Samstag, September 28

Bei Infektionen und Verletzungen schützt sie uns vor dem Tod: die vom Immunsystem orchestrierte Entzündung. Mottet sie allerdings im Körper vor sich hin, verursacht sie selber Krankheit und Tod. Einblick in eine lebenswichtige Körperfunktion.

Schon der Name verheisst nichts Gutes. Entzündung klingt nach Feuer. Und der Fachbegriff ist nicht besser: Inflammation lässt an Flammen denken. Wenn etwas brennt, ist mit Schäden zu rechnen. So ist es auch bei der Entzündung. Sie ist die Allzweckwaffe, mit der unser Körper seine Probleme löst.

Die Probleme kommen oft von aussen, in Form von gefährlichen Krankheitserregern oder Giftstoffen. Aber auch im Körperinnern lauert Gefahr, wenn etwa bei einer Verletzung Gewebe zerstört wird. In beiden Fällen muss der Körper rasch reagieren und die Eindringlinge beseitigen und das beschädigte Gewebe reparieren.

Die Entzündung arbeitet dabei eng mit dem Immunsystem zusammen. Wie eng, hat die Corona-Pandemie anschaulich gezeigt. So muss ein eingedrungenes Virus erst durch das Immunsystem erkannt und dann durch die Entzündung vernichtet werden. Gelingt das nicht richtig, drohen Krankheit, Tod und längerfristig Long Covid. Bei all diesen Entwicklungen spielt das Doppelgespann Immunsystem-Entzündung eine zentrale Rolle.

In der Haut lässt sich die Entzündung beobachten

Manchmal kann man die Entzündung von blossem Auge beobachten. Etwa wenn sie in der Haut oder in Gelenken lodert. Aus solchen Beobachtungen haben Ärzte schon vor Jahrhunderten die noch heute gültigen fünf klinischen Zeichen der Entzündung formuliert: Rötung («rubor»), Erwärmung («calor»), Schwellung («tumor»), Schmerz («dolor») und eingeschränkte Funktion des betroffenen Körperteils («functio laesa»).

Findet die Entzündung dagegen im Körperinnern statt, etwa in den Blutgefässen, der Leber, dem Herzen oder im Gehirn, ist sie von aussen unsichtbar. Die Feuersbrunst lässt sich aber trotzdem mithilfe von biologischen Markern nachweisen.

So steigt etwa im Blut der Wert des sogenannten C-reaktiven Proteins (CRP) an. Dieser Eiweissstoff spielt bei der Diagnose einer entzündlichen Erkrankung eine wichtige Rolle. Auch die Zahl der weissen Blutkörperchen nimmt zu. Sie werden als Immun- und Entzündungszellen oder im Volksmund auch als «Polizisten» im Blut bezeichnet.

Wie bei der richtigen Polizei gibt es auch bei den weissen Blutzellen verschiedene Spezialisten, die unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Während die einen Zellen den «Polizeieinsatz» organisieren, führen ihn die andern aus. Das Ziel dabei: problematische Zellen und Substanzen unschädlich machen. Dazu setzt der Körper neben den «Polizei-Zellen» auch die von ihnen produzierten Antikörper sowie eine Reihe entzündungsfördernder Hormone und Botenstoffen ein (Zytokine).

Bei einer akuten, schweren Entzündung lösen die Botenstoffe neben Fieber und Müdigkeit auch Veränderungen im Stoffwechsel aus. Damit versucht der Körper, die Energieversorgung für das aktivierte Immun- und Entzündungssystem sicherzustellen. Die erkrankte Person fühlt sich jetzt typischerweise krank und legt sich ins Bett.

«Aus biologischer Sicht ist das ein sinnvolles Verhalten», sagt der Immunologe Burckhard Becher von der Universität Zürich. Denn dadurch sondere sich der Kranke von seinem Umfeld ab, was das Risiko für die Mitmenschen reduziere. «Zudem spart der Patient im Bett Energie, die sein Körper für die Entzündung dringend braucht.»

Aus einer akuten Entzündung wird eine chronische Krankheit

Wie jeder Polizeieinsatz einmal zu Ende geht, ist auch die Entzündungsreaktion normalerweise zeitlich begrenzt. In diesem Fall erholt sich der Patient von der Krankheit, und die im Labor gemessenen Entzündungswerte wie das erwähnte CRP normalisieren sich wieder. So ist es aber nicht immer.

«Der Körper hat einen ziemlich guten Abschaltmechanismus, wenn die akute Entzündung vorbei ist», erklärt Becher. Warum der Schalter nicht immer funktioniere, verstehe man noch nicht im Detail. Laut dem Immunologen dürfte dabei aber die genetische Ausstattung einer Person in Kombination mit Umweltfaktoren eine Rolle spielen. «So kann es zu einer Überreaktion des Immunsystems kommen, ähnlich wie bei einer Allergie.»

Nicht nur bei Long Covid kann die Entzündung lange über die akute Erkrankung hinaus anhalten. Auch andere Zustände können zu chronischen Entzündungen führen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn der Körper einen Krankheitserreger wie etwa das Tuberkulose-Bakterium oder gewisse Würmer und Pilze nicht richtig loswird und diese im Gewebe verbleiben. Auch nicht abbaubare Chemikalien oder Autoimmunkrankheiten wie die multiple Sklerose, bei denen es zu Immunattacken gegen körpereigenes Gewebe kommt, führen zu chronischen Entzündungen.

