Mittwoch, Oktober 9

Die vom Startup Climeworks in Island gebaute Testanlage entsorgte 2023 nur ein Drittel der angekündigten Menge des Treibhausgases. Das Unternehmen und Experten geben sich trotzdem optimistisch.

Es ist der 8. September 2021, das Klima-Startup Climeworks eröffnet in Island feierlich seine bisher grösste Anlage. Sie basiert auf einer einfachen Idee. Wenn wir unsere Atmosphäre durch den Ausstoss von CO2 verschmutzen und so das Klima erhitzen: Warum bauen wir nicht einfach riesige Staubsauger, um sie wieder sauber zu bekommen? Das abgeschiedene Treibhausgas kann danach zum Beispiel im Untergrund eingelagert werden.

An der Zeremonie hält die isländische Ministerpräsidentin die Eröffnungsrede. Dann wendet sich der Climeworks-Co-Chef Jan Wurzbacher an die Gäste. Das Wetter sei erstaunlich gut, sagt er scherzend. Doch wer hier lebe, der wisse: Das ist nicht immer so.

Knapp drei Jahre später erweisen sich Wurzbachers Worte als prophetisch. In Island gibt es zwar mehr als genug erneuerbare Energie. Das harsche Klima und andere Schwierigkeiten haben aber dazu geführt, dass die ersten Resultate der Anlage namens Orca deutlich unter den von Climeworks angekündigten Werten liegen.

Star unter den Klima-Startups

Climeworks gab an, Orca könne der Luft jedes Jahr 4000 Tonnen Kohlendioxid entziehen, was den jährlichen Emissionen von 600 Europäern entspricht. Weil Bau und Betrieb der Anlage auch Emissionen verursachen, würden netto 3000 Tonnen als tatsächliche Reduktion übrigbleiben.

Doch im Jahr 2023 konnte Orca der Atmosphäre netto nur 921 Tonnen CO2 entziehen, also weniger als ein Drittel davon. Dies räumt Climeworks in einem Beitrag auf seiner Website ein. Noch tiefer lagen die Werte 2022: Die Anlage schaffte im ersten vollen Betriebsjahr nur 487 Tonnen.

Das ist ein Rückschlag für das Schweizer Unternehmen, das zu den Stars unter den Klima-Startups gehört. Climeworks hat nicht nur Hunderte Millionen von namhaften Investoren eingesammelt, unter anderen Partners Group, Swiss Re, Singapurs Staatsfonds oder den Amag-Erben Martin Haefner. Es hat auch eine imposante Liste von Kunden, unter ihnen Microsoft, UBS oder H&M.

«Schlechte Nachricht»

Inzwischen hat Climeworks 500 Angestellte. 2022 erschien das Climeworks-Logo bei Konzerten von Coldplay auf dem Bildschirm: Die weltberühmte Pop-Band setzt für den Klimaschutz ebenfalls auf das Startup.

Steve Smith, Physiker der Universität Oxford, bezeichnet die von Climeworks kommunizierten Werte als «schlechte Nachricht» für die Technologie zur CO2-Abscheidung. Damit diese dem Klima nützt, braucht es künftig Abertausende solcher Anlagen. Doch nun müssten wohl einige der sehr optimistischen Prognosen für die Skalierung der Technologie revidiert werden, schreibt er auf der Plattform X.

Der Climeworks-Co-Chef Jan Wurzbacher sagt, angesichts der technischen Herausforderungen in den letzten beiden Jahren sei er nicht enttäuscht über das Resultat. «Im Rückblick wären wir heute aber wohl etwas vorsichtiger bei der Ankündigung des konkreten Reduktionsziels für Orca.»

Doch warum wurden die angepeilten Ziele so weit verfehlt? Ein wichtiger Grund ist das an der Eröffnungsfeier von Wurzbacher angesprochene Wetter. Als Beispiel nennt er die Türen der Container mit den CO2-Filtern. Diese müssen von Zeit zu Zeit automatisch geschlossen werden, damit das eingefangene CO2 abgesaugt werden kann.

Anlage vereist bei Kälte

Für den Schliessmechanismus setzten die Ingenieure zuerst Riemenantriebe ein. Bald zeigte sich: Bei Kälte vereisen sie, die Türen schliessen nicht. Also stellten die Ingenieure auf Kettenantriebe um. Doch diese kämpften mit Korrosionsproblemen.

Dazu kommt: Die Anlage ist veraltet. Die Filter repräsentieren den Entwicklungsstand von 2019. Sie funktionieren zwar noch immer ziemlich gut und halten deutlich länger, als Wurzbacher erwartet hatte, wie er sagt. Doch die Aufnahmefähigkeit des Materials habe nachgelassen.

Wurzbacher sieht darum grosses Verbesserungspotenzial. Mit neuen Filtern würde die Anlage ohne grössere Betriebsausfälle 2500 Tonnen CO2 absorbieren. Zudem könnten die effizienteren Filter eingesetzt werden, welche die dreissig Chemiker von Climeworks entwickelt haben. So würde Orca gar 2700 Tonnen CO2 einfangen. Weitere bereits identifizierte Verbesserungen vermögen die Effizienz nochmals um 10 Prozent zu steigern. Damit wäre die Anlage dann «ungefähr bei den von uns angepeilten 3000 Tonnen pro Jahr», sagt Wurzbacher.

