Mittwoch, Januar 15

Minustemperaturen bedeuten für Clariant normalerweise gute Geschäfte. Die Firma ist führend in der Herstellung von Chemikalien für die Enteisung von Flugzeugen. Trotzdem wird sie von den Investoren abgestraft.

Für Clariant ist die Kältewelle in Europa zu spät gekommen. Der Baselbieter Konzern zählt zu den führenden Herstellern von Chemikalien für die Enteisung von Flugzeugen. Wenn es wochenlang bitterkalt ist, profitiert das Unternehmen von einem Wachstumsschub.

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Falls es nicht schon bald wieder taut, dürfte sich im laufenden ersten Quartal ein positiver Effekt in den Geschäftszahlen zeigen. Die letztjährige Erfolgsrechnung, die Clariant am 28. Februar präsentieren wird, hat vom Geschäft mit der Kälte aber nicht mehr profitiert.

Schadenersatzklage von BASF

Erfreuliche Nachrichten könnte das Unternehmen auch sonst gut gebrauchen. Das Umfeld rund um den grössten Schweizer Anbieter im Bereich der Spezialitätenchemie wird derart negativ wahrgenommen, dass der Aktienkurs nur noch knapp 10 Franken beträgt.

Am vergangenen Dienstag gab die Notierung allein um weitere 1,8 Prozent nach. Auslöser des jüngsten Tauchers war ein dürres Communiqué des Konzerns zu einer Schadenersatzklage, die das Branchenschwergewicht BASF nicht nur gegen Clariant, sondern auch gegen drei weitere Chemiefirmen in München eingereicht hat.

Die Schadenersatzsumme beläuft sich auf 1,4 Milliarden Euro und steht im Zusammenhang mit einer Verletzung des Kartellrechts, deren sich Clariant zusammen mit den Konkurrenten Westlake, Orbia und Celanese im vergangenen Jahrzehnt schuldig machte. Die EU-Kommission stellte im Juli 2020 fest, dass sich die Firmen im Zeitraum 2011 bis 2017 beim Einkauf von Ethylen zu einem Kartell zusammengeschlossen hatten. Es handelt sich dabei um einen wichtigen Grundstoff für die Herstellung zahlreicher Chemieprodukte. Die EU-Kommission verhängte Geldbussen im Gesamtwert von 260 Millionen Euro, wovon 156 Millionen auf Clariant entfielen.

«Schaler Beigeschmack»

Clariant war in der Vergangenheit immer wieder durch Unsauberkeiten in der Geschäfts- und Buchführung aufgefallen. Das Unternehmen gab zwar unter neuer Führung mehrfach zu verstehen, dass gegenüber derartigen Verstössen eine Nulltoleranz-Politik verfolgt werde. Offenbar gibt es beim Unternehmen aber noch immer gewisse Altlasten. «Die unerwartete Schadenersatzforderung kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist hinterlässt einen schalen Beigeschmack», halten Analytiker der Zürcher Kantonalbank in einem Kommentar fest.

Der Chemiekonzern sieht sich noch mit einer zweiten Milliardenklage wegen des Kartells im Einkauf mit Ethylen konfrontiert. Im Oktober 2023 hatte bereits der britische Erdölkonzern Shell geklagt und eine Schadenersatzforderung von bis zu 1 Milliarde Euro erhoben. Dieser Fall, der bei einem Gericht in Amsterdam liegt, ist noch immer hängig. Clariant betonte abermals, die Anschuldigungen entschieden zurückzuweisen und sich entschlossen verteidigen zu wollen.

Bis zu einem Urteil dürften nach Einschätzung von Marktbeobachtern in beiden Fällen Jahre verstreichen. Clariant bildete bis anhin noch keine Rückstellungen und ist bestrebt, dies auch weiterhin nicht zu tun.

Rückläufiger Umsatz erwartet

Um bei Anlegern nicht noch mehr Vertrauen zu verlieren, wird Clariant schon im laufenden Jahr rasch auf den Wachstumspfad zurückkehren müssen. Wegen der schwachen Geschäftsentwicklung sah sich das Unternehmen schon Ende vergangenen Oktobers gezwungen, einen rückläufigen Umsatzverlauf für 2024 in Aussicht zu stellen. Nach Schätzung von Finanzanalytikern dürfte sich der letztjährige Konzernerlös von 4,4 auf knapp 4,2 Milliarden Franken zurückgebildet haben.

Wie den meisten europäischen Chemieunternehmen macht auch Clariant die schwache Nachfrage nach Autos zu schaffen. Ein weiterer Bremsklotz sind Geschäfte mit Landwirten, die wegen gesunkener Einnahmen auf günstigere Agrochemikalien ausweichen oder ganz auf das Spritzen ihrer Felder verzichten. Zudem laufen die Geschäfte mit Katalysatoren weniger gut als erwartet.

Clariant ist einer der wenigen Anbieter in diesem Bereich und hoffte, dank dem Bau neuer Anlagen unter anderem für die Produktion von Wasserstoff von der Energiewende zu profitieren. Doch die Errichtung solcher Werke ist ins Stocken geraten, und viele der bereits erbauten Anlagen sind schlecht ausgelastet. Letzteres schmälert auch den Bedarf an Ersatzkatalysatoren. Während bei voll ausgelasteten Anlagen Katalysatoren alle drei Jahre ausgetauscht werden müssen, passiert dies bei geringer Auslastung eher nur alle fünf Jahre.

Weiterer Stellenabbau nötig?

Zu den Stärken Clariants zählt, dass die Absatzmärkte nicht nur geografisch, sondern auch nach Branchen gut verteilt sind. Der Konzern ist mittlerweile beispielsweise auch ein bedeutender Lieferant der Kosmetikindustrie. Doch um wieder zu wachsen, ist er auf eine breit abgestützte Konjunkturerholung angewiesen. Ob sich diese schon in den nächsten Monaten einstellt, ist offen.

Der Personalbestand von Clariant stagnierte im vergangenen Jahr bei knapp 10 500 Mitarbeitenden. Zuvor war er im Rahmen eines umfangreichen Restrukturierungsprogramms um fast 2000 Beschäftigte reduziert worden. Je nach Geschäftsentwicklung könnten sich weitere Stellenkürzungen aufdrängen.

Einen genauen Blick auf die Aufstellung des Konzerns dürfte auch der designierte neue Verwaltungsratspräsident Ben van Beurden werfen. Der Niederländer, der pikanterweise bis 2023 Shell führte, wird seine Arbeit nach der Generalversammlung vom 1. April aufnehmen.

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