Donnerstag, Dezember 26

Wenn am Dienstag die Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses beginnt, erwarten internationale Investoren einen schlüssigen Plan zur Stabilisierung der taumelnden Wirtschaft. Sie dürften enttäuscht werden.

Seit Monaten warten chinesische und internationale Investoren mit Spannung auf die Sitzung des dritten Plenums des 20. Zentralkomitees. Eigentlich hätte das Treffen, an dem die Kommunistische Partei für gewöhnlich Reformen für die Wirtschaft ankündigt, bereits im November stattfinden sollen.

Als die Parteispitze auch im Dezember das Plenum noch nicht einberufen hatte, rechneten Beobachter mit einer Sitzung unmittelbar nach dem chinesischen Neujahrsfest Ende Februar. Doch es passierte nichts.

Für die meisten Experten ist dies ein klares Signal, dass die chinesische Regierung an der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses (NVK) keinen umfassenden Plan zur Stützung der schwer angeschlagenen Wirtschaft vorlegen wird. Die Tagung beginnt am Dienstag in der Grossen Halle des Volkes in Peking. Li Qiang, Chinas Ministerpräsident, wird dann einen Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung im vergangenen Jahr und die wirtschaftspolitischen Pläne der Regierung für 2024 präsentieren.

Zweifel an den offiziellen Zahlen

Die meisten Analysten rechnen damit, dass Li bei seinem Vortrag für das laufende Jahr ein Wachstumsziel von rund 5 Prozent ausgeben wird. Die meisten der 33 Provinzen des Landes haben bereits entsprechende Ziele in dieser Grössenordnung formuliert. Für das vergangene Jahr galt eine Zielmarke von «rund 5 Prozent». Laut offiziellen Angaben wuchs das chinesische Bruttoinlandprodukt (BIP) im vergangenen Jahr um 5,2 Prozent.

Nicht wenige Experten zweifeln allerdings an den Zahlen der Regierung. Logan Wright und Daniel Rosen von der in New York ansässigen Rhodium Group gehen davon aus, dass das Wachstum im vergangenen Jahr lediglich bei 2 bis 3 Prozent lag.

Sollte Chinas Regierung für das laufende Jahr wie erwartet ein Wachstumsziel von 5 Prozent vorgeben, dürften viele Experten die Stirn runzeln. Angesichts des anhaltenden Abschwungs am Immobilienmarkt, der schwachen Inlandsnachfrage, der hohen Verschuldung und der Kaufzurückhaltung der Konsumenten dürfte das Ziel schwer zu erreichen sein. Wang Tao, China-Analystin der UBS in Hongkong, rechnet für das laufende Jahr mit einem Zuwachs des BIP in Höhe von 4,6 Prozent.

Keine Stimulusmassnahmen in bedeutender Grössenordnung

Doch auch das würde Stimulusmassnahmen in einer bedeutenden Grössenordnung erfordern. Davon ist aber nichts zu erkennen. Den Immobilienmarkt versuchte die Regierung während der vergangenen Monate im Wesentlichen mit Senkungen der Zinsen für Hypothekendarlehen und Lockerungen der Bestimmungen für den Erwerb einer zweiten und dritten Wohnung zu stützen. Das Vertrauen der Chinesinnen und Chinesen in den Immobiliensektor ist dadurch nicht zurückgekehrt.

Die Investitionen versuchte die Regierung mit einer Anleihe in Höhe von knapp 140 Milliarden Dollar anzuregen. Das Geld soll in Umweltprojekte, unter anderem in den Ausbau des Netzes von Batterieladestationen, fliessen. Experten halten die Grössenordnung allerdings für viel zu gering, um für nennenswertes Wachstum zu sorgen.

Statt eines breit angelegten Konjunkturpaketes dürfte die Regierung an der Jahrestagung des NVK einige wenige Stützungsmassnahmen ankündigen. Die UBS-Analystin Wang geht davon aus, dass Ministerpräsident Li am Dienstag ein Defizit des Haushalts in Höhe von 3,8 Prozent verkünden wird. Die Regierung dürfte eine weitere Anleihe mit einem Volumen von knapp 140 Milliarden Dollar für Investitionen in Infrastruktur begeben.

Mit Blick auf die Zinspolitik sind der Regierung praktisch die Hände gebunden, hat doch der chinesische Yuan in den vergangenen Monaten erheblich an Wert verloren. Li wird in seinem Rechenschaftsbericht darum mit grosser Wahrscheinlichkeit von einer Geldpolitik «mit Bedacht» sprechen. Wang erwartet für dieses Jahr Leitzinssenkungen von zehn bis zwanzig Basispunkten.

Alte Haushaltsgeräte und Autos zurückgeben

Den privaten Konsum wollen Chinas Machthaber in diesem Jahr mit einem speziellen Rabattsystem stimulieren. Dabei können Chinesinnen und Chinesen alte Haushaltsgeräte und Autos bei den Händlern zurückgeben und im Gegenzug kostengünstig neue Produkte erwerben.

Der Schritt dürfte aber bestenfalls ein kurzes Strohfeuer erzeugen. Viele Menschen haben durch die Schwäche an den Aktienmärkten und den Immobiliencrash viel Geld verloren und sind nicht bereit, ihre Geldbörsen in grossem Stil zu öffnen.

Auch wenn die hohe Verschuldung der Lokalregierungen keine tiefen Griffe in die öffentlichen Kassen mehr erlaubt, wären angesichts der Schwere der Krise vor allem im Immobiliensektor verstärkte fiskalische Massnahmen angebracht, könnten diese doch für neues Vertrauen bei Konsumenten und Investoren sorgen. Da Chinas Wirtschaft aber vor den grössten Herausforderungen seit Jahrzehnten steht, wären strukturelle Reformen weitaus wichtiger.

Der Staat müsste sich aus der Wirtschaft zurückziehen

Dazu müsste sich der Staat ein Stück weit aus der Wirtschaft zurückziehen und den privaten Sektor stärken. Zwar will die Regierung bald ein Gesetz implementieren, das privaten Firmen mehr Planungssicherheit gibt. Solche Massnahmen werden aber immer wieder durch staatliche Eingriffe konterkariert, mit denen die Regierung Firmen dazu zwingen will, mit ihrem unternehmerischen Handeln in erster Linie den Zielen der Kommunistischen Partei zu dienen.

Dass Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping, der inzwischen alle wichtigen Entscheidungen alleine trifft, von dieser Politik abrückt, ist kaum zu erwarten. In seinen Augen befindet sich die chinesische Wirtschaft in einem tiefgreifenden Umbau, aus dem das Land gestärkt hervorgehen wird. Ohne echte Reformen ist das allerdings eher unwahrscheinlich.

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