Montag, November 25

Während China die Elektrifizierung des Strassenverkehrs rasant vorantreibt, zieht das «Outdoor Car Retro Festival» in Shaoxing Tausende Besucher an, die sich für historische Verbrenner begeistern. Ein Fest der Kontraste, bei dem alte und neue Mobilität aufeinandertreffen.

Mindestens 30 000 Besucher sind zum «Outdoor Car Retro Festival» (OCR) in Shaoxing gekommen, rund 200 Kilometer südwestlich von Schanghai. Diese chinesischen Autofans lässt der Erfolg der chinesischen E-Mobilität kalt. Mehr als die Hälfte aller neu zugelassenen Pkw fahren im Reich der Mitte gemäss Verbandszahlen elektrisch – allein im Juli wurden fast 880 000 Stecker-Fahrzeuge zugelassen. Beim Fest für klassische Autos spielt das rasante E-Auto-Wachstum in China aber keine Rolle.

Drei Tage lang geht es auf dem Zhejiang International Circuit unter dem Motto «Shine Together» um historische Fahrzeuge, die überwiegend ausserhalb Chinas gebaut wurden und auch dort Geschichte schrieben. Auf Hochglanz poliert und in Themen-Defilees bejubelt, stellen sie sich den unzähligen in die Höhe gestreckten Smartphones, mit denen Erinnerungsfotos gemacht werden, die gleich in sozialen Netzwerken gepostet werden.

Besucher dürfen noch viel mehr als nur fotografieren. Sie können Probe sitzen, den vielfältigen Klängen von Verbrennungsmotoren lauschen und sich erinnern, wie Autos früher dufteten – oder stanken. Auf einem Marktplatz liegen Ersatzteile aus. Zeitgenössische Kleidung, Modellautos, Souvenirartikel und Werbeanzeigen aus den sechziger bis neunziger Jahren stehen zum Verkauf. Zu Imbissbuden umfunktionierte historische Kleinbusse bieten Fast Food an, meistens fahrtüchtige VW-Bullis, die auf Elektroantrieb umgerüstet sind, um auf eigener Achse an- und abreisen zu dürfen.

Es darf auch einmal brummen und brüllen

Dazwischen preisen Sponsoren des Festivals neue Fahrzeuge an. Mercedes sein legendäres G-Modell, in dem Besucher auf einem eigens errichteten Parcours die enormen Klettereigenschaften an Steigungen bis hundert Prozent als Passagiere miterleben dürfen. Den passenden Klang liefert der V8-Biturbo – hier darf er das.

Alfa Romeo stellt den hochsportlichen – und lauten – Giulia GTAm mit V6-Biturbo aus, Ferrari seinen Purosangue mit V12-Triebwerk, und Porsche feiert die 50-jährige Erfolgsgeschichte seines Turbo-Elfers mit Sechszylinder-Boxermotoren.

An dem Festival wird auch zur E-Mobilität etwas geboten, gewissermassen als Kontrastprogramm. Volkswagen zeigt seinen Van ID.Buzz neben zahlreichen elektrifizierten Zweirädern aus chinesischer Produktion. Die Stromer wirken fast wie Fremdkörper, obwohl sie doch den chinesischen Alltagsverkehr mittlerweile dominieren.

Ohne Unterstützung der Industrie sei dieser Event nicht finanzierbar, sagt der Veranstalter Liu Yu aus Schanghai. Zudem verweist er auf die fehlende Autohistorie von Marken wie BYD, Zeekr, Nio und Geely, die ihre neuen Elektroautos als Sicherheits- und Shuttle-Fahrzeuge bereitstellen.

So wächst die Veranstaltung über das Thema klassischer Automobile hinaus zu einem Volksfest rund um die individuelle Mobilität, bei der auch Kinder nicht zu kurz kommen. Ihnen werden Einsitzer zum Herumkutschieren bereitgestellt, die im Kleinformat historischen Vorbildern nacheifern – elektrisch angetrieben. Und wenn selbstgebaute Seifenkisten auf einem Hinderniskurs mit künstlichem Schnee um Originalität wetteifern, bleibt kein chinesisches Auge trocken.

Wiederentdeckte Klassiker kommen mehrheitlich aus Europa

Die Palette historischer Verbrenner umfasst mehrere Mercedes W111, W201, W124, einen 190 SL, zahlreiche Porsche 911 aus den achtziger und neunziger Jahren, Rolls-Royce Camargue und Silver Shadow. Die chinesische Autohistorie vertritt ein Hongqi CA770, der in den sechziger Jahren als Staatslimousine unterwegs war. Zwei Heckflossen-Strassenkreuzer von Cadillac aus der gleichen Zeit sowie ein Ford-T-Modell illustrieren Nordamerikas goldene Autokultur. Darüber hinaus sind viele Youngtimer unterwegs, die aus Japan und Australien eingeführt wurden.

Historische Fahrzeuge stammen in China oft aus dem Besitz ausländischer Diplomaten und Geschäftsleute, wurden in China bewusst zurückgelassen oder in Lagerhäusern vergessen, wo sie Patina ansetzten. Erst seit dem Aufblühen der chinesischen Autokultur werden sie als Relikte aus früheren Zeiten wiederentdeckt und von lernwilligen Fachwerkstätten mühsam aufbereitet. Mühsam, weil die Ersatzteilbeschaffung im Ausland kostspielig ist und es an Erfahrung in der Szene fehlt.

Darüber hinaus werden Klassiker aus den USA, Kanada, Brasilien, England, Japan und Australien eingeführt – das geschieht oft mit hohem bürokratischem Aufwand. Die Ausstellungsstücke auf öffentlichen Strassen zu bewegen, ist nahezu unmöglich, wenn sie älter als dreizehn Jahre alt sind. Für ein Nummernschild zum temporären Fahren ausserhalb grosser Städte können über gute Kontakte durchaus 60 000 Euro fällig werden, wie ein Mercedes-Eigentümer versichert. Wer den Aufwand scheut, kann seine Schätze auf abgesperrten Arealen bewegen. Etwa auf privaten Rennstrecken, von denen es in China nicht wenige gibt.

Das OCR wäre nicht möglich ohne Genehmigung staatlicher Stellen. Sie scheuen sich, Verbrennungsmotoren gänzlich zu verteufelt, was nur scheinbar ein Widerspruch zur politisch gewollten Elektrifizierung bedeutet. Einen Grund könnte die keineswegs erloschene Sympathie chinesischer Autofahrer für Verbrennungsmotoren liefern.

Der Verbrenner hat auch in China noch nicht ausgedient

Vor allem als Reichweitenverlängerer in Elektroautos feiern Benzinmotoren derzeit ein Comeback. Die Verkaufszahlen von Plug-in-Hybriden wuchsen im August um 90 Prozent gegenüber dem Vormonat. Im gleichen Zeitraum legten rein batterieelektrische Pkw nur um 20 Prozent zu. Der Bestand an Hybridfahrzeugen ist bereits grösser als der von Batterieautos. Liu Jun, der seinen Jaguar E-Type aus Hongkong mitgebracht hat, wo dessen Strassenzulassung noch möglich ist, glaubt, dass die Faszination für klassische Verbrenner durchaus auf Plug-in-Hybrid-Kunden abfärben könnte.

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