Montag, Oktober 28

Die Courtauld Gallery zeigt eine Serie von Londoner Stadtansichten, die Claude Monet vor 120 Jahren gemalt hat. Die Gemälde sind so faszinierend wie ihre Entstehungsgeschichte.

Er war der Maler der Seerosen und der flirrenden Naturschönheit. Und er war Besitzer eines wilden, majestätischen Gartens. Darüber hinaus liebte Claude Monet London. Er mochte die Stadt am liebsten, wenn sie schwer arbeitete. Wenn es aus tausend Schornsteinen rauchte. Denn dann entstand der berühmte Smog, den der Maler wegen seiner Lichteffekte suchte. Diese Faszination hat er auf rund hundert Leinwänden festgehalten.

Was heute als Luftverschmutzung Schrecken auslöst, erschien dem französischen Maler als Symbol der Modernität. Die Stadt war berühmt für ihren Dunstschleier, der damals von der Schwerindustrie in der Stadtmitte ausging. Die Grossstadt mit ihren Industrieschloten, Lastkähnen und von Pferden gezogenen Doppeldeckerbussen besass für den Meister aus Paris keinen Schrecken, im Gegenteil.

Die Zuneigung des grossen Impressionisten zur englischen Hauptstadt war allerdings nicht bedingungslos: «Ich liebe London so sehr, aber nur im Winter», erklärte er dem Kunsthändler René Gimpel 1920. An Wintertagen sei es unvergleichlich: «Es ist der Nebel, der ihm seine grossartige Weite verleiht.» Londoner Sonntage hingegen mit ihren klaren Himmeln waren Monet ein Graus. Denn so richtig dampfte es nur an Wochentagen, wenn die Maschinen, die Feuer und die Küchen den toxischen Atem der Stadt produzierten.

Claude Monet schätzte die Schornsteine nicht nur, weil sie seine Kulissen so stimmungsvoll mit ihrem Rauch bereicherten. Er zeigte sie auch in seinen Bildern. Monets London ist eine seltsame Mischung aus ächzendem Moloch und in Pastelltöne getauchtem Transzendentalerlebnis – zwischen Himmel und Hölle.

Der Blick vom Balkon

Bevor er sich in den Jahren zwischen 1899 und 1901 dreimal für längere Zeit an die Themse begab, um die Stadt und ihren Fluss konzentriert zu studieren, hatte Claude Monet London schon mehrfach besucht. Als junger, mittelloser Maler gewann er 1870 einen ersten Eindruck von der Metropole, die damals die grösste der Welt war. Dreissig Jahre später konnte er es sich leisten, in ihren besten Hotels zu logieren.

Die meisten seiner London-Bilder begann er auf dem Balkon seiner Suiten auf der sechsten und einmal auf der fünften Etage des «Savoy». Es war ein Zimmer mit Aussicht, auch wenn es den Balkon nun nicht mehr gibt. Vor den Fenstern fliesst die Themse, und Monet konnte direkt auf den Fluss und in den Himmel sehen. Die schwebende Aussicht vom Balkon aus verschaffte dem Maler Abstand von der Geschäftigkeit der Stadt.

Manchmal wechselte Monet die Flussseite und verwandelte ein ihm freundlicherweise zur Verfügung gestelltes leeres Untersuchungszimmer des gegenüberliegenden St Thomas’ Hospital in sein Atelier. Von dort aus malte er den Big Ben mit den Houses of Parliament. Endlos faszinierten ihn die Blicke über die Brücken – Waterloo Bridge und Charing Cross Bridge.

Wie überhaupt die Brücken des Industriezeitalters in seinem Werk und dem anderer Impressionisten schon lange eine wichtige Rolle spielten: als Symbol der Modernität und als bildnerisches Mittel, eine feste Linie zwischen Wasser und Himmel zu ziehen.

Es sind immer wieder dieselben Motive, die Monet unter denselben oder ähnlichen Perspektiven bei unterschiedlicher Wetterlage, zu verschiedenen Tageszeiten betrachtete. Auch die Titel gleichen sich – «Charing Cross Bridge», 1902, «Charing Cross Bridge: Fog on the Thames», 1903, «Waterloo Bridge, Overcast», 1903, «Waterloo Bridge, Grey Weather», 1900, und so fort.

