Sonntag, Januar 12

Colin Field stand knapp 30 Jahre hinter dem Tresen der Hemingway Bar im Pariser Hotel Ritz und hat die Stars und Sternchen des internationalen Jetsets mit seinen Drinks glücklich und gesprächig gemacht. Wir haben ihn getroffen.

Colin Field, sowohl die Hemingway Bar des Hotels Ritz als auch Ihr jetziger Arbeitsort in Paris, das Hotel Maison Proust, verströmen eine Grandezza aus früheren Zeiten. Sind Sie ein Nostalgiker?

Ich mag die Epochen von den 1920er Jahren bis zu den 1960er Jahren. Doch ich bevorzuge die Gegenwart und lebe nach dem Carpediem-Prinzip. Daher würde ich auch in keiner anderen Zeitepoche leben wollen als im Jetzt.

Sie arbeiten seit über dreissig Jahren im Herzen von Paris. Leben Sie auch hier?

Nein, meine Frau – sie ist meine dritte Frau, ich war zuvor schon zweimal verheiratet – und ich wohnen mit unserem fünfjährigen Sohn ausserhalb der Stadt. Ich war immer mit meinen Gästen verheiratet. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum meine früheren Ehen in die Brüche gingen. Wir sind auch oft in unserem Ferienhaus auf dem Land, wo ich gerne jage. Aber ich schiesse nur mit meiner Kamera, nicht mit einem Gewehr.

Zur Person

Colin Peter Field – Bartender

Der gebürtige Brite Colin Peter Field (63) wurde mehrfach zum weltbesten Bartender ausgezeichnet und trägt den Titel «Meilleur Ouvrier de France». Er arbeitete von 1994 bis 2023 in der Hemingway Bar des Hotels Ritz in Paris. Field hat mehrere Drinks erfunden, wie etwa den «Clean Dirty Martini». Nun ist Field jeweils am Freitagabend im Maison Proust Hotel & Spa La Mer in Paris anzutreffen.

PD

Was fasziniert Sie an Ihrem Beruf als Bartender?

Ich fühle mich – auf eine bescheidene Art – wie ein Künstler. Meine Arbeit erfüllt mich und macht mich glücklich. Aber ich habe auch Phasen, in denen ich an Depressionen leide. Jetzt gerade befinde ich mich in einem Tief. Dies verbindet mich mit Ernest Hemingway.

Was macht eine gute Bar aus?

Man kommt nicht in eine Bar, weil man Durst hat. Man besucht eine Bar, weil man etwas Besonderes erwartet. Man weiss zwar nicht was, aber man hofft, dass etwas Magisches geschehen wird.

Was ist das Magische an Ihrer Bar?

In meiner Bar gibt es keine Musik – ich mag es gar nicht, wenn Musik läuft. Auch will ich nicht, dass die Menschen aus der Bar laufen und sagen, der Cocktail war gut. Nein, sie sollen eine wunderbare Zeit verbringen, attraktive, interessante Menschen treffen, sich gut unterhalten. Zu mir kommen immer viele Frauen. Das ist speziell, denn Bars sind ja eigentlich Männerdomänen.

Welche Fähigkeiten und Charaktereigenschaften sollte man als Bartender haben?

Man muss ein Diplomat sein und immer mit Fingerspitzengefühl vorgehen.

Sie haben einige bekannte Signature Drinks kreiert. Wie erfindet man einen Drink?

Hinter jedem Drink stehen ein Mensch und eine Geschichte. Wenn man findet, wonach man immer schon gesucht hat, aber nie so genau wusste, was man eigentlich sucht, dann ist es eine «Miss Bond». Kreiert habe ich diesen Drink 1996.

Als Hommage an die Bond Girls aus den James-Bond-Filmen?

Nein, der Drink ist Carolina Bond gewidmet. Sie war die Freundin eines der «Ritz Boys». So nannte ich die Gruppe junger reicher Männer, die praktisch täglich in die Bar des Hotels Ritz kamen und Unmengen von Geld ausgaben. Carolina Bond war sehr hübsch. Wir haben uns auf platonische Art bestens verstanden, und ich beschloss, einen Cocktail für sie zu kreieren. Der Cocktail basiert auf Champagner und Himbeeressenz.

