Der Heilige Vater ist tot, die Arbeit beginnt. Edward Bergers «Conclave» erzählt vom Machtpoker im Vatikan. Ein packender Cocktail, gemixt aus grosser Oper und intimem Kammerspiel.
Kardinäle sind verschwiegen. Papst Franziskus nicht. Auch dann nicht, wenn es um die Papstwahl geht. Das Geschäft also, in dem sich die Macht der Kurie am deutlichsten zeigt. In einem Buch, das im vergangenen Frühling erschien, gab er freimütig Einzelheiten über das Konklave von 2005 zum Besten. Er selbst, sagte er, sei damals benutzt worden, um die Wahl von Joseph Ratzinger zu verhindern. Am ersten Tag habe eine Fraktion auf einmal damit begonnen, ihn, Jorge Mario Bergoglio, zu wählen.
Immerhin vierzig von hundertfünfzehn Stimmen habe er erhalten. Natürlich hätten ihn die Kollegen nicht wirklich zum Papst machen wollen. Sie hätten über ganz andere Namen nachgedacht, sagte Franziskus. Aber sie seien sich nicht einig geworden. Am zweiten Tag habe er das Manöver durchschaut und darum gebeten, «nicht mit meiner Kandidatur zu scherzen». Der Scherz hatte bald ein Ende. Am gleichen Tag wurde Ratzinger gewählt. Acht Jahre später war Bergoglio Papst.
Das hört sich an wie die Vorlage zu Robert Harris’ 2016 erschienenem Roman «Conclave». Ein Kammerspiel um Macht, Ehrgeiz und menschliche Schwächen, das vom österreichisch-schweizerischen Oscarpreisträger Edward Berger («Im Westen nichts Neues») verfilmt worden ist. Opulent verfilmt. Glatter grauer Marmor, purpurfarbene Soutanen, ernste Gesichter. Aber auch: raffinierte Dialoge und eine bei allem Pathos differenzierte Zeichnung der Figuren.
Berger erzählt eng an der Vorlage die Geschichte einer Papstwahl. Das klingt nicht berauschend. Aber ist packend inszeniert. Als Cocktail, gemixt aus grosser Oper und intimem Kammerspiel. Und zugleich als finsterer Thriller mit Machtkämpfen, Intrigen und unheiligen Allianzen. Vor der Kulisse der ältesten Institution der Welt, deren Funktionäre als letzte Fürsten die Macht ihrer Kirche fast physisch spürbar machen.
Glaubenskrise
Es beginnt, wie es beginnen muss. Der Papst ist gestorben. Herzinfarkt, heisst es, als Kardinal Thomas Lawrence (Ralph Fiennes) am frühen Morgen in die Casa Santa Marta im Vatikan gerufen wird. In den Privaträumen des Papstes wimmelt es von Kardinälen, Priestern und dienstfertigen Nonnen. Am Totenbett stehen die engsten Vertrauten des Heiligen Vaters: Staatssekretär, Kämmerer, Grosspönitentiar. Alles vollzieht sich mit der gnadenlosen Folgerichtigkeit, die Ritualen eigen ist. Gebete werden gesprochen, der Siegelring des Papstes wird zerstört, das Totenzimmer versiegelt.
Als Dekan des Kardinalskollegiums fällt Lawrence die Aufgabe zu, das Konklave zu leiten, das den neuen Papst wählen muss. So hat es der verstorbene Papst verfügt. Gegen Lawrence’ Willen. Er hatte darum gebeten, ihn aus dem Amt zu entlassen: Glaubenskrise. Am liebsten hätte sich Lawrence in ein Kloster zurückgezogen. Doch der Papst hatte kein Gehör dafür: «Manche sind zum Hirten auserwählt, andere werden gebraucht, um den Hof zu führen», hatte er ihm beschieden: «Deine Rolle ist nicht die des Seelsorgers. Du bist ein Manager.»
Befehl ist Befehl. In der Kirche erst recht. Lawrence fügt sich, im Wissen darum, dass er sich entgegen der Aufforderung des Papstes nicht darauf beschränken kann, das bis in die kleinsten Details geregelte Wahlprozedere zu leiten. Er hat selbst politische Interessen, will verhindern, dass ein konservativer Hardliner gewählt wird, der die Veränderungen des verstorbenen Papstes rückgängig macht. Lawrence versucht, sich allen Kabalen zu entziehen. Und steht bald selbst im Mittelpunkt der Machtspiele.
