Donnerstag, November 28

Erneuerbare-Energie-Aktien haben die Trendwende geschafft. Denn KI-Anfragen benötigen zehnmal so viel Energie wie die Google-Suche, und die Tech-Konzerne haben sich auf Ökostrom verpflichtet. Besonders der US-Wert First Solar steigt rasant.

Der 25. April könnte ein Wendepunkt gewesen sein nach drei Jahren Kursrutsch für Aktien aus dem Sektor erneuerbare Energie. Dieser Gedanke kam Jörg Märtin vom Single Family Office Avalon Hill Management in Lugano, als er wie jede Woche die Entwicklung der Finanzmärkte analysierte. Der Invesco Solar ETF markierte an jenem Tag den tiefsten Stand nach einem Kursrutsch um 69% seit Januar 2021 und begann zu steigen.

Andere populäre ETF auf erneuerbare Energie hatten bereits im Herbst 2023 ihren tiefsten Stand erreicht. Das gilt auch für den iShares Global Clean Energy ETF, der bei Privatanlegern in Deutschland besonders beliebt ist: Er hatte in seiner Eurovariante seit dem Hoch im Januar 2021 zeitweise zwei Drittel seines Werts eingebüsst.

Nun ist die Trendumkehr bei vielen dieser Branchen-ETF aus Sicht der technischen Analyse geschafft, analysiert Investmentstratege Märtin: «Mehrere Monate der Outperformance verglichen mit dem Gesamtmarkt könnten folgen.»

«Wir hatten bis Anfang 2021 eine Spekulationsblase bei erneuerbarer Energie, die ist dann geplatzt», sagt Dan Lindström von Proxy P Asset Management in Stockholm, dessen Hedge Fund in Aktien aus der Energiebranche investiert. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis vieler Unternehmen sei vom 25- oder 35-Fachen auf teils weniger als das 10-Fache gestürzt.

Ein weiterer Belastungsfaktor, ausser den hohen Bewertungen, waren grosse Lagerbestände. Nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs hätten Kunden von Wind- und Solaranlagenherstellern die Vorratsbestände aufgebaut, was danach die Nachfrage dämpfte. «Das führte zu Panik bei den Investoren und zu dem Kursrutsch», sagt Lindström.

Solarbranche gilt als nächster Profiteur des KI-Booms

Doch nun scheint die Trendwende geschafft zu sein. Das wird besonders deutlich am schwergewichtigsten Portfoliowert des iShares Global Clean Energy ETF, der in der US-Variante fast 11% des Kapitals ausmacht: First Solar. Der US-Hersteller von Solarmodulen hat seinen Aktienkurs seit Ende Januar nahezu verdoppelt.

«Die langfristigen Aussichten für erneuerbare Energie sind noch immer gut, denn der Stromverbrauch wird sich wegen Energiewende und Elektrifizierung binnen fünfzehn Jahren verdoppeln», sagt Hedge-Fund-Manager Lindström. Dazu komme jetzt noch der Stromverbrauch von Rechenzentren für die künstliche Intelligenz. «Das Thema KI hat die Begeisterung der Anleger für den Sektor wieder entfacht.»

Grosse Aufmerksamkeit erfuhr eine Studie von UBS zur Solarbranche vom 21. Mai 2024 mit dem Titel «100% Renewable Powered AI Data Centers». Darin schreiben die Analysten Jon Windham und William Grippin, dass die grossen Tech-Plattformen wie Amazon, Meta, Microsoft, Apple und Google sich vor Jahren verpflichtet haben, 100% ihres Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen zu decken.

