Donnerstag, Mai 1

Die Anlage soll der Luft jedes Jahr bis zu 36 000 Tonnen Kohlendioxid entziehen. Ohne solche Techniken ist der Klimawandel nicht zu begrenzen. Sie funktionieren auch, aber es bleiben noch Hindernisse.

Island hat Vulkane, heisse Quellen, riesige Gletscher und eine Menge kleiner Pferde. Nun kommt eine Attraktion hinzu, deren touristischer Reiz geringer ist, deren Bedeutung aber nicht unterschätzt werden sollte: Die Schweizer Firma Climeworks startet auf Island eine neue Anlage zur Entsorgung von Kohlendioxid.

«Mammoth» bedeutet auf Deutsch «Mammut». Die Anlage trägt den elefantösen Namen aus gutem Grund, denn sie ist in der Tat riesig: In haushohe Riegel eingebaute Filter sollen der Luft künftig pro Jahr bis zu 36 000 Tonnen CO2 entziehen. Anschliessend wird das Gas im Untergrund gespeichert.

Noch läuft die Anlage längst nicht im Vollbetrieb. Die Filter stecken in Containern, vor Ort stehen bis anhin zwölf. Im Laufe des Jahres soll die Anlage komplettiert werden, am Ende sollen es 72 Container sein. Das Projekt ist jedenfalls das bisher grösste seiner Art. «Orca», das Vorgängermodell von Climeworks, ebenfalls auf Island, holte pro Jahr 4000 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre. Die neue Anlage wird neunmal so viel leisten.

Die Climeworks-Anlagen werden immer grösser

Menge des Kohlendioxids, das pro Jahr der Luft maximal entzogen werden kann (in Tonnen CO₂)

Anlagen wie Mammoth gelten unter Fachleuten als unentbehrlich, will die Weltgemeinschaft sich eine Chance erhalten, die Erderwärmung nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Denn dazu müsse die CO2-Bilanz spätestens in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts negativ werden, heisst es in den Berichten der Weltklimarats. Eine negative Bilanz bedeutet, dass mehr CO2 beseitigt wird als ausgestossen. Dann sinkt der Anteil des Gases an der Luft.

Andernfalls ist eine Erwärmung um mehr als zwei Grad Celsius über vorindustrielles Niveau kaum zu vermeiden. Das hätte einschneidende Folgen für das Leben auf dem Planeten Erde – etwa das unumkehrbare Abschmelzen riesiger Gletscher in der Antarktis. Darum ist es nötig, so bald wie möglich über eine ausreichende Kapazität zur Entsorgung von CO2 zu verfügen.

Verschiedene Methoden kommen infrage, zum Beispiel natürliche wie die Aufforstung. Aber ohne die technische Entnahme von CO2 aus der Luft werde es nicht gehen, sagen praktisch alle Fachleute.

Ein Ventilator saugt die Luft an

Die Technik der Climeworks-Anlage hat sich bereits bewährt. Das Verfahren besteht aus zwei Teilen. Zunächst holt die Anlage CO2 aus der Luft heraus. «Direct Air Capture» (kurz: DAC) heisst diese Methode.

Jeweils 36 solcher CO2-Filter sind auf einem Container montiert. Den zweiten Schritt übernimmt vor Ort das Projekt Carbfix, gegründet 2007 von Reykjavík Energy, der Universität Island, einem Institut der französischen Forschungsorganisation CNRS in Toulouse und der Columbia University in New York. Das CO2 wird in Meerwasser gelöst und anschliessend in die Hohlräume von Basaltgestein gepumpt. Dort bindet sich das Treibhausgas chemisch und wird dadurch gespeichert.

Die Energie für die Anlage kommt von dem nahe gelegenen Geothermiekraftwerk Hellisheidi. Der Standort Island punktet damit, dass dort die Versorgung mit klimaschonender Energie so günstig ist.

Die technische Beseitigung von CO2 aus der Luft, wie sie Climeworks und andere Firmen betreiben, hat einen grossen Vorteil: Man kann ziemlich genau sagen, wie viel Kohlendioxid der Atmosphäre entzogen wird. «Das ist ein Schlüsselargument dafür, warum Unternehmen bereit sind, in diese Technologie zu investieren», sagt der Ingenieur Greg Mutch von der Newcastle University, der das Potenzial der DAC-Technologie untersucht hat. Bei anderen Ansätzen zur CO2-Entfernung, etwa dem Anpflanzen von Wäldern, lässt sich längst nicht so einfach nachweisen, wie gross der Nutzen ist.

