Mittwoch, Oktober 2

Die PUK untersucht auch die Rolle des Regulators beim Untergang der Credit Suisse. Frühere CS-Banker werfen der Finma vor, dass sich diese im Sommer 2022 weigerte, einen Plan der CS zur Sanierung der Bank mitzutragen.

Bis Ende Jahr will die parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) ihre Ergebnisse zum Untergang der ehemals zweitgrössten Bank im Land präsentieren. «Ich rechne nicht damit, dass die PUK den Kern des Untergangs der Credit Suisse (CS) wirklich aufarbeitet. Das wäre politisch viel zu heikel. Denn am Schluss war es die Finanzmarktaufsicht (Finma), die der Bank den Stecker zog. Es gab im Sommer 2022 einen Plan der Grossbank, der ihr das eigenständige Überleben gesichert hätte. Doch die Finma weigerte sich zu helfen. In Bern aber will niemand, dass der Regulator hierfür die Verantwortung übernimmt», sagt ein Insider, der komplett anonym bleiben will.

Er zeigt sich davon überzeugt, dass vor allem die Personalwechsel ganz oben in der Finma fatal waren. Der Banker ist überzeugt: «Wäre der frühere Finma-CEO Mark Branson am Ruder gewesen, würde es die CS heute noch geben.»

«Solche Aussagen kann nur machen, wer die Realität komplett ausblendet. Schuld am Untergang waren allein die Chefs der Bank, die ihre Risiken nicht im Griff hatten und die trotz Milliardenverlusten an ihrer überdimensionierten Investmentbank festhielten. Und die Investoren und Aktionäre, die dabei zuschauten. Jener Plan der CS war halbgar. Die Finma hat einen guten Job gemacht», so hält ein Bankenexperte dagegen. Auch er will anonym bleiben, auch er verfolgte die Vorgänge bei der CS über Jahre hinweg sehr eng.

Vertiefte Kenntnis des Kapitals

In den Gesprächen, die die «NZZ am Sonntag» führte, sind immer wieder Emotionen zu spüren. Ärger, Wut, aber auch Trauer. Der Untergang der Grossbank beschäftigt auch anderthalb Jahre nach jenem 19. März die Gemüter. Weiterhin sind Fragen offen. Hier hoffen viele auf Klärung durch die PUK.

Der Kern des Zusammenspiels zwischen der CS und der Finma war das regulatorische Kapital. Dieses muss jede Bank halten, um gegen künftige Verluste abgesichert zu sein. Jede Bank versucht, dieses Kapital möglichst tief zu halten, da es nicht anderweitig profitabler eingesetzt werden kann. Bekannt ist, dass sich der frühere CS-Finanzchef David Mathers und die Finma hier ein jahrelanges, erbittertes Spiel um die Höhe des Kapitals lieferten.

Weniger bekannt ist aber, dass es für die CS seit 2012 Kapitalerleichterungen auf mehreren Stufen gab – und die Finma diese teilweise gegen ihren Willen gewähren musste. Ab 2012 erlaubte eine Verordnung des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) Schweizer Bankengruppen mit Töchtern im Ausland bei der Berechnung der Kapitalquote für ihre Stammhäuser gewisse Erleichterungen. Der damalige Artikel 125 betraf vor allem die CS mit ihren drei grossen internationalen Töchtern.

Weil die Regulatoren in Grossbritannien und den USA immer mehr Kapital von Töchtern ausländischer Grossbanken vor Ort forderten, erhielt die CS immer grössere Erleichterungen.

Phase-in und Accounting-Filter

Die Finma hatte sich stets gegen Artikel 125 ausgesprochen. Denn dieser verschleierte die tatsächliche Kapitalverteilung innerhalb der Bank. Zwar legte die CS auf Gruppenstufe stets eine korrekt berechnete konsolidierte Kapitalquote vor. Das Stammhaus aber war weniger gut kapitalisiert, da es bei der Berechnung dieser Quote von Erleichterungen profitierte.

Schliesslich konnte sich die Finma durchsetzen. 2019 hob das EFD den Artikel 125 auf. Allerdings hatte das Departement zuvor den Ball an die Finma zurückgespielt und erklärt, sie müsse sich dafür mit der betroffenen CS einigen.

Diese stellte nun Forderungen. Laut Insidern hätte die CS bei der Aufhebung von Artikel 125 sofort mindestens 10 Milliarden Franken an zusätzlichem Kapital benötigt. Dieses hatte die Bank nicht. Mit der Finma einigte sie sich deshalb auf eine Übergangsfrist beim Wechsel auf das neue, härtere Regime. Dieses «Phase-in» sah vor, dass die Bank zwischen 2018 und 2028 jährlich eine Milliarde Franken an Kapital aufstocken würde.

