Freitag, Januar 10

Coco.gg war eine Chat-Plattform, die es Sexualverbrechern in Frankreich ermöglichte, sich zu schweren Straftaten zu verabreden. Nun wurde der Gründer der Website in Polizeigewahrsam genommen.

Ermittler nannten sie die «Raubtierhöhle»: Coco.gg (früher: coco.fr) war eine französische, für jedermann zugängliche Online-Chat-Seite, auf der sich bis zu ihrer Schliessung im Juni 2024 Menschenhändler, Pädophile und Kriminelle aller Art tummeln und zu Verbrechen verabreden konnten.

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Auch die Vergewaltiger der Rentnerin Gisèle Pelicot nutzten die Plattform. Ihr Ex-Mann hatte hier über viele Jahre gezielt nach anderen Männern gesucht, die sich wie er an der perversen Idee berauschten, eine bewusstlose Frau zu missbrauchen. Der sogenannte Mazan-Prozess (benannt nach dem Ort, wo die Vergewaltigungen geschahen) machte weltweit Schlagzeilen. Er endete im Dezember mit der Höchststrafe von 20 Jahren für den Hauptangeklagten Dominique Pelicot und 50 weiteren Verurteilungen.

Nur drei Klicks für Kontakt mit Pädophilen

Jetzt wurde bekannt, dass auch der Gründer und Betreiber von coco.gg, Isaac Steidl, in Polizeigewahrsam genommen wurde. Der 44-Jährige soll im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens zur Bekämpfung digitaler Verbrechen verhört werden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, eine illegale Online-Plattform betrieben sowie Beihilfe zu schweren Straftaten wie Zuhälterei, Verbreitung von kinderpornografischem Material und Geldwäsche geleistet zu haben. Ob er nach dem Verhör in Haft bleibt, muss ein Untersuchungsrichter entscheiden.

Über Steidl ist wenig bekannt. Der Südfranzose, Absolvent einer Ingenieurschule im provenzalischen Toulon, operierte jahrelang diskret im Hintergrund. Seine Website entwickelte er 2003, damals angeblich als Plattform für romantische Treffen. Coco.gg funktionierte mit einer extrem simplen Struktur und lockte damit zuletzt bis zu 800 000 Nutzer im Monat an. Um sich anzumelden und in diversen Diskussionsgruppen miteinander zu chatten, reichte es schon, dass die Nutzer ein Pseudonym, ihr Geschlecht, ihr Alter und eine Postleitzahl angaben. Auf eine Verifizierung wurde ebenso verzichtet wie auf eine Archivierung der Gespräche.

Diese Anonymität und fehlende Kontrolle machten Coco.gg zu einem Paradies für Straftäter. Denn neben offenen Diskussionsgruppen konnten sich die Nutzer auch in privaten Räumen mit unzweideutigen Namen wie «ExhibitTaFemme» (Zeige Deine Frau) oder «JF Lyceennes» (Junge Gymnasiastinnen) verabreden. «Mit nur drei Klicks kommen sie möglicherweise mit Pädophilen in Kontakt. Coco.gg ist ein Treffpunkt für alle Laster», kritisierte die Kinderschutzorganisation «Innocence en danger» (Unschuld in Gefahr), die sich schon seit 2013 für die Schliessung der Website einsetzte.

Die Liste der Straftaten, die im Zusammenhang mit der Plattform stehen, ist lang und umfasst unter anderem Pädokriminalität, Drogenhandel, Hassverbrechen und sogar Morde. Nach Angaben der Pariser Staatsanwältin Laure Beccuau wurde coco.gg bis 2024 in nicht weniger als 23 000 Gerichtsverfahren erwähnt. So wurden allein im April 2024 drei Fälle von homophoben Angriffen gemeldet, bei der die Opfer über die Plattform in eine Falle gelockt wurden, um sie auszurauben und schwer zu misshandeln. Allerdings sollen Ermittler die Plattform auch selber genutzt haben, um Straftäter zu identifizieren – dies könnte der Grund sein, warum die Behörden so lange zögerten, gegen coco.gg vorzugehen.

Für den Sexualverbrecher Pelicot war die Plattform in jedem Fall ein ideales Instrument, um Komplizen für die Vergewaltigungen seiner Ex-Frau zu «rekrutieren». Der Rentner teilte dort nicht nur sexuell eindeutige Fotos des Opfers, sondern tauschte sich mit den anderen Männern sogar über Betäubungsmethoden aus. Der private Chat-Raum, den er zu diesem Zweck bereits 2010 geschaffen hatte, liess hinsichtlich des kriminellen Charakters kaum Zweifel aufkommen. Er trug den Namen «A son insu» (Ohne ihr Wissen).

Ins Ausland geflohen

Steidl lebte von den Erlösen der Werbeanzeigen und Premium-Konten offenbar nicht schlecht. Er erwarb mehrere Immobilien und gründete ein Unternehmen zur Software-Programmierung, das er 2022 mit Gewinn verkaufte. Weil im selben Jahr die Zahl der Rechtsfälle anstieg, setzte sich der Ingenieur nach Bulgarien ab, verlegte seine Server nach Deutschland und hostete die Plattform auf der Kanalinsel Guernsey. Aus coco.fr wurde coco.gg.

2023 verzichtete Steidl auf die französische Staatsbürgerschaft und nahm die italienische an. All das verhinderte aber nicht, dass der Gründer der «Raubtierhöhle» ins Fadenkreuz der Ermittler geriet und Coco.gg dank der Zusammenarbeit europäischer Polizeibehörden im Juni 2024 geschlossen wurde. Den Franzosen soll er sich nun freiwillig gestellt haben.

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