Es ist die nächste Volte im schillernden Leben des Weltmeisters, der auch als Politiker Karriere gemacht hat. Ab Samstag will er für den America FC aus Rio de Janeiro auf dem Rasen stehen, den er gleichzeitig präsidiert. In Richtung des Trainers hat er schon einmal eine Art Drohung ausgesprochen.

Im Leben von Romário de Souza Faria waren nicht viele Dinge sakrosankt. Ob bei Arbeitgebern, Frauen, politischen Parteien oder in seinen Launen – der brillante Weltmeister und Weltfussballer von 1994 liess sich da selten festlegen. Eine Ausnahme freilich gibt es: den America Football Club, traditionell die Nummer fünf unter den grossen Fussballvereinen aus Rio de Janeiro, nach den bekannteren Marken Flamengo, Fluminense, Botafogo und Vasco da Gama.

Der America FC war die grosse Liebe seines Vaters und für Romário auch deshalb immer eine stabile Herzensangelegenheit. 2009 absolvierte er im Trikot von America sein bis dato letztes Spiel als Profifussballer. Und für den Klub schnürt er auch jetzt die Schuhe, wenn er am Samstag sein Comeback auf dem Rasen geben will – im Alter von 58 Jahren. America startet gegen Gonçalense in die zweite Liga der Regionalmeisterschaft von Rio de Janeiro.

Weil Romário den Verein mittlerweile präsidiert, muss er nicht um Erlaubnis fragen, um sich seinen «Vatertraum» zu erfüllen, wie er das Vorhaben nennt, für einige Matches mit seinem 30-jährigen Sohn Romarinho aufzulaufen. Der hat physisch seinem Vater sicher einiges voraus. «Gleich wird die Bahre kommen, um mich abzuholen», witzelte Romário nach seinem ersten richtigen Mannschaftstraining seit fünfzehn Jahren. Aber wie sieht es fussballerisch aus?

Da gab und gibt es nur einen Romário. «Als ich geboren wurde, zeigte Gott mit dem Finger auf mich und sagte: ‹Der ist es›»: So hat er es gern erzählt. Auch für die Experten bestanden nie Zweifel daran, dass «o baixinho», der «Kurze» (in Anspielung auf seine Körpergrösse von 1 Meter 67), mit dem Talent eines Auserwählten gesegnet war.

Mit Johan Cruyff soll er einen Karnevalspakt ausgehandelt haben

Wohl kein Fussballer konnte je Kunst und Effizienz im Strafraum so genial verbinden wie er. Die Trainerlegende Jorge Valdano nannte ihn den «Zeichentrickspieler», für seinen Teamkollegen Michael Laudrup war Romário «unvergleichlich», und sein ehemaliger Klubtrainer Johan Cruyff bezeichnete ihn als «den besten Fussballer der 1990er Jahre». Romário mischte Rhythmuswechsel, Technik und Kreativität mit unangestrengter Lässigkeit. Er erfand Dribbeleinlagen wie die «cola de vaca», den «Kuhschwanz», und traf bevorzugt per Lupfer. Nur eines war er nie: ansatzweise konventionell.

La Cola de Vaca de Romário - Barcelona x Real Madrid - La Liga 93/94

So endlos wie der Reichtum seiner Tore ist auch der Anekdotenschatz seiner Eskapaden. Als er für den FC Barcelona spielte, setzte der Klub einen Privatdetektiv auf ihn an. Romário brauchte nicht lange, um das Manöver zu durchschauen. «Ich weiss, warum du hier bist», soll er dem Fremden gesagt haben, «die erste Runde geht auf mich, denn der Abend wird dich noch ein Heidengeld kosten.» Für Romário war die Sache ganz einfach: «Die Nacht ist meine Freundin. Gehe ich nicht aus, treffe ich nicht.»

Mit Cruyff, so erzählten es beide später, handelte er einmal einen Karnevalspakt aus. Für mindestens zwei Tore in der nächsten Partie dürfe er zum Feiern nach Rio. Er habe dann schon zur Halbzeit dreimal getroffen, so Romário, schnell geduscht und sich von den ahnungslosen Teamkollegen mit den Worten verabschiedet: «Ich muss zum Flieger.» Keine Matchstatistik deckt sich mit dieser Darstellung, aber was soll’s: Künstlerfreiheit.

Als er nach der von ihm dominierten WM 1994 nicht zwei oder drei Tage zu spät aus Brasilien zurückkam, sondern 23, wurde es jedoch selbst Cruyff zu bunt. Während die anderen Barça-Spieler in der Saisonvorbereitung Kondition büffelten, zeigten die Fernsehaufnahmen Romário an der Copacabana beim Footvolley, einer Mischung aus Beachvolleyball und Fussball, einer lebenslangen Leidenschaft von «baixinho». Noch viele Jahre später galt das Strandstück bei Leme als Geheimtipp für Rio-Besucher, weil man dort mit ein bisschen Glück Romário bei seiner Passion zuschauen konnte.

