Sonntag, September 29

Beat Albrecht / ETH-Bildarchiv

Im Thriller «The Eiger Sanction» landet ein Stuntman spektakulär in einem Strassencafé. Am 12. September 1974 wurde im Oberdorf gefilmt.

Es ist der 12. September 1974. Ein Mann stürzt aus einem Fenster an der Kirchgasse 14 im Zürcher Oberdorf. Er kracht durch das Vordach eines Strassencafés, dann durch den Tisch, an dem ein Gast sitzt, und landet auf dem Boden.

Der Sitzende bückt sich zum Verunglückten hinunter. «Was isch passiert?», hört man eine Frau fragen. Viele Schaulustige strömen zum Tatort vor dem Haus Karl der Grosse.

Das alles hat sich so zugetragen. Doch ist es inszeniert. Manche haben bestimmt erkannt, wer hinter dieser erschütternden Szene an der Kirchgasse steckt: Auf dem Dach des Erkers vom Haus Karl der Grosse kauert kein Geringerer als der amerikanische Actionheld Clint Eastwood. Der damalige Mittvierziger bedient die Kamera und filmt den Fenstersturz von oben.

In diesen Septembertagen vor fünfzig Jahren gastiert Eastwood in Zürich. Er arbeitet hart: ist nicht nur Hauptdarsteller, sondern auch Regisseur und Kameramann. Er dreht seinen Film «The Eiger Sanction» (Deutsch: «Im Auftrag des Drachen»), in dem die Stadt Zürich während rund 20 Minuten prominent vorkommt.

Grossmünster, St. Peter und Fraumünster: «The Eiger Sanction» zeigt die bekannte Postkartenansicht, Zürich wirkt vertraut. Und doch spürt man die Jahrzehnte, die seit den Aufnahmen verstrichen sind, fahren doch über die Münsterbrücke nicht nur vereinzelte Wagen wie heute, sondern Autokolonnen.

Die Kamera schwenkt zum Bauschänzli, wo ein Agent mit Hut sein Bier austrinkt. Er muss im Auftrag des amerikanischen Geheimdiensts jemanden umbringen, der nahe der Napfgasse wohnt. Doch in der dortigen Wohnung wird der Agent getötet.

Nun soll dem Zürcher Mörder dieses Agenten der Garaus gemacht werden. Jonathan Hemlock tritt auf den Plan, beauftragt von seinem einstigen Chef. Hemlock ist frisch pensionierter Geschichtsprofessor, Profi-Kletterer und Ex-Geheimagent. Clint Eastwood verkörpert ihn mit Verve.

Bald schreitet er im Oberdorf zur Tat, klettert im Innenhof entlang einer Regenrinne ins oberste Geschoss vom Haus Karl der Grosse, wo er die Zielperson mit einem Revolver erschiessen will, aber jemanden daneben trifft. Der eigentlich anvisierte Mann stürzt durch das Fenster, landet im extra erbauten Strassencafé an der Kirchgasse und kommt dabei ums Leben.

Dies geschieht vor den Augen des Gastes am Tisch im Strassencafé. Er trägt eine Wildlederjacke, hat dunkle Haare und einen Bart. Verkörpert wird er von einem Statisten namens Jean-Claude Pelli. Der Zürcher mit Tessiner Wurzeln ist 22 Jahre alt. Das Studium hat er gerade abgebrochen. Er verkehrt in der «Züri-Bar», dem «Kontiki» oder dem Café «Select».

Dazu passt dieser aufregende Dreh. Vermittelt hat ihm den Job eine Regieassistentin, mit der er damals in einer 20-köpfigen Wohngemeinschaft an der Weinbergstrasse lebt. Er spricht auf dem Set vor und erhält den Job. Er spielt einen Tag lang den Gast. Dabei trägt er seine eigenen Kleider, Kostüme gibt es für den Statisten nicht.

Pelli, der heute in Maloja lebt, erinnert sich: «Stundenlang arbeiteten wir an dieser Szene in dem eigens für den Film errichteten Strassencafé. Es ging den ganzen Tag um diesen Fenstersturz, für wenige Sekunden Film. Für mich war das ausserordentlich spannend.»

Der Stuntman sei zuerst durch die Fensterscheibe gestürzt, die aus Zucker angefertigt worden sei, damit sich niemand verletzte. Dann sei er auf ein Gerüst mit Matratzen gefallen und schliesslich durch das Vordach des Cafés. «Ich drehte den unter dem zerstörten Tisch liegenden Darsteller zu mir, es strömte Kunstblut aus seinem Mund», sagt Pelli.

Es sei viel los gewesen auf dem Set. Es gebe Bilder von ihm, wie er in der Nähe von Clint Eastwood stehe. Aber er, der junge Mann, wirke verloren. «Ich erinnere mich, nicht mit Clint Eastwood gesprochen zu haben», sagt er. «Ich hätte mich niemals getraut.» «Toll» sei an diesem Tag das Mittagessen im Restaurant «Weisser Wind» mit der gesamten Crew trotzdem gewesen. «Die Stars waren ganz selbstverständlich dabei, die deutsche Schauspielerin Heidi Brühl und – Clint Eastwood.»

Der Regisseur und Hauptdarsteller filmt auch andernorts in der Schweiz. Als Jonathan Hemlock wird Eastwood mit einem zweiten Mord beauftragt. Es heisst, er solle jemand bestimmten auf einer Expedition an der Eigernordwand umbringen.

Eastwood dreht im Berner Oberland ohne Stuntmen und ohne Rücksicht auf Verluste. Es kommt zu einer Reihe von Unfällen, die der Öffentlichkeit verschwiegen werden. So verliert ein 27-jähriger Bergsteiger und Darsteller im Gebirge sein Leben.

Dass sich Clint Eastwood beim erklettern der Eigernordwand nicht doubeln liess, das rechneten ihm Kritiker hoch an.

Die Kritik nimmt den 1975 ausgestrahlten Film zwiespältig auf. Es heisst, «The Eiger Sanction» folge zur sehr dem James-Bond-Muster, setze auf Effekthascherei, die Handlung wirke unglaubwürdig. Dass sich Eastwood an der Eigernordwand nicht doubeln lasse, sei hingegen lobenswert. Und: Die «Schauwerte» – damit dürfte neben den Landschaftsaufnahmen auch der Fenstersturz in Zürich gemeint sein – raubten einem den Atem.

Jean-Claude Pelli wirkt derweil in weiteren Filmen als Statist mit. Später geht er nach Maloja und wird Betriebsleiter eines alternativen Ferienzentrums. Schliesslich präsidiert er den dortigen Kurverein.

Heute ist er pensioniert. Nach Zürich kehrt er nur selten zurück, und wenn, erkennt er die Stadt, in der er aufgewachsen ist, kaum wieder. Seine Heimat liegt nun zwischen dem Engadin und dem Bergell.

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