Tech-Plattformen stellen bereits 40% der Solarnachfrage

Die Bedeutung der Tech-Konzerne für die Erneuerbare-Energie-Branche ist enorm: Schon in den vergangenen fünf Jahren verursachten Amazon, Meta, Microsoft und Google 40% der Nachfrage nach Solarstrom aus Grossanlagen im Versorgermassstab. Die Unternehmen sichern sich Ökostrom, indem sie mit Anbietern Stromlieferverträge eingehen (sogenannte Power Purchase Agreements). Dass Solar- und Windparks nicht jederzeit Strom liefern, wird dabei weitgehend ignoriert. Die Konzerne beziehen die Menge Strom aus dem Netz, für die sie im Rahmen der Verträge bezahlt haben, wann immer sie den Strom benötigen.

Nun steigt der Bedarf bei den Tech-Plattformen aufgrund der stromfressenden KI. «Dies bedeutet eine massive Menge an inkrementeller Nachfrage nach erneuerbarer Energie», schlussfolgern die UBS-Analysten. Ihr Top Pick, um von dem Trend zu profitieren, ist die Aktie von First Solar.

Hauptgewinner First Solar erfüllt Subventionsvoraussetzung

First Solar ist der grösste Hersteller von Solarmodulen in den USA und beherrscht die gesamte Produktionskette. Das Unternehmen nutzt die Dünnschichttechnologie auf Basis von Cadmiumtellurid. Dadurch unterscheidet es sich von den meisten Wettbewerbern, die Dickschichtsolarmodule aus monokristallinen Solarzellen fertigen. Wegen des hohen Wirkungsgrads bei niedrigeren Herstellungskosten sei Dünnschichttechnologie gefragt, heisst es beim Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen über die Technologie.

Der Grund für den Höhenflug der Aktie ist jedoch nicht so sehr die spezielle Solarmodultechnologie, sondern die Tatsache, dass First Solar über die grössten Produktionskapazitäten in den USA verfügt. Und deshalb unverzichtbar ist für Investoren, die von grossen Förderprogrammen der Regierung im Rahmen des sogenannten Inflation Reduction Act profitieren wollen. Nur bei Verwendung von Solarzellen «Made in USA» können Solarsysteme die Anforderung für den Anteil einheimischer Komponenten erfüllen, errechneten die Analysten von JPMorgan, nachdem das US-Schatzamt Mitte Mai weitere Details zu den Subventionsbedingungen definiert hatte.

«First Solar ist wahrscheinlich der grösste Profiteur des Inflation Reduction Act», sagt Lindström, der die Aktien seit vier Jahren im Portfolio hält. Wegen des Kursanstiegs sind sie inzwischen die grösste Einzelposition seines Hedge Fund.

Die UBS-Analysten errechneten in einer Studie vom 21. Mai eine fulminante Prognose für das Unternehmen. Sie sagten voraus, dass es den Gewinn pro Aktie bis 2027 auf fast 36.74 $ mehr als vervierfachen werde. Sie erhöhten ihr Kursziel auf 270 $, beinahe 40% über dem damaligen Kurs. Seitdem jedoch hat der Titel dieses Ziel bereits übertroffen.

Falls diese Gewinnvervielfachung realistisch ist, wäre die Aktie immer noch günstig. Beim genannten Gewinn pro Titel würde First Solar zum Kurs von 282 $ von Ende Mai weniger als das Achtfache des für 2027 von UBS geschätzten Gewinns kosten. Der Durchschnitt der bei S&P Capital IQ erfassten Analysten sieht das Unternehmen mit dem 9,1-Fachen des für 2026 erwarteten Gewinns bewertet. Dahinter stehen hohe Wachstumserwartungen: Für 2024 und 2025 sagen die Analysten mehr als 60% Plus für den Gewinn pro Anteilsschein voraus.

Gemessen an den Prognosen für das laufende Jahr und an der Unternehmenssubstanz wirkt die Gesellschaft weniger günstig: Die Aktie kostet das 29-Fache des für 2024 prognostizierten Jahresüberschusses. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis ist auf einem Zehnjahreshoch.

«First Solar ist ein stark wachsendes Qualitätsunternehmen und deshalb nicht zu teuer», sagt Lindström. Sie werde den Umsatz beträchtlich steigern, und auch die Marge könne zulegen.

