Donnerstag, Oktober 3

Mehr als 160 000 chinesische Kinder sind in den vergangenen drei Jahren von Eltern ausserhalb Chinas adoptiert worden. Nun ist Schluss. Die Regierung folgt damit einem globalen Trend – doch Peking könnte auch noch ein anderes Motiv haben.

Chinas Ein-Kind-Politik (in Kraft 1979–2015) zeitigte manchmal grausame Folgen. Aus Furcht vor saftigen Geldbussen legten manche Eltern ihre Zweitgeborenen vor Polizeiposten, in dunklen Gassen oder vor den Türen sozialer Einrichtungen ab. Wenn das Erstgeborene ein Mädchen war, wurde es oft abgegeben – viele Eltern wollten lieber einen Jungen. Die Folge: Chinas Waisenhäuser füllten sich rasant.

Ab 1992 gestattete die Regierung schliesslich Paaren aus dem Ausland, Kinder aus China zu adoptieren. Damit liess der Druck nach. Seitdem registrierten die chinesischen Behörden 160 000 grenzüberschreitende Adoptionen.

Doch damit ist jetzt Schluss. Am vergangenen Donnerstag erklärte eine Sprecherin des chinesischen Aussenministeriums, die chinesische Regierung habe «ihre Politik für grenzüberschreitende Adoptionen angepasst». Peking folge damit einem internationalen Trend. Fortan genehmigen die Behörden nur noch die Adoption von Kindern oder Stiefkindern durch direkte Verwandte im Ausland.

Auch andere Länder erschweren internationale Adoptionen

Tatsächlich haben in jüngster Zeit auch andere Länder Adoptionen durch Paare aus dem Ausland erschwert oder gleich ganz verboten, darunter Kasachstan, Äthiopien und Russland. Auch in Dänemark und den Niederlanden haben die jeweiligen Agenturen für internationale Adoptionen ihre Aktivitäten eingestellt.

Der Grund für die Verbote ist, dass das Geschäft mit grenzüberschreitenden Adoptionen oftmals in einen rechtlichen Graubereich fällt: Verzweifelte Eltern, die seit Jahren auf ein Kind warten, bestechen örtliche Behörden oder Waisenhäuser, um das Adoptionsverfahren zu beschleunigen. Immer wieder tauchen gefälschte Dokumente auf.

Oft ist Menschenhandel im Spiel. Im Jahr 2006 flog in China ein Verbrecherring auf, der Kinder an sechs Waisenhäuser in der Provinz Hunan verkaufte. Diese Kinder waren vermutlich keine Waisen, sondern wurden ihren Eltern abgekauft oder entführt. Ausländer hätten Spenden von bis zu 3000 Dollar an die jeweiligen Einrichtungen geleistet, schrieb seinerzeit die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua.

Chinas Bevölkerung schrumpft

Doch die Streichung des Adoptionsprogramms durch die chinesische Regierung kommt auch zu einer Zeit, da China mit sinkenden Geburtenraten kämpft. Die Zahl der Neugeborenen fiel im vergangenen Jahr auf nur noch neun Millionen; Chinas Bevölkerung schrumpfte 2023 das zweite Jahr in Folge.

Jetzt ermuntert die Regierung junge Paare nach Kräften, für Nachwuchs zu sorgen. Doch Chinas Frauen streiken. Die hohen Kosten für Schulen und Kindergärten, Angst, den Job zu verlieren, und die lahmende Wirtschaft halten viele Chinesinnen vom Kinderkriegen ab.

China führte 1979 die Ein-Kind-Politik ein, um das Bevölkerungswachstum zu bremsen. Da in China Jungen traditionell als diejenigen gelten, die den Familienstamm fortführen und als Erwachsene für den Unterhalt ihrer Eltern sorgen, gaben viel Paare ihre Töchter ab. Seit 2015 gestatten die Behörden jedem Paar zwei Kinder, seit 2021 sind drei Kinder erlaubt.

Mädchen und Kinder mit Behinderung

Folglich waren es in der Vergangenheit vor allem Mädchen, die im Rahmen einer Adoption den Weg ins Ausland fanden, ausserdem Kinder mit Behinderung. Eine körperliche oder geistige Behinderung gilt bei vielen chinesischen Familien noch immer als Schande.

Nach Einführung des Adoptionsprogramms 1992 war China eines der bedeutendsten Länder für grenzüberschreitende Adoptionen. Vor allem Paare aus den USA fanden im Reich der Mitte ihr Elternglück. Zwischen 1999 und 2023 adoptierten amerikanische Paare nach Angaben des Aussenministeriums 82 000 Kinder aus China, die meisten von ihnen waren Mädchen. Im Jahr 2005, dem Höhepunkt des Adoptionsprogramms, adoptierten amerikanische Paare 7900 Kinder aus China.

In jüngster Zeit war die Zahl der Adoptionen allerdings kräftig gesunken. Waren in China im Jahr 2009 noch 44 000 Kinder für eine Adoption registriert, fiel die Zahl bis 2018 auf nur noch 15 000. Grund dafür ist die sinkende Geburtenrate, aber auch die gestiegene Unterstützung durch die Regierung für Waisenhäuser und Menschen mit Behinderung. Mit Beginn der Corona-Pandemie kam Chinas Adoptionsprogramm praktisch zum Erliegen.

China stoppt laufende Verfahren

Chinas plötzliche Ankündigung, das internationale Adoptionsprogramm mit sofortiger Wirkung zu stoppen, trifft Hunderte amerikanische Paare und chinesische Kinder mit laufenden Adoptionsverfahren hart. Denn Chinas Regierung will nur noch Verfahren bearbeiten, bei denen bereits Ausreisegenehmigungen erteilt wurden. Alle anderen Verfahren werden eingestellt.

Viele Paare in den USA haben – in der Erwartung, bald ihr Kind aus China in Empfang nehmen zu können – in der jüngsten Zeit ihre Wohnungen und Häuser behindertengerecht eingerichtet, Kleidung sowie Spielzeug gekauft. Das plötzliche Aus für das chinesische Programm dürfte für sie emotional nur schwer zu verarbeiten sein.

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