Gegen aussen geben sich die Herren in den wallenden Gewändern diskret freundschaftlich. Doch das Eis ist dünn. Da ist der leutselige italienische Kardinal, der Tedesco heisst (Sergio Castellito) und die Kirche wieder auf den richtigen Weg bringen will: durch die Wiedereinführung der lateinischen Messe und den Kampf gegen den Islam. Der Nigerianer Adeyemi (Lucian Msamati), der seine Ambitionen nicht verhehlt, weil es endlich Zeit für einen Pontifex aus Afrika wäre. Der Reformer Bellini (Stanley Tucci), der so charmant wie unerbittlich für eine Kirche kämpft, die sich der Welt öffnet. Und der Kanadier Tremblay (John Lithgow), der von Anfang an als Favorit gehandelt wird.
Ein geheimer Kardinal
Papst werden will keiner. Offiziell wenigstens. Aber selbstverständlich hat sich jeder bereits überlegt, welchen Namen er annähme, wenn er gewählt würde. Schliesslich ist fast alles möglich. Nicht weil die Ränkespiele der Kirchenmänner unerforschlich wären. Im Gegenteil. Aber die Allianzen wechseln. Man verliert die Zustimmung so rasch, wie man sie gewonnen hat. Und Loyalitäten gelten nur so lange, wie sie politisch opportun sind.
Kurz bevor das Machtspiel hinter den verschlossenen Türen der Sixtinischen Kapelle beginnt, taucht Benitez auf. Ein Kardinal, von dem niemand je gehört hat. Der verstorbene Papst hatte ihn zum Erzbischof von Kabul ernannt, «in pectore», wie es im Amtslatein der Kurie heisst: im Geheimen, damit er und seine Arbeit in der heiklen politischen Situation seines Landes nicht gefährdet werden. Das ist ungewöhnlich. Aber es ist nicht das einzige Ungewöhnliche, was der Papst vor seinem Tod getan hat. Und noch viel ungewöhnlicher ist, was Lawrence über einige seiner Kollegen erfährt.
Es gibt Gerüchte. Über Tremblay und seine letzte Unterredung mit dem Papst. Über Adeyemis Vergangenheit. Und ein Komplott. Lawrence will Licht in die Sache bringen, um seine Kirche zu schützen. Schliesslich geht es um viel. Die Kardinäle geloben, den Kandidaten zu wählen, der nach dem Willen Gottes gewählt werden muss. Ein hoher Anspruch, und Lawrence zweifelt mehr und mehr daran, dass Gottes Wille bei den Menschen gut aufgehoben ist. «Es ist eine Wahl, kein Krieg», sagt er einmal zu Bellini, der vom Verbündeten zum Gegenspieler zu werden droht. «Es ist ein Krieg», antwortet der, «und du musst dich entscheiden, auf welcher Seite du stehst.»
Am Ende wird ein Papst gewählt. Dass man schon bald weiss, wer es ist, spielt keine Rolle, weil der Schluss trotzdem eine Pointe bereithält. Dass der Vatikan von einer Bombe islamistischer Terroristen getroffen werden muss – geschenkt. «Conclave», der bereits als Oscar-Anwärter gehandelt wird, ist kluge Unterhaltung und tolles Schauspielerkino: Ralph Fiennes als Kirchenmann, der unter der Last seiner Aufgabe fast zerbricht, ist ein Ereignis. Stanley Tucci als smart undurchdringlicher Funktionär von Gottes Gnaden eine Idealbesetzung.
«Conclave» erzählt von einer Welt, die von Männern dominiert ist. Aber es ist eine Frau, die dem Geschehen entscheidende Wendungen gibt: Schwester Agnes, Vertraute des toten Papstes und zuständig für die Betreuung der Kardinäle. Eine grossartig unscheinbare Isabella Rossellini. Wie sie den würdevollen Herren in trotzigem Gehorsam die Augen für das öffnet, was diese nicht sehen wollen – das setzt dem Film ein Glanzlicht auf.