Apropos Bond: Sie sollen ein grosser James-Bond-Fan sein…

… Absolut! Es war immer mein Traum, in einem Bond-Film mitzumachen. Ich habe in meinem Leben alle James-Bond-Darsteller, ausser Roger Moore, bedient. Eines Tages sass Daniel Craig bei mir in der Bar. Ich habe ihm erzählt, dass ich den internationalen Dry Martini Contest verloren habe. Was ich übrigens bis heute nicht verstehen kann. Der Grund, warum ich den Contest nicht gewonnen habe, war angeblich, dass ich nur zwei statt drei Oliven ins Glas gegeben habe. Im Bond-Film Spectre sagt Daniel Craig, dass er gerne einen Dry Martini mit drei Oliven hätte. Ich bilde mir ein, er sagt dies wegen mir.

Welchen Drink würden Sie mir servieren?

Sie sind sicher eine Frau, die gerne Weisswein trinkt, keinen Roten. Sie trinken Champagner, ab und zu Vodka vielleicht und mögen es nicht gerne süss. Das fühle ich, wenn ich Sie ansehe. Also werde ich Ihnen einen Cocktail auf der Basis von Weisswein servieren, angereichert mit Himbeeressenz und ganz wenig Wodka.

Sie haben mich total durchschaut. Leisten Sie mir mit diesem Drink Gesellschaft?

Ich trinke nur ein Glas Champagner von Rothschild. Dieser Champagner ist eine perfekte Basis für Drinks, weil er neutral ist. Denn was die weisse Leinwand für den Maler, ist der neutrale Champagner für den Bartender: die Ausgangslage für ein Kunstwerk.

Welche Ihrer Berufskollegen verdienen in Ihren Augen besonderen Respekt?

Es gibt nur etwa fünf Bartenders auf der Welt, die wahre Künstler sind. Ein Künstler hat seinen unverkennbaren Stil. Wenn Sie ein Bild von Van Gogh oder Goya anschauen, wissen Sie, dass es ein Van Gogh oder ein Goya ist, selbst wenn Sie dieses Bild nicht kennen. So muss es auch mit einem Drink sein.

In der Bar des Hotels Maison Proust steht eine beeindruckende Sammlung alter Editionen von Marcel Proust. Lesen Sie gerne?

Ich habe schon immer viel gelesen. Für mich ist es spannend, mit Hemingway und Proust zu arbeiten. Ich bin definitiv der Hemingway-Typ. Proust würde sagen: «Eine kühle Brise streichelte die Wasseroberfläche, glitt sanft über die Wellen, bis sie schliesslich seine Haut berührte und das Blut gefrieren liess.» Hemingway würde hingegen sagen: «Ihm war kalt, ja, ihm war kalt, ihm war sehr kalt, mein Gott, war ihm kalt.» Das hat er von Gertrude Stein gelernt, die sagte, man solle einen simplen Satz verwenden und ihn wiederholen. Ich bin definitiv sehr Hemingway. Rede ich zu viel?

Nein, gar nicht, erzählen Sie weiter!

Ich habe selbst zwei Bücher geschrieben. Dasjenige aus dem Jahr 2000 ist heute ein Sammlerstück. Eines wurde kürzlich bei Christie’s für 8000 Euro versteigert. Es handelte sich um ein in Leder gebundenes, signiertes Exemplar. Kate Moss hat das Vorwort geschrieben. Sie ist eine Freundin von mir.

Sie scheinen Gott und die Welt zu kennen!

Ich habe in meinem Berufsleben viele Promis und Supermodels kennengelernt. Aber heute traut man sich ja kaum noch, eine Frau anzuschauen. Man kann in einer Bar nicht mehr auf eine Frau zugehen und «Guten Abend!» sagen. Man kann nicht mehr sagen: «Darf ich Ihnen einen Drink anbieten?» Oder: «Darf ich Sie zum Essen einladen?» Das Allerschlimmste finde ich jedoch diese Dating-Plattformen! In 20 Jahren werden die Menschen keinen Körperkontakt mehr haben, sondern eine Pille nehmen und sich virtuell berühren. Das wird so kommen. Als ich jung war, war alles viel romantischer, und wir waren freier.

Sie sind also doch ein Nostalgiker!

Ja, vielleicht.

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