Als er sein 1000. Tor schoss, feierte das ganze Land

Aber Romário war auch immer ein Mann mit verletzlichem Stolz. Er brach nicht nur mit Cruyff, weil der ihn nach dem WM-Titel 1994 in ein langweiliges Aufbautraining steckte, sondern auch mit Brasiliens WM-Verantwortlichen von 1998, die ihn wegen einer Blessur kurzfristig aus dem Kader strichen. Mario Zagallo, der damalige Nationaltrainer, fand sich in Romários Bar «Café do Gol» auf den Karikaturen beim WC auf der Kloschüssel wieder, während ihm Zico, der Teamkoordinator, die Papierrolle hielt. Beide verklagten ihn.

Um die WM 2002 brachte sich Romário selbst, weil er mit dem Hinweis auf eine Augenoperation seine Teilnahme an der Copa América abgesagt hatte, parallel jedoch Freundschaftsspiele seines Klubs Vasco da Gama absolvierte. Weder eine tränenreiche Reueerklärung vor laufenden Kameras noch eine Intervention des Staatschefs Cardoso konnten den Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari erweichen. Dabei hätte Romário aus sportlicher Optik weiterhin in jedes Aufgebot gehört.

Zwar sah auch er, dass er viel mehr Tore geschossen hätte, wenn er wie ein Leistungssportler gelebt hätte. Doch er pflegte einzuwerfen: «Dann wäre ich nicht so glücklich geworden.» Trotzdem gelangen ihm mehr als tausend Tore. Die Zahl 1000 hatte er bereits mit 22 Jahren versprochen. Als er sie am 20. Mai 2007 im Trikot von Vasco da Gama per Elfmeter erreichte, feierte das ganze Land.

Brasilien vermutete ihn fortan am Strand – und staunte, als er bald in die Politik eintrat. Gerechtigkeitssinn mochte dabei eine Rolle spielen, auch die soziale Sensibilität durch seine Herkunft aus dem Armenviertel Jacarezinho oder die Geburt einer Tochter aus dritter Ehe, die mit dem Down-Syndrom zur Welt kam.

2010 eroberte Romário ein Kongressmandat, seit 2014 ist er Senator. Zunächst profilierte er sich als Rächer der Unterprivilegierten. «Ich dachte vorher, dass die Politik ein Ort von Dieben und Schuften ist, und ich hatte Recht», tönte er. Doch unterdessen wechselte er so oft das Lager, dass viele Beobachter auch ihm eher persönliche Karrieremotivationen unterstellen als Sorge um das Gemeinwohl. Romário pendelte zwischen Konservativen, Sozialisten, Liberalen, ehe er sich der Partei des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro anschloss.

Es ist klar, dass sich der Präsident als Spieler gewisse Privilegien herausnehmen wird

Eine Konstante ist sein parlamentarisches Engagement gegen Korruption im Fussball. Gegenwärtig fungiert er als Berichterstatter eines Untersuchungsausschusses, der mögliche Spielmanipulationen durch Wettkonzerne prüft. In seinem Antrag nannte Romário 109 verdächtige Partien allein aus dem Jahr 2023.

Parallel verhandelt Romário als Präsident des America FC mit einem Wettanbieter um ein Sponsoring. Interessenkonflikt? «Nein», sagte Romário der «Folha de São Paulo»: «Wenn es sich bei dieser Firma um eines der Unternehmen handelt, die dem brasilianischen Fussball geschadet haben, wird sie genauso bezahlen wie die anderen.»

Auch der neue, alte Job als Spieler lasse sich gut vereinbaren mit dem Politikeramt, findet Romário. Die Abgeordneten müssen schliesslich nur zweieinhalb Tage in der Woche in der Hauptstadt Brasília residieren – eine alte Übereinkunft, mit der den Politikern einst der unpopuläre Wechsel der Hauptstadt schmackhaft gemacht wurde, die früher Rio de Janeiro geheissen hatte.

Und so kann es am Samstag losgehen mit der zweiten Karriere von Romário als Profifussballer. Er hat einen Vertrag bis zum Jahresende unterzeichnet, sein vorgeschriebener Mindestlohn geht zurück in die Klubkasse. Er könne keine Tore versprechen und wolle nur einige Minuten in manchen Partien spielen, sagte der prominente Rückkehrer.

Doch klar ist auch, dass sich Romário gewisse Privilegien herausnehmen wird. Das lässt folgendes Zitat erahnen. Romário sagte: «Wenn es einen Elfmeter gibt, wird der Präsident den Trainer bitten, dass ich ihn schiesse. Hat der Trainer etwas dagegen, wird er entlassen – und der Präsident schiesst trotzdem.»

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