Mittwoch, November 27

Der verstorbene Geo Mantegazza hat nicht nur den HC Lugano, sondern das ganze Schweizer Eishockey revolutioniert. Mit seinen Visionen war er der Zeit voraus.

Der Himmel über Lugano war am Samstag wolkenverhangen. Die Nebelschwaden zogen über die bewaldeten Hänge bis hinunter ans Ufer des Lago. Lugano und mit ihm ein Grossteil des Sottoceneri trugen Trauer. Auf dem Friedhof von Lugano wurde Geo Mantegazza im Beisein seiner Familie und der gesamten ersten Mannschaft des HC Lugano beigesetzt. Der langjährige Präsident des Klubs war am Donnerstag im Alter von 95 Jahren im Kreis seiner Familie verstorben.

Geo Mantegazza hatte den HC Lugano 1978 noch in der Nationalliga B übernommen und ihn danach mit viel eigenem Geld und den richtigen Ideen zum Musterklub in der Liga gemacht. Unter ihm gewannen die Tessiner sieben Meistertitel. Zwischen 1986 und 1990 waren sie in der Liga beinahe konkurrenzlos und gewannen in fünf Jahren viermal den Titel (1986, 1987, 1988 und 1990).

Das Erbe in den Händen seiner Tochter

1991 gab Mantegazza das Präsidium an seinen langjährigen juristischen Berater und Gefolgsmann Fabio Gaggini weiter. Seit 2011 präsidiert seine Tochter Vicky den Klub und verwaltet damit auch das Erbe des grossen Patriarchen. Ganz losgelassen hat ihn der Hockeyklub aber nie. Bis ins hohe Alter zeigte er sich immer wieder bei Partien in der Resega. Seinen 90. Geburtstag feierte er bei einem Spiel in der Cornèr-Arena. Der Grossteil des Publikums war grün gekleidet, die Farbe, die der legendäre Pullover hatte, den Mantegazza an Spielen als Glücksbringer zu tragen pflegte.

Geo Mantegazza war ein Patriarch alter Schule. Väterlich, grosszügig, aber auch streng. Jörg Eberle war das langjährige Gesicht des «Grande Lugano». Er sagt, wenn Geo einen Raum betreten habe, seien alle darin Anwesenden verstummt und um ein paar Millimeter geschrumpft. Das Charisma des Mannes war noch weit grösser als sein Vermögen, das von der Finanzbranche auf drei bis vier Milliarden Franken geschätzt wird.

Das Familienunternehmen wurde 1928 durch Geo Mantegazzas Vater Antonio gegründet. Zu Beginn fuhr er mit nur einem Boot Touristen über den Luganersee. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Familie gezielt in den Tourismus zu investieren. Zuerst in Reisebusse, später auch in eine Charterfluggesellschaft, die ihren Sitz in Luton in der Nähe von London hatte. Die Monarch Air transportierte in ihrer Blüte rund sieben Millionen Passagiere und zählte weltweit gegen 5000 Angestellte. 2014 verkaufte die Familie die Fluggesellschaft an die britische Investmentfirma Greybull Capital.

In seiner Jugend hatte Geo Mantegazza Fussball gespielt. Doch seine Leidenschaft gehörte schon früh dem Eishockey und speziell dem HC Lugano. Jörg Eberle erinnert sich, wie der Patron in den frühen Jahren seiner Präsidentschaft ins Appenzellerland gefahren war, um ihn zum HC Lugano zu holen. Der Tessiner Klub spielte damals wie Eberles SC Herisau in der zweithöchsten Schweizer Liga. Eberle galt als eines der vielversprechendsten Talente im Schweizer Eishockey. «Selbst meine Eltern waren von der Erscheinung Geos beeindruckt. Wann immer ich nach Hause zurückgekehrt bin, haben sie sich nach Signor Mantegazza erkundigt.»

