Mittwoch, November 27

Bricht zwischen China und den USA ein offener Konflikt aus, könnte Peking seinem Konkurrenten extrem schaden. Drei Szenarien, wie das geschehen könnte.

Die Logistik in den amerikanischen Häfen ist fest in chinesischer Hand. Rund 80 Prozent der Containerkräne in den USA stammen aus chinesischer Produktion. In einzelnen Fällen ist China auch an den Betreiberfirmen von Hafenterminals beteiligt. Den amerikanischen Behörden bereitet diese Abhängigkeit Sorgen.

Im Raum steht die Befürchtung, Peking könne die marktbeherrschende Position seiner Firmen für Spionage nutzen oder über einen Fernzugriff die Kräne sogar zum Stillstand bringen. Im Fall eines Konflikts hätte das chinesische Regime damit die Möglichkeit, die amerikanischen Lieferketten zu unterbrechen.

In den letzten Monaten ist die amerikanische Politik deshalb aktiv geworden. Bereits im Februar hatte Präsident Joe Biden Massnahmen erlassen, um die IT-Sicherheit von Kränen und den damit zusammenhängenden Logistiksystemen in den Häfen zu verbessern. Weitere Vorschriften hat die Küstenwache im November in Kraft gesetzt.

Grund für die verschärften Sicherheitsbestimmungen ist vor allem eine Firma: das chinesische Staatsunternehmen Shanghai Zhenhua Heavy Industries (ZPMC). Die Firma ist mit einem Marktanteil von rund 70 Prozent die Weltmarktführerin bei Containerkränen. In den USA liegt der Marktanteil gar bei fast 80 Prozent, wie es in einem Bericht aus dem amerikanischen Kongress vom September heisst.

Die USA verdächtigen ZPMC, aus der Ferne auf die Hafenkräne zugreifen zu können. Ein Fernzugriff über das Internet mag zwar für die Wartung legitim sein. Diese würde der Herstellerfirma aber auch erlauben, Informationen über die verschifften Container zu sammeln oder den Kran aus der Ferne auszuschalten.

Offenbar gibt es technische Installationen für einen solchen Fernzugriff. Bei einigen der chinesischen Containerkräne in den USA wurden Mobilfunkmodems gefunden, die dort nicht hingehörten. Die Geräte ermöglichten eine Diagnose und Überwachung aus der Ferne, heisst es im Untersuchungsbericht des Kongresses. Allerdings hätten die betroffenen Hafenbetreiber keine entsprechende Funktion bestellt oder in ihrem Vertrag gehabt.

Verdächtig erscheint den Amerikanern auch, dass ZPMC laut Branchenvertretern dafür bekannt ist, die Besteller ihrer Containerkräne zu einem Fernzugriff zu drängen, heisst es im Bericht. Die Firma ZPMC hat gegenüber den amerikanischen Behörden bestritten, für die Modems verantwortlich zu sein.

Insgesamt handelt es sich bei den Geräten um eine verdächtige Installation. Ein Beweis für chinesische Spionage sind sie aber nicht.

Angriff auf Taiwan könnte Eskalation mit China bringen

China investiert seit Jahren in die weltweiten Logistikketten, beteiligt sich im Rahmen der Belt-and-Road-Initiative an Häfen oder baut Eisenbahnstrecken. Chinesische Unternehmen sind zum Beispiel auf dem Balkan äusserst aktiv. Sie kontrollieren etwa den Hafen von Piräus oder haben am Bau der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Belgrad und Budapest mitgewirkt. Diese Eisenbahnverbindung bezeichnen chinesische Medien als «Vorbild für die pragmatische Zusammenarbeit zwischen China und Europa».

Bei chinesischen Investitionen gab es immer auch Diskussionen über Risiken und die Gefahr einer Abhängigkeit von Peking. In Deutschland kam etwa 2022 diese Debatte aufgrund einer Beteiligung am Hamburger Hafen auf. In Peru sorgten exklusive Rechte für die Chinesen beim neuen Hafen von Chancay für öffentliche Empörung.

Neben Sicherheitsbedenken und geopolitischen Risiken beinhalten die Debatten aber meist auch eine Prise Protektionismus. Der wirtschaftliche Vormarsch Chinas soll eingeschränkt werden.

Der industriepolitische Aspekt findet sich auch bei den amerikanischen Massnahmen von diesem Jahr. Die USA argumentieren, dass ZPMC einen Wettbewerbsvorteil gehabt habe. Das Unternehmen habe nur dank billigen chinesischen Arbeitskräften und subventioniertem Stahl die Kräne zu ungewöhnlich tiefen Preisen anbieten und so zum Weltmarktführer aufsteigen können. Die Regierung Biden hat deshalb im Frühjahr Milliardeninvestitionen in die Hafeninfrastruktur angekündigt, welche die Produktion von Hafenkränen zurück in die USA bringen sollen.

Doch die amerikanischen Sicherheitsbedenken nur als vorgeschobenes Argument für eine protektionistische Industriepolitik abzutun, greift zu kurz. Die maritime Logistik ist ein verletzliches Element der amerikanischen Wirtschaft. Selbst die US-Streitkräfte sind mit ihren Stützpunkten und Einsätzen rund um den Globus auf funktionierende Häfen angewiesen. In einigen der vom amerikanischen Militär genutzten Häfen stehen laut dem «Wall Street Journal» ebenfalls Kräne von ZPMC.

