Freitag, Oktober 4

Brüssel ist jetzt autorisiert, Importzölle auf chinesische Autos zu erheben. Das reflektiert eine Verschiebung der Machtverhältnisse in Europa.

Es ist ein Erfolg für die Kommissionschefin von der Leyen und für die Handlungsfähigkeit der EU. Und es ist eine Niederlage für Bundeskanzler Olaf Scholz und den «merkantilistischen» Umgang mit der Supermacht China. Am Freitag haben die EU-Staaten bestätigt, dass die Kommission Zölle von bis zu 35,3 Prozent auf den Import chinesischer Elektroautos erheben darf. Mit dem Ziel, eine künstliche Verbilligung durch staatliche Subventionen zu kompensieren.

Die Entscheidung ist bedeutsam über die Handelspolitik hinaus. Sie ist Ausdruck eines gestärkten Selbstbewusstseins und der grösseren Selbständigkeit der Europäischen Union gegenüber dem fernöstlichen Rivalen und Systemkonkurrenten: Endlich wirft die EU ihre Marktmacht in die Waagschale. Vielleicht ist jetzt die Zeit vorbei, da die Europäer lieber früher als später vor den chinesischen Drohgesten einknickten. Etwa, wenn es um die massenhafte Einfuhr von Solarpanels ging oder um die Übernahme der sicherheitsrelevanten Breitbandtechnologie aus China.

Berlin hat nicht mehr das Sagen

Und noch etwas ist neu. Während der Merkel-Jahre, so der in Berlin forschende China-Experte Noah Barkin, sei die europäische Chinapolitik ganz selbstverständlich in der deutschen Hauptstadt gemacht worden. Berlin sprach mit Peking, setzte die Leitlinien und boxte das Resultat in Brüssel durch. Letztmals beim kurzlebigen Investitionsabkommen von 2020. Das ist nicht mehr der Fall. In Berlin sitzt eine zerstrittene Regierungskoalition. Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Scholz blieb nicht viel anderes übrig, als die Initiative aus Brüssel zur Kenntnis zu nehmen und das Ergebnis zu schlucken.

Das heisst nicht, dass Berlin und die deutsche Autoindustrie sich nicht gewehrt hätten. Das Schreckgespenst eines Handelskrieges mit China wurde beschworen. Länder wie Ungarn oder die Slowakei, wichtige Zulieferer der deutschen Industrie, schwenkten ein. Auch China hatte bis zuletzt versucht, den Schritt abzuwenden. Sein Handelsminister Wang Wentao reiste nach Italien und hoffte, Giorgia Meloni umstimmen zu können.

Das gelang, wenig überraschend, nicht: Italiens Autoindustrie ist am Boden, die verbilligten chinesischen Importe könnten die einst so stolzen Autobauer noch tiefer in die Knie zwingen. So waren es am Ende Frankreich, Italien und Polen, die zusammen mit sieben weiteren Ländern den Brüsseler Vorstoss deckten. Die von Deutschland angestrebte Sperrminorität kam nicht zustande.

Das Ergebnis ist auch ein Prestigegewinn für die machtbewusste Kommissionspräsidentin. Sie wandte das gleiche Rezept an, das ihr schon bei der Mobilisierung für die Ukraine zum Erfolg verholfen hatte: Im kleinen Kreis heckt sie eine Initiative aus, gibt überraschend die neue Marschrichtung vor und sucht erst dann die breite Unterstützung der Länder. Denn ohne diese ist sie machtlos.

Die Methode von der Leyen

2022 war sie mit Sanktionspaketen gegen Russland vorgeprescht, dann mit einem tollkühnen Mitgliedschaftsangebot an die Ukraine. Tatsächlich schaffte sie es, die vom Krieg geschockten Länder hinter sich sammeln. Das ist ihr jetzt in einem weniger dramatischen Umfeld wieder gelungen. Erst vor einem Jahr hatte sie unerwartet eine Untersuchung der staatlichen Beihilfen für die chinesische Autoindustrie angekündigt. Jetzt hat sie freie Hand, Zölle zu erheben.

Aber niemand hat ein Interesse an einem Handelskrieg. Zum Glück auch China nicht, dessen Autoindustrie den europäischen Markt nicht verlieren will. Die Verhandlungen zwischen Brüssel und Peking gehen weiter, aber Brüssels Position ist jetzt breit abgestützt. Teilen und herrschen, die chinesische Strategie im Umgang mit der EU, ist ins Leere gelaufen.

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