Nicht nur First Solar dürfte nach Darstellung von UBS von dem KI-induzierten Boom der Ökostromnachfrage profitieren, sondern auch die folgenden Unternehmen:

Weitere Gewinner des KI-bedingten Ökostrom-Booms

  • Array Technologies und Nextracker: Hersteller von Nachführsystemen, auf die Solarsysteme montiert werden können, um die wirksame Sonneneinstrahlung zu erhöhen («Solartracker»). 
  • Hannon Armstrong Sustainable Infrastructure: Die Gesellschaft baut und betreibt Solar-, Wind- und Stromspeicheranlagen vor allem für Unternehmenskunden. 
  • Ameresco und Clearway Energy betreiben Erneuerbare-Energie-Projekte, teils in den und ausserhalb der USA.

Ebenfalls angetrieben von der KI-Euphorie wird Enphase, sagt Larry McDonald, Autor des «Bear Traps Report». Das Unternehmen sei führend auf dem US-Markt für Mikrowechselrichter, die den Strom vor allem aus kleineren Solaranlagen für Privathaushalte umwandeln. Seit Erscheinen der UBS-Studie am 21. Mai ist der Aktienkurs von knapp 112 auf mehr als 125 $ gestiegen. Wegen des starken Profitwachstums soll das Kurs-Gewinn-Verhältnis von 43 für den Jahresüberschuss 2024 binnen nur zwei Jahren auf 20 fallen, schätzen die bei S&P Capital IQ erfassten Analysten.

Auftrieb für die Versorgerbranche

Die steigende Stromnachfrage aufgrund der KI-Rechenzentren hilft auch den Betreibern konventioneller Kraftwerke in den USA. Die Aktien von Versorgern seien eine günstige Möglichkeit, in den KI-Trend zu investieren, urteilten die Investmentstrategen von Goldman Sachs in einer Studie vom 29. Mai.

Einige der agilsten Investoren haben diese Idee offenbar bereits umgesetzt. Seit kurzem haben Hedge Funds als Gruppe den Versorgersektor übergewichtet, nachdem sie mehr als zehn Jahre lang weniger Branchenengagement zeigten als die Leitindizes. Die herkömmlichen Investmentfonds sind noch knapp untergewichtet.

Hedge Funds steigen ein und übergewichten Versorger

Der wachsende Bedarf von Tech-Konzernen an Ökostrom hat auch in Europa Auswirkungen. Das zeigt der Blick auf den Nachhaltigkeitsbericht von Google für das Jahr 2023. Mehr als ein Viertel der erneuerbaren Energie beschafft der Konzern ausserhalb Nordamerikas und hiervon wiederum rund die Hälfte in Europa, Nahost und Afrika.

Übernahmefantasie bei Wind- und Solarparkbetreiber PNE

Europäische Ökostromlieferanten sind deswegen als Übernahmeobjekte interessant: Erst am 30. Mai hat die Beteiligungsgesellschaft Brookfield dem französischen Stromproduzenten Neoen ein Übernahmeangebot vorgelegt.

Der KI-Boom ist ein positiver Faktor auch für die deutschen Entwickler und Betreiber von Solar- und Windparks. Das Übernahmeangebot der Beteiligungsgesellschaft KKR für den Wind- und Solarparkbetreiber Encavis vom März legt nahe, dass für den Wettbewerber PNE eine deutlich höhere Bewertung angemessen wäre.

Diese ETF stehen unter Ökostrom

Wer nicht auf einzelne Aktien setzen möchte, kann per ETF auf die Trendwende bei erneuerbarer Energie setzen. Dies erscheint aufgrund der Markttechnik und des steigenden Interesses am Sektor als KI-Profiteur ratsam. Die langfristig positiven Trends Energiewende und Elektrifizierung sprechen ohnehin für die Branche, die nach dem Kursrutsch der zurückliegenden drei Jahre günstig bewertet scheint.

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