Es sind deshalb mehrere Szenarien denkbar, wie China Fernzugriffe auf Hafenkräne in den USA ausnützen könnte, um der amerikanischen Wirtschaft oder dem Militär zu schaden.

Spionage

Wenn amerikanische Truppen ihr Material verschieben oder Nachschub beziehen, sind die Informationen über die dazugehörende Logistik äusserst wertvoll. Sie lassen Rückschlüsse auf militärische Stärke, eingesetztes Gerät oder geplante Operationen zu. Das sind Informationen, an denen China interessiert ist.

Im zivilen Bereich gibt es ebenfalls Firmen, deren Handelsbeziehungen für Peking von Interesse sein können. China wird nachgesagt, riesige Datenmengen zu sammeln, um diese dann nach Bedarf analysieren zu können. Mutmasslich chinesische Angreifer haben zahlreiche Cyberattacken ausgeführt, um zum Beispiel Hotelreservierungen, Gesundheitsdaten oder Finanzinformationen in riesigem Ausmass zu entwenden. Dass China zu Spionagezwecken auch Daten des Welthandels sammelt, ist deshalb denkbar.

Sabotage bei erhöhten Spannungen

Interessant wird ein Fernzugriff auf die amerikanische Hafenlogistik im Falle verstärkter Spannungen zwischen China und den USA. Dann könnte das Regime in Peking allfällige Hintertüren auch zur Sabotage nutzen. Denkbar ist etwa, das gewisse Container falsch abgestellt oder verladen werden, was zu Verzögerungen führt.

Möglicherweise lässt sich gar das gesamte Logistiksystem für einige Stunden oder Tage stören. Allerdings fallen solche Störungen irgendwann auf, und der Verdacht würde rasch auf China fallen. Diesen Umstand könnte Peking aber im Falle erhöhter Spannungen in Kauf nehmen. Öffentlich liesse sich die Urheberschaft weiterhin abstreiten.

Krieg um Taiwan

Kommt es zum militärischen Angriff Chinas auf Taiwan, kann die Hafenlogistik an der amerikanischen Westküste ein entscheidender Faktor sein. Die amerikanische Unterstützung Taiwans ist auf den Schiffsverkehr angewiesen. Auch die amerikanischen Stützpunkte im Pazifikraum benötigen Nachschub auf dem Seeweg.

Gelingt es China, die Logistik in Containerterminals wie in Long Beach oder Seattle zu stören, kann das Folgen für den Krieg haben. Noch entscheidender im Konfliktfall sind die Hafenanlagen auf der Insel Guam, einem Aussengebiet der USA, das nur knapp 2800 Kilometer von Taiwan entfernt liegt. Das macht Guam zu einem strategisch wichtigen Stützpunkt des amerikanischen Militärs.

Wie ernst solche Szenarien zu nehmen sind, zeigen weitere Aktivitäten Chinas. Im Februar hatten die USA eine grössere chinesische Cyberoperation publik gemacht, bei der eine Gruppe namens Volt Typhoon in die IT-Systeme von Kommunikationsanbietern, Energieversorgern und Transportunternehmen eingedrungen war. Explizit nannten die Behörden auch kritische Infrastrukturen auf der Insel Guam, die Ziele von Cyberangriffen gewesen seien.

Interessant an Volt Typhoon ist, dass deren Cyberaktionen laut den amerikanischen Behörden nicht dem Muster der klassischen Spionage Chinas entsprechen. Stattdessen gehen die USA davon aus, dass sich die Angreifer in den IT-Systemen der Infrastrukturbetreiber eingenistet haben, um diese im Falle eines Konflikts zu können.

Die Cyberoperation von Volt Typhoon zeigt: Die Hafenkräne sind nur ein Element innerhalb einer grösseren Bedrohung. China versucht, so ist anzunehmen, auf breiter Basis Vorbereitungen für den Konfliktfall zu treffen. Welche Hintertüren sich dann tatsächlich ausnutzen lassen und wie gross deren Effekt wäre, ist ungewiss. Doch die USA können es sich nicht leisten, dieses Risiko zu ignorieren.

Die USA wollen die gesamte Lieferkette schützen

Die USA gewichten die nationale Sicherheit hoch. Das liegt an ihrer Rolle als Grossmacht. Sie sind einerseits mit umfassenderen und intensiveren Bedrohungen konfrontiert, als es die meisten anderen Staaten sind. Washington kann es sich andererseits auch wirtschaftlich leisten, Massnahmen zum Schutz seiner kritischen Infrastrukturen zu ergreifen und auf Produkte aus China zu verzichten.

Die USA betrachten bei der Frage der nationalen Sicherheit die gesamte Lieferkette. Um chinesische Komponenten daraus zu verbannen, ist ein riesiger Aufwand mit neuen Produktionsstandorten nötig. Dieses sogenannte «Decoupling», also das Auflösen der wirtschaftlichen Verflechtungen mit China, widerspricht dem Geist der Globalisierung. Es stört den weltweiten Handel und sorgt für Mehrkosten.

Doch die USA haben sich bereits entschieden, diesen Weg einzuschlagen. Die Hafenkräne sind nur ein Beispiel dafür. In Europa sorgt dieser umfassende Ansatz der USA teilweise noch für Verwunderung. Doch er ist die neue Realität.

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