Die Hochskalierung der Anlage um eine Grössenordnung sei ein wichtiger Schritt, sagt Mutch. Das gebe Investoren Zutrauen in die Technologie, um weitere Anlagen zu finanzieren. Noch sind die Verfahren für die Entfernung von CO2 allerdings sehr teuer. Die Schätzungen gehen auseinander, aber man muss in jedem Fall mit mehreren hundert Dollar pro Tonne CO2 rechnen.

Anfang März hat der Ökonom Bjarne Steffen von der ETH Zürich gemeinsam mit Kollegen eine Studie zum Potenzial für weitere Kostensenkungen veröffentlicht. Die Forschergruppe kam für das Jahr 2050 auf einen Preis zwischen 230 und 540 Dollar pro Tonne CO2.

«Bei den jetzt kommerziell genutzten Technologien kommen Kostensenkungen eher durch Learning by Doing zustande, nicht durch Grundlagenforschung», sagt Steffen. Ausserdem helfe die Vergrösserung der Anlagen, die Kosten zu drücken. «Es kann nur dann günstiger werden, wenn man anfängt zu bauen und daraus zu lernen.»

Kosten unter 100 Dollar pro Tonne sind unrealistisch

Der ETH-Forscher verweist auf das Beispiel der Photovoltaik. Da seien durch Milliardeninvestitionen die Kosten enorm gesunken. Aber er geht nicht davon aus, dass es gelingen wird, die Kosten für die technische Entsorgung des Treibhausgases aus der Luft auf unter 100 Dollar pro Tonne CO2 zu bringen.

Bis anhin werde die Entwicklung von freiwilligen Märkten getrieben, betont Steffen. Im Prinzip könnten sich die Investoren kurzfristig die Vermeidung von CO2 auch auf dem EU-Markt für Emissionszertifikate kaufen, und zwar billiger. Aber sie seien von der langfristigen Notwendigkeit der neuen Technologie überzeugt.

Der Ingenieur Matteo Gazzani, Professor in der Gruppe Energie und Ressourcen am Copernicus Institute of Sustainable Development der Universität Utrecht, hat sich ebenfalls mit den Kosten beschäftigt. Er wendet sich bei der Diskussion gegen einen dogmatischen Ansatz und unterstreicht den grossen Nutzen, den die DAC-Technologie hat. «Selbst wenn wir im Bereich von 350 Dollar pro Tonne landen, müssen wir einfach einen Weg finden, um die Anlagen zu finanzieren», sagt er.

Es gibt viele Firmen im Bereich der CO2-Entsorgung

Climeworks sei in einem bestimmten Zweig der DAC-Technologie führend, sagt Gazzani. Er meint das sogenannte Adsorptionsverfahren. Doch es gibt inzwischen viele weitere Unternehmen, die DAC mit verschiedenen anderen Techniken entwickelt haben. Bei einem dieser Verfahren ist das amerikanische Unternehmen Carbon Engineering der Marktführer. Mehrere Unternehmen zu haben, welche die DAC-Technologie verfolgen, ist laut Gazzani eine Vorbedingung für eine künftige Kostensenkung.

In Texas baut Carbon Engineering derzeit eine Anlage, die der Luft pro Jahr sogar 500 000 Tonnen CO2 entziehen soll – 14 Mal so viel wie Mammoth. 2025 soll sie fertig sein. Um in die Grössenordnung von einer Milliarde Tonnen CO2-Entzug vorzustossen, die man im Jahr 2050 erreicht haben müsste, wären allerdings 2000 solcher Anlagen nötig.

Allein dieser Zahlenvergleich zeigt, dass die Herausforderung immer noch riesig ist. Vor wenigen Tagen wies eine internationale Forschergruppe im Fachmagazin «Nature Climate Change» warnend darauf hin, dass die Anstrengungen für eine massenhafte Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre derzeit viel zu gering seien.

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