten von Huawei. Andere Länder verzichteten ohne offizielles Verbot auf chinesische Anbieter. In Deutschland, wo 5G-Komponenten aus China im Einsatz sind, ist die Diskussion erst vor wenigen Monaten wieder aufgeflammt.
Ähnlich heftige Diskussionen gab es in mehreren westlichen Ländern über die Videoplattform Tiktok. Auch dort geht es um die Befürchtung, dass China die Software zur Spionage einsetzen könnte. Inzwischen haben zum Beispiel die USA, Kanada oder die EU ihren Beamten verboten, Tiktok auf den Diensthandys zu installieren. In den USA droht sogar ein Verbot der App im ganzen Land. Tiktok ist aber trotz der Debatte im Westen nach wie vor enorm populär.
Begonnen hat die Kritik an chinesischen Produkten in den USA bereits 2012, als es zu einer Untersuchung zu Huawei kam. Der chinesische Technologiekonzern wurde daraufhin als Sicherheitsrisiko gesehen. 2019 verbot die amerikanische Regierung amerikanischen Firmen schliesslich, Huawei zu beliefern.
Für Huawei hatte dieser Entscheid weitreichende Konsequenzen. Denn die Handy-Software basierte ausserhalb Chinas auf Googles Android. Huawei brauchte wegen des Verbots ein neues Betriebssystem und entwickelte sein eigenes: Harmony OS. Dieses Betriebssystem wird mittlerweile auf weiteren Huawei-Geräten wie Tablets, Fernsehgeräten oder Smartwatches installiert.
Der Impuls zu chinesischen Eigenentwicklungen kam also anfangs von aussen. Nun stösst Chinas Regierung mit der Verbannung von Windows-Systemen und Intel-Prozessoren die Verbreitung eigener Produkte selbst an. Möglicherweise hat das Beispiel von Harmony OS ihr gezeigt, dass China im IT-Bereich unabhängiger werden kann.
Tech-Firmen ziehen sich aus Russland zurück
Was mit gegenseitigen Sanktionen zwischen den USA und China begann, hat das Potenzial, zu einem globalen Technologiekonflikt zu werden: auf der einen Seite der Westen, auf der anderen die «Achse der Sanktionierten», zu welcher neben China auch Iran, Nordkorea und Russland gezählt werden können. Während Iran und Nordkorea schon länger Einschränkungen haben, muss Russland seit dem Angriff auf die Ukraine vor zwei Jahren ebenfalls zunehmend auf IT-Lösungen aus dem Westen verzichten.
Bereits im Frühjahr 2022, kurz nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs, hatten mehrere grosse Tech-Firmen wie Oracle oder Amazon ihre Tätigkeit in Russland eingeschränkt. Microsoft setzte den Verkauf neuer Lizenzen für seine Produkte aus. Die Firma Cisco soll bei ihrem Rückzug aus Russland gar vor Ort Ersatzteile für ihre Mobilfunkkomponenten zerstört haben. Aufgrund neuer Sanktionen drohen russische Kunden nun auch den Zugang zu Cloud-Diensten von Microsoft oder Amazon zu verlieren.
Teilweise verzichtet Russland inzwischen auch freiwillig auf westliche Software – aus Sicherheitsbedenken. So gab es einige Wochen nach dem Angriff auf die Ukraine Medienberichte, wonach die Behörden für Videokonferenzen keine amerikanischen Produkte wie Webex, Zoom oder Whatsapp mehr benutzen würden.
Russlands Wunsch nach Unabhängigkeit ist so gross, dass Behördenmitarbeiter möglicherweise gar Handys mit einem eigenen Betriebssystem bekommen könnten. Im vergangenen Jahr war von entsprechenden Plänen die Rede, wobei die Geräte Aurora OS verwenden würden. Das russische Betriebssystem wurde ab 2016 entwickelt und basiert auf Linux. Die Verbreitung ist aber noch gering, das Angebot an Apps beschränkt. China ist da deutlich weiter.
Westliche Firmen verlieren Marktanteile
Die Gründe für die Abkehr von westlicher Computertechnik mögen vielschichtig sein. Sanktionen, Sicherheitsbedenken und Protektionismus spielen hinein. Der Effekt ist immer derselbe: Technologische Alternativen erhalten Aufschwung. Und dies dürfte sowohl wirtschaftliche als auch geopolitische Konsequenzen haben.
Huaweis Betriebssystem Harmony OS – aus der Not geboren – hat sich heute auf den firmeneigenen Endgeräten etabliert. Die Software wird laut Huawei zudem bereits millionenfach auf Geräten anderer Hersteller in China eingesetzt. Für die Technologie «Made in USA» ist das ein Rückschlag. Sie verliert Marktanteile in China.
Das Verbot von westlichen Prozessoren und Betriebssystemen dürfte diesen Trend noch verstärken. Denn China begünstigt durch seine protektionistischen Massnahmen die Entwicklung der heimischen Tech-Industrie. Das vergrössert Chinas Unabhängigkeit und macht chinesische Unternehmen weltweit konkurrenzfähig.
Fabrizieren Huawei und Co. erst einmal ansprechende Soft- und Hardware, die zudem preislich unter jener der westlichen Konkurrenz liegt, wird das den weltweiten Markt von Computertechnologie radikal verändern. Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern werden Chinas Eigenproduktionen Abnehmer finden. Millionen von Menschen können sich möglicherweise erstmals einen eigenen Computer leisten.
China kann künftig eigene Standards setzen
Der Aufschwung von Eigenentwicklungen würde zudem Chinas geopolitischen Einfluss stärken. Alternativen zum Windows-Betriebssystem oder zu den Intel-Chips wären auch für Russland, Iran oder andere autokratische Länder interessant. Sie alle haben ein gemeinsames Interesse: raus aus der Abhängigkeit von westlicher Technologie.
Zusammen könnte ein alternatives IT-Ökosystem entstehen, welches ohne amerikanische Produkte auskommt – und damit auch ohne westliche Regulierungen oder Datenschutzbestimmungen. China könnte die geltenden Standards selbst definieren. Die von Peking postulierte alternative Weltordnung erhielte eine technologische Dimension.