Weil eine solche systemische chronische Inflammation (SCI), wie der Fachbegriff heisst, oft auf niedriger Flamme vor sich hin mottet, wird sie nicht immer wahrgenommen. Das heisst aber nicht, dass sie ungefährlich ist. Im Gegenteil: Die chronische Entzündung gilt heute als weltweit wichtigste Ursache für ein vorzeitiges Lebensende. Nach Schätzungen dürfte jeder zweite Todesfall darauf zurückzuführen sein.

Die Entzündung kann alle Organe angreifen

Die Entzündung bringt dabei die Menschen nicht direkt um, sondern lässt sie über entzündungsbedingte Kollateralschäden an den Organen früher sterben. Diese Schäden begünstigen praktisch jede Art von Krankheit: vom Herzinfarkt über den Schlaganfall bis zu Krebs, Diabetes, Nierenkrankheiten und Demenz. So sind etwa bei der «Arterienverkalkung» oder Atherosklerose, wie der Krankheitsprozess in der Medizin genannt wird, alle Zeichen einer auf niedriger Stufe köchelnden Entzündungsreaktion nachweisbar.

Wie aber unterscheidet sich eine akute von einer chronischen Entzündung? Auch diese Frage ist noch nicht restlos geklärt. Während die beiden Entzündungsarten einige molekularbiologische Gemeinsamkeiten teilen, gibt es auch Unterschiede. So werden teilweise andere Immunkomponenten aktiviert. Zudem nimmt die generelle Entzündungsaktivität im Alter zu, weshalb bei der chronischen Entzündung auch eine Verbindung zum Alterungsprozesses angenommen wird.

Akut wird die Entzündung meist von Zellen des angeborenen Immunsystems ausgelöst. Sie erkennen potenziell gefährliche Strukturen. Dabei spielt ein Proteinkomplex namens Inflammasom eine wichtige Rolle. Er wird nach bestimmten Signalen innerhalb der Immunzellen gebildet und führt dann zur Aktivierung von entzündungsfördernden Botenstoffen.

«Das Inflammasom ist unser Xenophobie-Rezeptor», sagt der Immunologe Becher. «Es reagiert auf alles, was fremd ist, zum Beispiel auf die Zellwände von Bakterien oder auf Giftstoffe.» Das Inflammasom wird aber auch durch Stress und chemische Substanzen aktiviert, die auf ein Ungleichgewicht im Organismus hindeuten. Über diesen Weg können auch Übergewicht, Diabetes oder erhöhte Cholesterinwerte die Entzündungsaktivität im Körper anheizen.

Auch der Lebensstil beeinflusst die Entzündung im Körper

Gerade das im Bauch und um die inneren Organe gelegene viszerale Fett gilt heute als ein wichtiger Entzündungstreiber. Denn dieses Gewebe ist hormonell sehr aktiv. So werden in den Fettzellen viele entzündungsfördernde Botenstoffe produziert. Diese können über die erwähnte Arterienverkalkung und Veränderungen im Insulin-Stoffwechsel zum Beispiel das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten und Typ-2-Diabetes in die Höhe treiben.

Erhöhte Entzündungswerte finden sich aber nicht nur bei Übergewicht. Auch das Rauchen, eine ungesunde Ernährung mit viel Zucker und vielen gesättigten Fettsäuren sowie körperlicher und psychischer Stress, ein gestörter Nachtschlaf und vieles mehr fördern die Entzündung. Die lange Liste macht deutlich, dass der Einzelne beim Thema chronische Entzündung mit einem gesunden Lebensstil bis zu einem gewissen Grad gegensteuern kann.

Dank neueren, empfindlichen Messmethoden kann das wichtige Entzündungsprotein CRP heute in sehr tiefen Konzentrationen bestimmt werden. Wie Studien zeigen, eignet sich dieses hochsensitive CRP, um bei Männern und Frauen das Risiko, dass sie in den nächsten Jahren eine Herz-Kreislauf-Erkrankung oder einen frühzeitigen Tod erleiden, besser abschätzen zu können. Das Risiko nimmt mit steigender CRP-Konzentration im Blut zu.

Fragt sich nur noch, was eigentlich der evolutionsbiologische Sinn der chronischen Entzündung ist. «Das ist in vielen Fällen nicht so klar», sagt der Immunologe Becher. Er ist aber überzeugt, dass es letztlich darum geht, im Organismus ein wie auch immer geartetes Ungleichgewicht auszugleichen. Denn ein zentrales biologisches Grundgesetz sei die Homöostase, sagt Becher. «Dieses Prinzip, mit dem alle Körperfunktionen im Gleichgewicht gehalten werden, dominiert alles.»

Mit diesem Artikel verabschiedet sich Alan Niederer (ni.) von der Leserschaft der NZZ. Er war 2001 in die Wissenschaftsredaktion eingetreten und berichtete vor allem über Medizin-Themen. Niederer wechselt zur «Schweizerischen Ärztezeitung».

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