Sonntag, November 24

Die neuen Untermarken etablierter chinesischer Autohersteller versuchen, sich eine Marktakzeptanz in Europa zu erarbeiten. Die entscheidende Rolle könnten Komfort, Vernetzung und Preise spielen.

Die Autoindustrie wächst in China nicht zufällig, sie ist vielmehr von politischer Hand vorbereitet und systemimmanent gesteuert. Der elektromobile Fortschritt ist dort durch Standortvorteile im Umfeld der Batterietechnologie und durch Hochleistungschips gesteuerte Prozesse schneller gewährleistet als in der «alten» Welt.

Begannen chinesische Unternehmen, sich im Zuge ihrer Globalisierung zunächst auf die Entwicklung von automobilen Mittel- und Kompaktwagen zu konzentrieren, so nehmen sie nun auch die Premium-Klasse ins Visier und vereinzelt bereits den Luxusmarkt. Für ihren avisierten Gipfelsturm prägen sie eine Vielzahl neuer Marken.

Aufgeladen werden die neuen Marken mit reichhaltiger Komfortausstattung, hochvernetzten Elektronikplattformen und ständig verbesserten Assistenzsystemen überwiegend chinesischer Zulieferer, die an jeweilige Fahrzeugtypen nur noch anzupassen sind.

Auf diese Weise bedienen die Neuankömmlinge Premium-Ansprüche und definieren Luxus neu, der in möglichst unterhaltsamen Erlebniswelten wahrgenommen wird. «Alte» Automarken, wie man Traditionsmarken in China nennt, haben diese Welten bis jetzt nicht im Visier. Wir haben einige der neuen Modelle auf chinesischen Strassen ausprobiert.

Einen Blick auf die Leistungsfähigkeit des zeitgenössischen chinesischen Automobilbaus erlaubt Nio mit gut ausgestatteten SUV, Limousinen, einem Kombi von respektabler Qualität, doch ausserhalb Chinas mit schwächelndem Kundenbetreuungsprogramm. Mit 2316 im vergangenen Jahr verkauften Nio erreicht die Marke in Europa bis jetzt nur einen Marktanteil von 0,0002 Prozent und steht stellvertretend für den in Europa bisher ausbleibenden grossen Wurf der Chinesen.

Die Geely-Marken mit elektrifizierten Volvo, Polestar, Zeekr und Lotus bringen ebenfalls qualitativ hochwertige Produkte nach Europa. Doch auch sie in überschaubaren Stückzahlen. Nur die zu SAIC gehörende Marke MG hat sich bereits erfolgreich im europäischen und vor allem im deutschen Markt etabliert und bedient mit dem batterieelektrischen Roadster Cyberster künftig auch in der Schweiz ein untypisches chinesisches Marktsegment, von dem europäische Hersteller zunehmend Abstand nehmen: den erschwinglichen Faltdach-Sportwagen. Und das vor dem Hintergrund der jüngsten Volkswagen-Entscheidung, alle Cabriolets einzustellen.

Noch am Anfang steht Lixiang mit üppig ausgestatteten Plug-in-Hybriden, seit neustem auch mit einem ersten batterieelektrischen Van und sehr schnell ladender Batterie. Der Raumgleiter Mega mit kantigem Design nach dem Vorbild des Tesla Cybertruck sorgt derzeit in China für hohe Aufmerksamkeit. Der Volkswagen-Partner Xpeng und die neuerdings zur Stellantis-Gruppe zählende Marke Leapmotor überbauen ihre jüngsten E-Plattformen mit Kompaktfahrzeugen und solchen der gehobenen Mittelklasse. Sie wollen «premium» bieten, sind davon aber noch weit entfernt.

Einige Marken bringen «premium» nach Europa

Wo stehen die zu uns drängenden und bisher recht unbekannten Namen? Etwa der zu Dongfeng gehörende Voyah mit dem SUV Free. Wie bei vielen anderen chinesischen SUV lenkt ein markanter Frontgrill vom sonst beliebigen Karosseriedesign ab. Mit adaptiver Luftfederung, drei in den Armaturenträger integrierten Bildschirmen und Vollausstattung erhebt der Free Anspruch auf Akzeptanz in der Premium-Klasse.