Monets London ist seine ganz eigene Schöpfung aus der Verbindung von Licht und Wasser und flirrender Atmosphäre. Der Fluss, die Brücken, das Parlamentsgebäude – das Grosse, Erhabene zieht hinter Rauchschwaden durch diese Werke. Die Architektur in kleinerem Massstab und der Verkehr, der sich über die Brücken schleppt, erscheinen als angedeutete Details, die das Eigentliche flankieren und ergänzen. Die Menschen sind nur durch die Rauchspuren wahrnehmbar, die sie erzeugen. Man muss sie sich hinzudenken in den Verkehrsmitteln, in Küchen und Fabriken.

Frenetische Besessenheit

1904 stellte Claude Monet eine Serie von 37 seiner rund 100 London-Bilder zusammen und zeigte sie in der Galerie seines Kunsthändlers Paul Durand-Ruel in der Rue Laffitte in Paris, dies unter grossem öffentlichem Beifall. Die Ausstellung, ein Meilenstein in Monets Karriere, wurde zum kommerziellen Erfolg und bestätigte seinen Status als führender französischer Maler.

Monet hegte den brennenden Wunsch, die Bilder auch am Ort ihrer Inspiration zu zeigen. Der Plan zerschlug sich, da die einzelnen Werke schon in alle Welt verkauft worden waren. Erst jetzt, 120 Jahre nach der Pariser Eröffnung, geht Monets Vorhaben in Erfüllung – zumindest teilweise.

Der Londoner Courtauld Gallery gelang das Kunststück, 21 Gemälde zusammenzutragen, 18 davon gehörten zu den von dem Künstler für die Pariser Schau von 1904 ausgewählten Werken. Der Ausstellungsort liegt nur ein paar hundert Meter vom Hotel Savoy entfernt, und es ist eine schöne Vorstellung, dass sich hier nun ein Kreis schliesst.

Nur zwei von Monets London-Ansichten befinden sich heute in öffentlichen Sammlungen in Grossbritannien. Eines ist in einem Museum in Wales ausgestellt, ein anderes hängt für gewöhnlich im Wohnzimmer von Winston Churchills ehemaligem Landsitz Chartwell. Dieses, «Charing Cross Bridge», von Monet auf 1902 datiert, aber erst 1923 vollendet, musste nun vor der Ausstellung erst gereinigt werden. Churchill, der in seinem Landsitz vierzig Jahre lang lebte, rauchte etwa zehn grosse kubanische Zigarren pro Tag.

In der erneuten Zusammenschau werden die Faszination und die Konzentration spürbar, mit denen Monet damals von seinem Balkon aus seine Lieblingsmotive der Stadt und ihres Flusses in den Blick nahm. Die frenetische Besessenheit, mit der er seinem Sujet beikommen wollte, wird spürbar. Sie verhält sich wie im Widerspruch zu der entspannt wirkenden Zartheit der Farben und Linien.

Weil sich Licht und Wetter ständig änderten, arbeitete der Maler oft nur kurz an einem einzelnen Bild, manchmal nicht mehr als fünf Minuten. Und immer hatte er eine ganze Anzahl von Werken gleichzeitig in Arbeit, die er in einem seiner zwei Hotelzimmer ausbreitete. Eines der Zimmer nutzte er zum Schlafen, das andere als Atelier.

Am 1. März 1900 berichtete Monet seiner Frau, er arbeite gerade an 44 Leinwänden, «und manchmal verliere ich die Übersicht». Am 18. März waren es bereits 65, und zwei Wochen später packte er 80 Bilder für die Rückreise nach Frankreich zusammen. Was er in London aus eigener Anschauung begonnen hatte, vollendete er erst in seinem heimischen Studio in Giverny nördlich von Paris. Und zwar über Jahre hinweg.

«Die meisten Leute glauben, dass ich schnell male. Ich arbeite sehr langsam. Ich bin nie zufrieden mit meiner Arbeit. Ich entlasse ein Bild nur, weil ich andernfalls für immer daran arbeiten würde», sagte Monet einem Journalisten einmal. Aus der Distanz des Landlebens in Frankreich veränderte er das in London mit eigenen Augen Gesehene, betonte Farben und verstärkte Effekte. Er eignete sich die geliebte Stadt an der Themse im Nachhinein noch einmal in einer Mischung aus Anschauung und Erinnerung an.

«Monet and London. Views of the Thames.» Courtauld Gallery, bis 19. Januar 2025. Der Katalog kostet 25 Pfund.

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