Eberle spielte mit zwei Jahren Unterbruch in Davos während zwölf Jahren für die Ticinesi und feierte mit diesen die ersten sechs Meistertitel, ehe er seine Karriere in Kloten und beim EV Zug ausklingen liess. Er sagt: «Mantegazza war eine Persönlichkeit, die niemanden unberührt liess. Er hat den Klub wie eine Familie geführt. Streng, aber irgendwie auch väterlich.» Trotzdem beäugte man das Projekt Lugano vor allem in der Deutschschweiz anfänglich argwöhnisch. Die Luganesi waren als Millionarios verschrien, die den Erfolg mit Geld zu kaufen versuchten.

Dabei übersah man, dass Mantegazza nicht nur in Lugano, sondern in der ganzen Schweiz eine Entwicklung angestossen hatte, von der das Eishockey noch heute profitiert. Mit dem Schweden John Slettvoll holte Mantegazza einen Trainer in den Süden der Schweiz, der den Spielern beibrachte, dass man auch unter Palmen hart arbeiten kann. Die anderen Klubs waren gezwungen mitzuziehen.

Seinen grossen Gegenspieler fand Mantegazza gegen Ende der 1980er Jahre im SC Bern und in dessen Präsidenten Fred Bommes, einem deutschen Unternehmer aus der Druckereibranche, der mit seiner hemdsärmligen Art ein Gegenentwurf zum höflichen, umgänglichen Tessiner war. Wo Mantegazza seinen Charme spielen liess, polterte und tobte Bommes. Unliebsame Berichterstatter bezeichnete er als «Gossen-Journalisten» oder belegte sie mit einem Besuchsverbot für seine Tennishalle. Mantegazza reagierte auf Kritik mit einem leisen Lächeln, in dem die Frage stand: «Was wisst ihr denn schon, ihr Ahnungslosen?»

Respekt und Akzeptanz bis hinauf in die Leventina

Geo Mantegazza hat nicht nur den HC Lugano, sondern das ganze Schweizer Eishockey nachhaltig verändert. Er zwang die Konkurrenz dazu, ebenfalls Geld in die professionelle Arbeit zu investieren. Nicht nur der SC Bern, auch der HC Davos, der Zürcher SC und früher oder später die ganze Liga zogen nach. Mantegazzas Aura strahlte hinauf bis in die obere Leventina, wo Luganos grosser Gegenspieler zu Hause ist, der HC Ambri-Piotta.

Filippo Lombardi, der frühere CVP-Ständerat und seit 2009 Präsident von Ambri, kannte Mantegazza seit seiner Jugend. Dieser hatte zusammen mit Lombardis Vater an der ETH in Zürich studiert. Lombardi sagt: «Geo hat fraglos viel für die Professionalisierung des Schweizer Eishockeys getan, auch hier bei uns in Ambri. Das hat uns zuerst in Schwierigkeiten gebracht, weil uns die Mittel für diesen Schritt fehlten.» Ambri sei nicht der einzige Klub, der sich dabei übernommen habe. «Doch mittlerweile profitieren auch wir von diesem Schritt.»

Das Gerücht, dass Mantegazza nicht nur Lugano, sondern auch Ambri finanziell unterstützt habe, verweist Lombardi hingegen ins Reich der Legenden. «Geo träumte davon, enger mit uns zusammenzuarbeiten. Doch wie das ausgesehen hätte, war allen klar: Wir wären zu einer Art Farmteam Luganos geworden. Und das war für unseren Anhang nie vorstellbar.»

Am Freitagabend, dem Tag nach dem Tod von Geo Mantegazza, fand in Ambri das erste Tessiner Derby der Saison statt (2:1 für Ambri). Während der Schweigeminute vor dem Match war es in der Gotthard-Arena mucksmäuschenstill. Kein Zwischenruf störte den besinnlichen Moment. Auch in Ambri gibt es nur Respekt für den grossen Doyen des Tessiner Eishockeys.

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