Freitag, Oktober 18

Zwischen August und Oktober wuchs Chinas Wirtschaft so langsam wie seit mehr als einem Jahr nicht mehr. Jetzt wird klar, warum die Regierung an einem Konjunkturprogramm arbeitet.

Das Wachstumsziel der chinesischen Regierung für das laufende Jahr in Höhe von 5 Prozent rückt in immer weitere Ferne. Im dritten Quartal wuchs Chinas Wirtschaft im Jahresvergleich nur noch um 4,6 Prozent. Im zweiten Quartal hatte die Wachstumsrate noch bei 4,7 Prozent gelegen; zwischen Januar und März wuchs das Bruttoinlandprodukt sogar um mehr als 5 Prozent.

Chinas Wirtschaftswachstum sei «alles in allem stabil», sagte Sheng Laiyun, stellvertretender Direktor des Nationalen Statistikbüros, als er die Konjunkturdaten am Freitag in Peking vorlegte. Er räumte allerdings ein, das Wachstum habe «während der ersten drei Quartale fluktuiert».

Die meisten Analysten bezweifeln inzwischen, dass China sein selbstgestecktes Ziel für 2024 noch erreichen kann. «Sollte sich dieser Trend im Schlussquartal fortsetzen, wird es schwierig, das Wachstumsziel in Höhe von fünf Prozent zu erreichen», sagte Zhang Zhiwei, Chefökonom bei Pinpoint Asset Management, gemäss der Nachrichtenagentur Bloomberg. Vermutlich habe die chinesische Regierung deshalb entschieden, ihre Politik zu ändern und das Wachstum anzukurbeln.

Millionen Hochschulabsolventen finden keine Jobs

Die Lage ist wohl ernster, als es die Zahlen der Regierung glauben machen sollen. Millionen Hochschulabsolventen finden keine Arbeitsplätze. Im ganzen Land schliessen Fabriken, Restaurants und Läden, weil Aufträge und Kunden fehlen. Und immer mehr Städte und Provinzen können ihre Beamten und Angestellten nicht mehr bezahlen. Das Schlimmste: Die Preise für Wohnungen und Häuser fallen weiter. Es stellt sich mithin die Frage, wie verlässlich die offiziellen Daten überhaupt noch sind.

Die Regierung scheint jedenfalls in höchster Alarmbereitschaft zu sein. Seit der letzten Septemberwoche überschlagen sich Zentralbank, verschiedene Ministerien und andere Behörden mit der Ankündigung immer neue Massnahmen, die der Konjunktur zu neuem Schwung verhelfen sollen.

Zinssenkungen, Geldspritzen zur Stabilisierung der Aktienmärkte und Banken, Hilfen für die bis über die Halskrause verschuldeten Lokalregierungen, staatliche Zuschüsse, die den Konsum in Fahrt bringen sollen, Lockerungen bei den Bestimmungen zum Erwerb von Wohneigentum – die Liste liesse sich beliebig fortsetzen, es ist für jeden etwas dabei.

Rund 560 Milliarden Dollar an Krediten

Am Donnerstag war das Ministerium für Wohnungsbau an der Reihe. China werde die Summen für die Anzahlung beim Kauf einer Wohnung herabsetzen, die Zinsen für laufende Immobiliendarlehen senken und die Steuern, die beim Verkauf einer Altimmobilie anfallen, reduzieren, versprach der Wohnungsbauminister Ni Hong. Ausserdem will Peking rund 560 Milliarden Dollar an Krediten bereitstellen. Mit dem Geld sollen halbfertige Wohnungen zu Ende gebaut werden.

Nach den ersten Ankündigungen der Zentralbank und des Politbüros in der letzten Septemberwoche setzten die chinesischen Aktienmärkte zu einer in den vergangenen Jahren beispiellosen Kursrally an. In den vergangenen Tagen sind die Anleger allerdings vorsichtiger geworden. Die Zeit der grossen Kursgewinne scheint in China erst einmal vorbei zu sein. Die Volatilität ist zurück.

Ein Grund dafür ist sicherlich, dass die Regierung noch keine abschliessende Summe für ein Konjunkturprogramm genannt hat. Ein renommierter Ökonom hatte ein mögliches Volumen von 10 Billionen Yuan, umgerechnet 1,4 Billionen Dollar, ins Spiel gebracht. Jüngst kursierte in Peking die Zahl 6 Billionen Yuan.

Gerüchte beflügeln die Gier der Anleger

Solche Gerüchte beflügeln die Phantasie und sicherlich auch die Gier der Anleger. Nun ist es nicht die Aufgabe der Regierung, den Profithunger der Investoren zu stillen. Auch ist verständlich, dass Peking Übertreibungen und anschliessende Abstürze an den Aktienmärkten vermeiden will und deshalb noch keine abschliessende Summe für ein Konjunkturprogramm nennt.

Dennoch würde man sich eine verbesserte Kommunikation im Zusammenhang mit der Bekämpfung der augenscheinlichen Wirtschaftskrise wünschen. Momentan entsteht durch beinahe täglich neue Verlautbarungen eher der Eindruck von einem unkoordinierten Aktivismus. Es wäre hilfreich, wenn die chinesische Regierung einen konkreten Fahrplan für die Umsetzung der zahlreichen Einzelmassnahmen nennen würde.

Ein mögliches Konjunkturprogramm muss vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses genehmigt werden. Den Termin für die nächste Sitzung hält Peking bis anhin – warum auch immer – aber geheim.

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