Zum Zweiten verlangte die CS einen Accounting-Filter. Wegen einer Änderung in den Schweizer Rechnungslegungsvorschriften musste die CS ab 2019 ihre kurz zuvor auf Anweisung des Regulators neu herausgelöste Schweizer Tochter deutlich tiefer als bisher bewerten, nämlich nicht mehr nach dem hohen Marktwert, sondern nach dem Buchwert. Ihre ausländischen Töchter aber, die sie vor zwei Dekaden viel zu teuer gekauft hatte, musste sie genau umgekehrt neu nach dem dort deutlich tieferen Marktwert bewerten.

CS stockte jährlich eine Milliarde Franken auf

Die Finma anerkannte das Dilemma der CS und gewährte ihr den Filter, der sie transparent offenlegte. Zwar musste die CS die neuen Regeln einhalten, bei der Berechnung des regulatorischen Kapitals aber durfte die Bank weiter die Sammelbewertung anwenden. Laut Beobachtern hielt sich die CS in den nächsten Jahren an die Vorgaben, bis Ende 2021 wurde das Kapital jährlich um eine Milliarde Franken aufgestockt.

«Die damalige Finma-Führung unter Branson hatte die Philosophie, für vernünftige Lösungen offen zu sein», sagen Insider. Im Rahmen seiner Kompetenz habe Branson auch unkonventionellere Wege beschritten, wenn er diese als lösungsorientiert eingestuft habe, heisst es. Bis heute verfügt der Schweizer Regulator hier über einen grösseren Spielraum als vergleichbare ausländische Behörden. Die damalige Finma stellte sich auf den Standpunkt: «Besser eine Milliarde Kapital mehr pro Jahr als das alte und intransparente Regime mit immer höheren Erleichterungen», so fasst ein weiterer Insider die damaligen Gepflogenheiten zusammen.

Äusserst kleines Zeitfenster

Ende Mai 2021 verliess Branson die Firma, in jenen Monaten explodierten dann die Skandale Greensill und Archegos, und es kam zu mehreren personellen Wechseln ganz oben in der Bank. Wie auch etwas verklausuliert im Finma-Bericht «Lessons Learned» zu lesen ist, wandten sich im Sommer 2022 die neue CS-Führung unter dem Präsidenten Axel Lehmann und der Bankchef Ulrich Körner an die Finma. Vorgelegt wurde ein Plan, den man als letzte Möglichkeit sah, die Bank auf eine stabile Basis zu heben. Der Plan soll den Rückbau der Investmentbank auf ein ähnliches Niveau wie bei der UBS umfasst haben. Dafür verlangten die CS-Chefs weitere Kapitalerleichterungen.

Dazu aber sagte die im Jahr 2021 ebenfalls neu formierte Finma-Führung unter der Präsidentin Marlene Amstad und dem CEO Urban Angehrn Nein. Das Klima zwischen den beiden Parteien sei vergiftet gewesen. «Es gab keine konstruktiven Gespräche mehr», erzählen Beobachter. Die einen reden von den arroganten CS-Bankern, die nicht bereit gewesen seien, für diesen Plan selbst Einbussen wie bei den Boni hinzunehmen, andere sagen, dass die Finma sich so über die CS geärgert habe, dass sie generell keine Konzessionen mehr gemacht habe.

Unklar ist auch, ob der Plan der CS-Führung wirklich durchdacht war. Befragte schliessen aber nicht aus, dass eine weitere Kapitalerleichterung der Finma in jenem heissen Sommer 2022, transparent kommuniziert, der CS die dringend benötigte Zeit für eine Sanierung hätte verschaffen können.

Ob das wirklich gereicht hätte für eine eigenständige CS, kann rückwirkend nicht beantwortet werden. Aus der Finma heraus wird vehement widersprochen, man habe stets nach konstruktiven Lösungen gesucht. Auch wird darauf verwiesen, dass der Regulator auch eine Sanierung der Bank konsequent und gemeinsam mit internationalen Partnerbehörden vorbereitet hatte.

Sicher ist, dass das Zeitfenster für weitere Kapitalerleichterungen nur klein gewesen wäre. Am 1. Oktober löste der Post eines australischen Bloggers einen Abfluss von Kundengeldern in Milliardenhöhe aus. Einen letzten Rettungsanker warf die Führungscrew am 27. Oktober, als sie ihre neue Strategie präsentierte. Auf diese Pläne reagierte der Markt jedoch äusserst ungnädig. Damit war das Schicksal der CS besiegelt.

Von den Genannten wollte niemand Stellung beziehen. Laut dem Onlineportal «Tippinpoint» führt die PUK weiterhin Gespräche. Angeblich ist auch die Finma-Präsidentin ein weiteres Mal als Auskunftsperson geladen worden.

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