Mittwoch, Januar 15

Laut dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang sollen Hightech-Branchen wie die Halbleiterindustrie, Umwelttechnologien und die Produktion von Elektroautos das Fundament der chinesischen Wirtschaft bilden. Experten zweifeln an der Schlüssigkeit der Strategie.

Wie im vergangenen Jahr strebt China auch für 2024 ein Wirtschaftswachstum in Höhe von rund 5 Prozent an. Dies verkündete der chinesische Ministerpräsident Li Qiang in seinem Arbeitsbericht vor der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses (NVK), die am Dienstag in der Grossen Halle des Volkes in Peking begann.

«China hat unvergleichliche institutionelle Stärken und Vorteile wie die Nachfrage eines riesigen Marktes, ein komplettes industrielles System mit integrierten Lieferketten und hochqualifizierte Arbeitskräfte», rief Chinas Regierungschef den knapp 3000 Delegierten des NVK zu.

Im vergangenen Jahr wuchs Chinas Wirtschaft nach offiziellen Angaben um 5,2 Prozent. Der Grund dafür waren allerdings auch Basiseffekte; 2022 standen weite Teile Chinas noch unter Corona-Lockdowns, bei vielen Firmen stand der Betrieb still. Manche Experten glauben allerdings auch, dass die Daten der chinesischen Regierung geschönt sind.

Verzicht auf substanzielle Konjunkturspritzen

Wie erwartet, will China auch in diesem Jahr auf substanzielle Konjunkturspritzen verzichten. Das Haushaltsdefizit soll gemäss den Planungen der Regierung bei 3 Prozent liegen. Um die Investitionen anzukurbeln, will Peking eine weitere Anleihe mit einem Volumen von umgerechnet 137 Milliarden Dollar begeben. Die Transfers an die hochverschuldeten Lokalregierungen sollen geringfügig gesteigert werden.

Die schwache chinesische Währung engt den Spielraum der chinesischen Zentralbank für Zinssenkungen ein. Li sprach in seinem Vortrag denn auch von einer Geldpolitik «mit Bedacht». Experten rechnen für das laufende Jahr mit Leitzinssenkungen im Umfang von zehn bis zwanzig Basispunkten.

Das Wachstumsziel der chinesischen Regierung liegt zum Teil deutlich oberhalb der Prognosen des Währungsfonds und der meisten privaten Analysten. Louise Loo, Ökonomin bei Oxford Economics in Singapur, sieht das Wachstumspotenzial im laufenden Jahr eher in der Nähe von 4 Prozent, es sei denn, Regierung und Zentralbank griffen zu weiteren Stimulusmassnahmen.

Dass Chinas Exportsektor für nennenswerte Wachstumsimpulse sorgt, ist unwahrscheinlich. Im Zug der sich verschärfenden geopolitischen Spannungen versuchen immer mehr westliche Länder, chinesischen Firmen den Marktzugang mithilfe von Zöllen zu erschweren.

Enttäuschung bei den Anlegern

Die Anleger in China zeigten sich von Lis Vortrag denn auch enttäuscht. Der Hang-Seng-Index der Börse Hongkong fiel bis zum Handelsschluss um 2,7 Prozent. Der Leitindex der Börse Schanghai konnte immerhin um knapp 0,3 Prozent zulegen.

Der Crash am Immobilienmarkt und die schlechte Geschäftslage vieler Unternehmen dämpfen die Inlandsnachfrage und haben das Vertrauen der Konsumenten regelrecht abstürzen lassen. Umso mehr verwundert es, dass China für das laufende Jahr einen Anstieg der Verbraucherpreise in Höhe von 3 Prozent anstrebt. Im Januar waren die Preise in China so stark gefallen wie seit 15 Jahren nicht mehr.

In den Augen des Staats- und Parteichefs Xi Jinping, der am Ende alle wirtschaftspolitischen Entscheide im Alleingang trifft, befindet sich Chinas Wirtschaft in einer mehrjährigen schmerzhaften Umbauphase, innerhalb deren die Chinesinnen und Chinesen ihre Gürtel enger schnallen müssen.

«Entwicklung mit hoher Qualität»

Xi strebt eine «Entwicklung mit hoher Qualität» an; das von Spekulation, Schulden und immer neuen Investitionen in unproduktive Sektoren getriebene Wachstum soll der Vergangenheit angehören. Dies ist auch ein Grund dafür, dass die Regierung von nennenswerten Stützungsmassnahmen für den strauchelnden und hochverschuldeten Immobiliensektor absieht.

Wie ein roter Faden zog sich durch Lis knapp einstündigen Vortrag das Plädoyer für den Aufbau einer modernen Industrie. In Zukunft sollen Hightech-Branchen wie die Halbleiterindustrie, Umwelttechnologien, die Produktion von Elektroautos oder die Herstellung von Industrierobotern das Fundament der chinesischen Wirtschaft bilden. Der chinesische Staat will solche Branchen künftig gezielt fördern.

Kein nennenswerter Produktivitätsschub

So richtig ein solches Umsteuern sein mag, so überschaubar dürften die konjunkturellen Effekte sein. «Solche Investitionen werden sicherlich erfolgreiche Unternehmen hervorbringen», sagt Arthur Kroeber, China-Experte bei Gavekal Dragonomics.

Allerdings sei es ausgeschlossen, dass diese neuen Hightech-Industrien, egal wie erfolgreich sie am Ende sein mögen, die wegfallende Nachfrage des schrumpfenden Immobiliensektors ersetzen. Ein Produktivitätsschub für die gesamte chinesische Wirtschaft, der zu insgesamt steigenden Einkommen und einer kräftigen Erholung der Nachfrage führe, sei mit Blick auf Xis Strategie der «Entwicklung mit hoher Qualität» ausgeschlossen, glaubt Kroeber.

Auffällig an Lis Vortrag in der Grossen Halle des Volkes war, dass er die nationale Sicherheit, ein Kernanliegen Xis, mit keinem Wort erwähnte. In den vergangenen Jahren hatte die Regierung mit immer neuen Gesetzen zur Spionageabwehr oder zum Transfer von Daten ins Ausland für erhebliche Verunsicherung bei ausländischen Investoren gesorgt. Offenbar will Chinas Regierung die zunehmenden Vorbehalte ausländischer Firmen gegenüber China nicht weiter schüren.

Wie im vergangenen Jahr will Peking das Verteidigungsbudget um 7,2 Prozent anheben. Auf Kriegsrhetorik wie im vergangenen Jahr verzichtete der Ministerpräsident in diesem Jahr allerdings. Seinerzeit hatte Lis Vorgänger Li Keqiang noch vom Aufbau einer Armee gesprochen, die in der Lage sein müsse, «Kriege zu führen und zu gewinnen».

Zurückhaltend fielen auch Lis Ausführungen zur Taiwan-Politik aus. Im Wesentlichen wiederholte Chinas Regierungschef bekannte Positionen, nach denen Peking am Ein-China-Prinzip festhalte, sich gegen «separatistische Aktivitäten» und eine Unabhängigkeit Taiwans stelle. Peking will augenscheinlich Signale der Entspannung senden.

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