Donnerstag, Mai 8

Die Folgen von Brexit, Covid und Inflation lasten schwer auf der britischen Musikszene. Nun hoffen Künstler und Business, dass neue Verhandlungen mit der EU aus der Misere helfen.

Ein Gipfeltreffen zwischen der EU und Grossbritannien am 19. Mai in London soll die Post-Brexit-Beziehung zwischen den beiden Seiten neu regulieren. Davon hofft auch die britische Musikindustrie zu profitieren, die seit Jahren an den Folgen des EU-Austrittes zu beissen hat. Insbesondere die Durchführung von Tourneen und der Versand von Alben und Merchandise aller Art wurden durch das Ende des freien Waren- und Personenaustausches zwischen Grossbritannien und Europa erheblich erschwert und verteuert.

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Die Bemühungen verschiedenster Interessengemeinschaften haben bis anhin wenig gefruchtet. In der Hoffnung, die Labour-Regierung sei den Künsten gegenüber positiver eingestellt als die Tories, plädierte dieser Tage Deborah Annetts, CEO der Vereinigung professioneller Musiker, vor dem European Affairs Committee des House of Lords dafür, dass bei den neuerlichen Verhandlungen die Belange ihrer Mitglieder berücksichtigt würden. «Wir stehen vor einem kritischen Moment», erklärte sie. «Es ist von lebenswichtiger Notwendigkeit für Künstler, dass wir das Tor zu Europa als einem Ort, wo sie arbeiten können, aufschliessen.»

Erhöhte Kosten

Die komplexen Formalitäten, die bei jedem Grenzübergang nötig wurden, die Steuern, die in jedem Land separat berechnet werden, und nicht zuletzt die Beschränkung des Lastwagenverkehrs in EU-Ländern haben die Tourneekosten in die Höhe getrieben. Bereits erfolgreiche Künstler und Formationen können das verkraften. Bands aber, die am Anfang ihrer Karriere stehen oder sich ausserhalb des Mainstreams bewegen, sind nun oft überfordert. Dies in einer Zeit, in der Einkünfte aus Konzerten insofern immer wichtiger werden, als mit dem Verkauf und dem Streaming von Musik immer weniger zu verdienen ist.

Auch Plattenvertriebe und -firmen klagen. Der Export und Import von Tonträgern und Alben koste ungleich viel mehr Zeit als vor dem Brexit. Und die Sendungen von Vinyl-Platten oder Merchandise-Material blieben dann aus unerfindlichen Gründen oft am Zoll hängen. Die Komplikationen führten zu höheren Preisen, was wiederum die Nachfrage deutlich reduziert habe.

Die Frustrationen ob der wuchernden Zoll-, Steuer- und Logistikformalitäten schlagen den Musikern aufs Gemüt. Dabei ist noch nicht einmal klar, wie weit die neuen amerikanischen Zollforderungen die britische Musikszene betreffen werden. Chris Carr, als Manager und Berater ein Original der Londoner Szene, bringt es im Gespräch so auf den Punkt: Heute rechneten junge Musikerinnen und Musiker schon gar nicht mehr mit dem europäischen Publikum und ebendiesem Markt.

Europa ist in die Ferne gerückt

Symptomatisch ist auch die Aussage des schottischen Folk- und Electro-Musikers Johnny Lynch alias Pictish Trail, der an sich auf ein solides, internationales Publikum zählen kann: «Das Budgetieren ist zur Gratwanderung geworden», schreibt er per Mail. Das finanzielle Risiko sei wegen der bürokratischen Mehrarbeit zu gross geworden und werde noch verschärft durch die Angst vor Fehlern, die mit heftigen Bussen bestraft würden. «Die Unsicherheit killt die Ambitionen, ein Publikum ausserhalb Grossbritanniens zu erreichen»; Europa sei popkulturell «ein fremder Kontinent geworden», lautet sein Fazit.

Allerdings sieht sich auch die Jazz-Szene, die im Gegensatz zu den Pop- und Rockbands noch länger von Subventionen profitieren konnte, mit einer neuen Situation konfrontiert: Die Jazzmusiker trauern den paneuropäischen Projekten nach, zu denen ihnen der Zutritt seit dem Brexit verwehrt bleibt.

Die Folgen des Brexits sind aber nicht das einzige Problem, das der britischen Musikszene zu schaffen macht. Die Künstler bekommen auch den krisenhaften Anstieg der Lebenskosten in Grossbritannien seit Covid zu spüren. Eine im Januar vom Online-Musikvertrieb Ditto Music lancierte Umfrage unter 1500 Musikern förderte beunruhigende Ziffern zutage. So gaben gut 62 Prozent an, sie hätten Konzertangebote aus finanziellen Gründen ausschlagen müssen – weil die Ausgaben grösser wären als die Einkünfte. Da verwundert es nicht, dass gar 84 Prozent angaben, dass sie sich keine Tournee mehr leisten könnten.

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