Sonntag, September 29

Chinas Regierung hat in den vergangenen Jahren die Strategie verfolgt, den heimischen Produktionssektor zu stärken und damit Arbeitsplätze zu schaffen. Das Resultat sind Überkapazitäten – und ein «Backlash» aus dem Rest der Welt.

Chinas Konjunktur lahmt immer mehr. Am Immobilienmarkt setzt sich die Preiserosion seit nunmehr 34 Monaten ohne Unterbruch fort, die Kreditvergabe ist rückläufig, die Lokalregierungen müssen wegen fehlender Einnahmen aus Landverkäufen ihre Ausgaben drosseln. Die Geldmenge M1 schrumpfte im Juli im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 6% – das gab es seit Beginn der Datenerhebung vor knapp dreissig Jahren noch nie.

Kurzum, Chinas Wirtschaft zeigt gegenwärtig kaum Lichtblicke. Mit einer Ausnahme: Der Exportsektor boomt.

Rekordhoher Handelsüberschuss

In den ersten sieben Monaten des laufenden Jahres hat China im Handel mit dem Rest der Welt einen Überschuss von 518 Mrd. $ erwirtschaftet. Das sind 8% mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres und entspricht historisch betrachtet einem einsamen Rekordwert, wie Christopher Wood, Chefstratege des US-Brokerhauses Jefferies, vorrechnet:

Für diesen Handelsüberschuss gibt es zwei Gründe: Erstens dämpft die inländische Konjunkturschwäche die Importnachfrage, und zweitens hat Chinas Zentralregierung in den vergangenen Jahren über direkte und indirekte Subventionen eine Strategie verfolgt, die das Ziel hatte, den heimischen Produktionssektor massiv zu stärken. Als Resultat produziert China viel mehr, als die heimische Nachfrage zu absorbieren vermag – und der Produktionsüberschuss muss exportiert werden, egal zu welchem Preis.

Nur ein Beispiel, vorgerechnet von Jörg Wuttke, dem langjährigen ehemaligen Präsidenten der EU-Handelskammer in Peking: China zählt mehr als 140 verschiedene Automobilhersteller, die in mehr als 450 Fabriken zusammen die Produktionskapazitäten besitzen, um pro Jahr 50 Mio. Autos herzustellen. Die inländische Automobilnachfrage beläuft sich jedoch auf weniger als die Hälfte davon – also müssen die Hersteller versuchen, ihre Überproduktion im Ausland abzusetzen.

Importzölle steigen weltweit

Doch der Rest der Welt ist immer weniger bereit, Chinas Überproduktion zu absorbieren. Die Regierung Kanadas hat am Montag angekündigt, Importzölle von 100% auf Elektroautos aus China – inklusive Tesla-Fahrzeuge – zu verhängen. Zudem erhebt Ottawa neu Importzölle von 25% auf Stahl und Aluminium aus China.

Damit zieht Kanada mit den USA gleich; die Biden-Regierung hatte Importzölle gleichen Ausmasses bereits im Mai angekündigt. Auch die EU-Kommission hat seit Juli Importzölle für E-Autos aus China verhängt, wobei deren definitive Höhe Anfang November festgesetzt werden soll.

Das sind keine Einzelfälle. Selbst Staaten des sogenannten Globalen Südens, beispielsweise Brasilien, Indonesien und die Türkei, haben in den vergangenen Monaten Zölle auf Importe von chinesischen Gütern eingeführt. Yanmei Xie, Analystin der Hongkonger Research-Boutique Gavekal, geht davon aus, dass das erst der Anfang ist. «Weil die Welthandelsorganisation WTO in ihrer Schiedsrichter-Funktion dysfunktional geworden ist, wird jedes Land individuell bestimmen müssen, wie es sich künftig schützen will», schreibt sie.

Der regelbasierte Globalisierungsboom der vergangenen drei Jahrzehnte, von dem nicht zuletzt kleine, offene Volkswirtschaften wie die Schweiz profitiert haben, ist vorbei.

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