Bei völlig neuartigen Anlagen wie jener von Climeworks seien solche Probleme unvermeidlich, fügt er an. Experten bestätigen diese Einschätzung. Bei der Einführung sei mit Problemen bei den Materialien, der Technik, der Lieferkette und anderem mehr zu rechnen, sagt der Ingenieur Greg Mutch von der Universität Newcastle. «Es ist der Sinn eines Pilotprojekts wie Orca, solche Probleme zu erkennen und Lösungen zu entwickeln.»

Die Grössenordnung stimmt

Laut Mutch war zu erwarten, dass die Resultate nicht den angekündigten Werten entsprechen werden. Sie lägen aber in der angepeilten Grössenordnung. Gleichzeitig mache Climeworks bei der Lösung der Probleme offenbar Fortschritte. Darum sei der bisherige Betrieb von Orca «im Grossen und Ganzen als Erfolg zu werten».

Mutch begrüsst, dass Climeworks aus eigenem Antrieb Transparenz geschaffen hat. Das Unternehmen erkläre in seinem Beitrag auf der Website sehr detailliert, warum die geplante Kapazität nicht erreicht wurde. «Diese Transparenz ermöglicht es Wissenschaftern und Ingenieuren zu verstehen, wo die Probleme liegen.» Darum bleibt Mutch überzeugt: Technologien zur Abscheidung von CO2 «werden eine entscheidende Rolle bei der Eindämmung des Klimawandels spielen».

Auch Steve Smith von der Universität Oxford betont, wie wichtig es ist, dass Climeworks selbst für Transparenz gesorgt hat. Nur so könnten völlig neuartige Technologien Vertrauen gewinnen. Für Smith ist ebenfalls klar: Die Technologie habe sich etabliert und sollte unterstützt werden, «damit sie weiter wachsen kann».

Climeworks jedenfalls plant bereits die nächste Eröffnungsfeier in Island. Diesmal heisst die Anlage Mammoth. Sie soll Ende Jahr stehen und im Vollbetrieb jährlich 36 000 Tonnen CO2 aus der Luft saugen, also rund zehnmal so viel wie Orca. Der Climeworks-Chef Wurzbacher hält an dieser vor längerem kommunizierten Zahl fest. Ein Grund dafür: die Erfahrungen, die das Startup mit der kleineren Vorgängerin gemacht hat. Denn im Betrieb habe sich gezeigt: Die Probleme seien nicht grundsätzlicher Natur. Sondern technischer Art. Und damit lösbar.


Climeworks: Umstrittene Kostenschätzungen

Technologien, die Kohlendioxid aus der Luft holen, sind ein unabdingbarer Teil des Kampfes gegen die Klimakrise. Der Weltklimarat IPCC schrieb 2018, nur mit ihrer Hilfe könne die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau beschränkt werden.

Heute kostet es um die 1000 Dollar, mit der Technologie von Climeworks eine Tonne CO2 zu entfernen. Um den Durchbruch zu schaffen, müssen die Kosten drastisch sinken.

Kürzlich hat Climeworks vorgerechnet, wie teuer die Technologie 2050 sein soll. Das Resultat: 100 bis 250 Dollar pro Tonne. Eine im März publizierte Studie von Forschern der ETH sieht die Entwicklung allerdings weniger optimistisch. Sie hat verschiedene Methoden zur Abscheidung von CO2 aus der Atmosphäre untersucht. Bei der von Climeworks eingesetzten Technologie rechnet sie damit, dass eine reduzierte Tonne 2050 noch immer zwischen 280 und 580 Dollar kosten wird.

In den ersten zwei Produktionsjahren konnte die Anlage Orca von Climeworks zudem deutlich weniger CO2 einfangen als geplant (siehe oben). Auch das wirft die Frage auf, wie realistisch die Schätzungen des Startups sind.

Dem Climeworks-Co-Chef Jan Wurzbacher bereiten die Resultate der ETH-Studie keine Sorgen. Die gute Nachricht sei: «Die Kostenschätzung der Studie und unsere Voraussagen bewegen sich ungefähr in der gleichen Grössenordnung.» Vor wenigen Jahren war das noch anders. Da lagen die Schätzungen der Experten um den Faktor zehn oder mehr auseinander, wie er erklärt.

Schätzungen wie jene der ETH-Studie leiden laut Wurzbacher zudem an einem grundsätzlichen Problem: Es sei ausserordentlich schwierig, bei völlig neuartigen Technologien genaue Vorhersagen zu machen.

Climeworks habe fünfzehn Jahre Arbeit und rund eine halbe Milliarde Franken in die Entwicklung und den Bau mehrerer Anlagen gesteckt. Inzwischen habe das Unternehmen eine gute Vorstellung seiner Kosten in den nächsten paar Jahren. «Trotzdem kann ich heute nicht mit grosser Genauigkeit sagen, wie teuer diese Technologie im Jahre 2050 sein wird.» Und dies, obwohl Climeworks inzwischen viel Erfahrung hat und auf einem riesigen Datenberg sitzt.

Wurzbacher warnt darum davor, die ETH-Studie als letztes Wort in der Sache zu nehmen. «Wenn wir als Entwickler und Erbauer von Anlagen keine genaue Voraussage im Jahr 2050 machen können, dann ist das für die Studienautoren auch nicht möglich.»

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