BYD reichert die mit Mercedes einst ins Leben gerufene und bisher wenig erfolgreiche Marke Denza neu an. Seitdem die Schwaben ausgestiegen sind, gibt es keine Kompaktwagen mehr. Denza spielt jetzt in der Oberliga und hübscht das SUV N7 mit adaptiver Luftfederung sowie den 5,25 m langen Van D9 für die Premium-Klasse auf.

In China erleben sehr gut ausgestattete 7-sitzige Raumriesen gegenwärtig ein Comeback auf innovativen E-Plattformen. Der mit üppigen Komfortattributen, 7 Bildschirmen, zahlreichen über die Klimatisierung verteilten Duftnoten und Glasdach hochgerüstete D9 ist Trendsetter. In keinem anderen Auto werden so viele Kissen zur Unterstützung von Nacken, Rücken und Beinen spazieren gefahren. Dass europäische Kunden sich mit seiner aggressiven Front anfreunden können, die ein riesiger Kühlergrill im Schneepflug-Design beherrscht, darf allerdings bezweifelt werden. Für Luxuskunden dürfte der Auftritt zu wenig dezent erscheinen.

In Richtung einer neuen, auch in Europa möglicherweise Akzeptanz findenden Luxusklasse strecken sich zurzeit nur wenige chinesische Marken. Bereits einen Rückschlag erlitten hat HiPhi mit seiner auffälligen Sportlimousine Z und dem Crossover X. Letzterer weckt mit spektakulären Fond-Flügeltüren für aufrechtes Ein- und Aussteigen zwar Aufmerksamkeit, ist aber nicht nur hierzulande für mehr als 100 000 Franken tollkühn eingepreist, sondern auch in China zu teuer.

Der HiPhi Crossover Y darf als eher belangloser Vertreter für die Oberklassen gelten. Vermutlich endet die Luxusmarke HiPhi schneller, als sich Flügeltüren öffnen. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die Produktion aller Modelle für sechs Monate eingestellt wird, um Überkapazitäten abzubauen.

In ein charmantes Karosseriekleid für den extravaganten Auftritt im Luxussegment gekleidet, fährt demnächst auch bei uns der Avatr 12 der Muttermarke Changan vor. Am liebsten zu Kunden, die heute noch Porsche Taycan oder Audi e-tron GT fahren, wenn es nach dem selbstbewussten Avatr-Chef für internationales Marketing Li Pengcheng geht. Sein hoher sechsstelliger Einstandspreis suggeriert die Nähe zur Luxusklasse, sein Ausstattungsumfang positioniert ihn eher eine Stufe darunter.

Mit voll geländetauglichen SUV führt die gerade zum Weltmarktführer ausgewachsene Automobilsparte von BYD am überzeugendsten vor, wie neuer Luxus made in China aussieht. Eigens dazu wurden die Marken Fangchengbao und Yangwang geschaffen und mit spektakulärer Technik sowie digitalen Innovationen aufgerüstet. Um vielleicht einmal im Jahr schwer zugängliches Gelände zu meistern, verzichten sie auf schwere Verteilergetriebe und Differenzialsperren. Deren Aufgaben übernimmt die Elektronik.

Das SUV Bao 5 (Bao steht für Leopard) zählt zu den Vorbildern im aufblühenden Marktsegment elektrifizierter Geländegänger. Land Rover Defender und Toyota Landcruiser haben dem Designteam des deutschen BYD-Chefgestalters Wolfgang Egger offensichtlich Pate gestanden. Wegen unzureichender Ladeinfrastruktur und weil sich Plug-in-Hybride nach dem Wegfall staatlicher Fördermittel für Batterieautos wachsender Nachfrage erfreuen, basiert der Fünfsitzer auf der eigens für diese Spezies entwickelten DMO-Plattform (Dual Mode Offroad) mit Plug-in-hybrider Antriebstechnologie.

Ein spezielles Rahmenchassis mit Einzelradaufhängung und integrierter Hochvoltbatterie nimmt einen E-Motor an der Hinterachse auf sowie den über der Vorderachse längs verbauten Vierzylinder-Verbrenner. Beide ergänzen einander als Parallelhybrid-Antrieb. Die Karosserie wird von einer adaptiven Hydraulikfederung mit bis zu 140 mm langem Federweg und einer mehrstufigen Dämpferverstellung gestützt.

