Der Walliser Mitte-Politiker erwägt eine Rückkehr nach Bern, wo er einst steile Karriere machte. Wie weit hängen ihm drei Affären nach?
Eigentlich sollte Erfahrung in Bern ein grosses Plus sein für einen möglichen Bundesratskandidaten. Doch bei Christophe Darbellay ist die Sache aus mehreren Gründen komplexer: Er stieg vor so langer Zeit in Bern auf, dass seit seinem Abschied ins Wallis drei Parlamentswahlen vergingen. Rund 60 Prozent der heutigen Parlamentarier, die ihn gegebenenfalls bald wählen sollen, kennen ihn nicht persönlich. Darbellay, wer ist das noch mal?
Es ist der Mann, der im Jahr 2003 mit nur 32 Jahren in den Nationalrat einzog, der damals schon ein paar Jahre Vizedirektor des Bundesamtes für Landwirtschaft war, der bald Präsident der Mitte-Vorgängerin CVP wurde und es zehn Jahre blieb, bis 2016. Dann ging er zurück ins Wallis und wurde zwei Mal in den Regierungsrat gewählt, wo er das Departement für Volkswirtschaft und Bildung leitet.
Darbellay brachte sich auf RTS ins Gespräch
Jetzt will Darbellay – vielleicht – zurück nach Bern. Bis zum Stichtag der Mitte-Partei am 3. Februar will er verkünden, ob er Nachfolger von Bundesrätin Viola Amherd werden will, die auf Ende März zurücktritt. Vergangene Woche brachte der 53-Jährige sich, nach der Absage mehrerer Favoriten, im Westschweizer Radio und Fernsehen RTS ins Gespräch: Er habe der Parteileitung sein grundsätzliches Interesse bekundet und denke nach.
Zum Nachdenken gehört natürlich das Sondieren seiner Chancen. Und dabei könnte Darbellay eine Berner Episode aus jener Zeit zum Verhängnis werden, als er ein junger, aufstrebender Nationalrat und Parteichef war, eine Episode von 2007. «Man hat seine Rolle bei der Absetzung Christoph Blochers nicht vergessen und noch weniger vergeben», sagte der SVP-Nationalrat Franz Grüter dieser Tage der Walliser Zeitung «Le Nouvelliste».
Aber wer genau hat in der grössten Bundeshausfraktion weder vergessen noch vergeben, dass Darbellay zusammen mit der SP den Bundesrat Blocher absägte? Wohl eher die älteren Parteigrössen. Für die neue Generation dürfte das kein Ausschlusskriterium sein, sagte sinngemäss der Freiburger SVP-Nationalrat Nicolas Kolly, 38 Jahre alt, der Zeitung «Le Matin Dimanche».
Ein Christlichdemokrat mit unehelichem Kind
Je länger eine politische Karriere, desto mehr gibt es wohl zwangsläufig zu vergeben und zu vergessen. Bei Christophe Darbellay sind es vor allem zwei weitere Dinge: Der Christlichdemokrat, der die CVP als Familienpartei positionierte und sich öffentlich als vorbildlicher Ehemann und Vater dreier Kinder zeigte, zeugte in seinen (vorerst) letzten Berner Tagen 2015 ein uneheliches Kind.
Damit ging Darbellay kurz nach der Geburt des Kindes an die Öffentlichkeit. «Mir ist bewusst, dass ich viele Freunde und Freundinnen, Wählerinnen und Wähler mit meinem Verhalten verletze oder enttäusche. Ich bitte sie um Verzeihung», sagte Darbellay damals dem «Blick».
Diese Leute mögen ihm nach so vielen Jahren verziehen haben, doch gilt das auch für die jüngste Kontroverse im vergangenen Jahr? Im Sommer hielt Darbellay zu seinem Freund Yannick Buttet, als der verurteilte Sexualstraftäter zum Präsidenten der Walliser Tourismuskammer gewählt wurde – und damit auch Vorstandsmitglied von «Wallis/Valais Promotion», wo Buttets Opfer arbeitete.
Darbellay kritisierte Umgang der Medien mit Yannick Buttet
Buttets einstimmige Wahl kritisierten mehrere Organisationen und Verbände, darunter die Mitte-Frauen. Darbellay hingegen bezeichnete die Berichterstattung in den Medien über den Fall als «Boulevard» und als der Sommerflaute geschuldet. Letztlich trat der ehemalige CVP-Nationalrat Buttet, der 2018 und 2021 wegen Nötigung und sexueller Belästigung verurteilt worden war, wenige Tage nach seiner Wahl zum Tourismuspräsidenten zurück.
Nun stellt sich zwar die Unterwalliser Sektion der Mitte-Partei offiziell hinter Darbellay. Der «Staatsmann» habe sich tiefe Kenntnisse des bundesbernischen Maschinenraums angeeignet, sein politisches Talent sei weit über die Kantonsgrenzen hinaus anerkannt, teilte die Parteisektion vergangene Woche mit. Darbellay sei fähig, Mehrheiten zu bilden und – «wenn nötig» – eine Perspektive der Konkordanz einzunehmen.
Doch stehen auch die Mitte-Frauen so geschlossen hinter Darbellay? In der Westschweizer Presse äussern Insider Zweifel daran. Sie liessen laut dem «Tages-Anzeiger» schon ihre Muskeln spielen, um eine Bundesratskandidatur ihres Parteichefs Gerhard Pfister zu verhindern, angeblich weil Personalkonflikte auf dem Generalsekretariat der Partei ungelöst seien.
Christophe Darbellay selbst will sich am Montag auf Anfrage nicht äussern. Er sei den ganzen Tag beschäftigt, gebe keine Interviews und denke weiter nach, schreibt er.
Westschweizer Stimmen ermutigen Darbellay
Die Lektüre der Westschweizer Zeitungen dieser Tage dürfte Darbellay insgesamt gefallen haben: Es gebe keine unüberwindbaren Hindernisse, lautete der Tenor. Auch nicht das Timing, das Darbellay selbst das schlechtestmögliche nannte.
Denn er kandidiert bereits für seine – quasi gesicherte – Wiederwahl als Walliser Regierungsrat am 2. März. Im Fall der Fälle müsste er sofort wieder zurücktreten, um am 12. März die Wahl zum Bundesrat anzunehmen. Doch bis auf den Co-Präsidenten der kantonalen Grünen und den Chefredaktor des «Nouvelliste» kritisierte kaum jemand öffentlich, dass Darbellay für ein kantonales Amt kandidiert und gleichzeitig offensichtlich von Grösserem träumt.