Wenngleich der 505 kW (687 PS) und 760 Nm starke Bao 5 als Stromer nur knapp 100 km weit kommt und seine kleine 31,8-kWh-Batterie in 16 Minuten (30 bis 80 Prozent) nachgeladen werden kann, beträgt die Gesamtreichweite knapp über 1000 km. Mit 39 Grad Böschungswinkel vorn und 35 Grad hinten sowie 32 Zentimetern Bodenfreiheit wird ein sicheres Durchkommen auch abseits befestigter Pisten versprochen. Der Bao 5 klettert 45 Grad steile Passagen hinauf.

Neue Luxusmarke vom Marktführer

Alle Register zieht BYD für die neue Marke Yangwang. Als derzeit teuerstes Auto aus chinesischer Produktion fährt der im Heimatmarkt für 1,098 Millionen Yuan (134 000 Franken) angebotene U8 wie eine moderne Interpretation des legendären Mercedes G-Modells mit Design-Anleihen des Land Rover Defender vor. Hohe Geländegängigkeit und extreme Wendigkeit verbindet der 5,32 Meter lange Koloss mit viel Luxus auf einer eigens entworfenen hochvernetzten Plattform. Technische Kernelemente sind vier unabhängig voneinander arbeitende E-Motoren in Radnähe, ein mit dem Bao 5 vergleichbares adaptives Hydraulikfahrwerk, hier mit Wankausgleich.

Ein Hochleistungsrechner passt Fahrdynamik- und Komfortsysteme sowie Assistenz- und Sicherheitsprogramme vollautomatisch in Echtzeit an. Ausgewählte Funktionen sind über Tasten hinterlegt. Etwa, um den U8 beim Camping an Hängen zu nivellieren, damit niemand aus den Liegesitzen rollt. Oder um auf der Stelle eine 360-Grad-Wende (sogenannter «tank turn») hinzulegen und vollautomatisch einzuparkieren.

Sollte der U8 versehentlich in eine Furt ohne Bodenkontakt geraten, schaltet der Verbrenner aus, die Seitenfenster schliessen, und das Sonnendach öffnet. Auf Knopfdruck kann sich der U8 dann bis zu 30 Minuten vollautomatisch schwimmend aus der Notsituation befreien. Die unabhängige Momentenverteilung an alle vier 21-Zoll-Räder macht es möglich. So bleibt das Fahrzeug auch nach einem Reifenplatzer bis zum Stillstand sicher in der Spur.

Die spektakuläre Manövrierfähigkeit des U8 bestromt ein elektrisches Antriebssystem mit jeweils 598 PS pro Achse. Ein 272 PS starker 2,0-l-Turbo-Vierzylinder-Frontmotor als Range-Extender kann die hermetisch gekapselte Blade-Batterie im Unterboden nachladen. Mit vollem 75-l-Benzintank und aufgeladener 49,1-kWh-Batterie soll eine Reichweite von knapp 1000 km möglich sein. Die gigantische Antriebsleistung des U8 beträgt 880 kW (1196 PS). Und wenn alle vier angetriebenen Räder das maximal verfügbare Drehmoment von 1280 Nm abrufen, sprintet der rund 3,5-Tonnen-Koloss in nur 3,6 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h.

Um die Nutzungsbreite der neuen Plattform zu demonstrieren, aber in erster Linie, um sein Markenimage zu stärken, verwendet sie BYD auch beim Supersportwagen Yangwang U9. Der für Rekordfahrten vorgesehene China-Ferrari wird vermutlich niemals in Serie gehen. Weil im Reich der Mitte keine ausgeprägte Sportwagenkultur herrscht und ausserhalb Chinas weder BYD noch Yangwang mit dem U9 ein Sportwagen-Image aufbauen können. Dafür fehlt ihm jenes subtile Raffinement, das italienische, britische und deutsche Sportwagen auszeichnet.

So beschränkt sich der von Elektromobilität getriebene neue Luxus aus China auf Fahrzeuge mit sehr hohem Komfort und innovativen Ausstattungsumfängen, doch zu vergleichsweise niedrigen Preisen. Ob in diesem Zusammenhang von einer Demokratisierung des Luxus gesprochen werden kann, müssen die kommenden Verkaufszahlen erst noch beweisen.

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