Vorhang auf für den Sommer der Open-Air-Konzerte und der Fussball-Europameisterschaft. Europas grösster Tickethändler wird einmal mehr profitieren. Die Aktie schwebt nahe am Rekordhoch, trotzdem ist sie nicht teuer.
«Cruel Summer»: Der Taylor-Swift-Hit ist der Soundtrack für alle Musikfans und «Swifties», die bei den Konzertkarten der mit Abstand erfolgreichsten US-Sängerin der vergangenen Jahre nicht zum Zuge kamen. Und das dürfte die überwältigende Mehrheit sein: Die Tickets für die Deutschlandkonzerte im Juli waren im vergangenen, in dieser Hinsicht wirklich grausamen Sommer binnen Minuten ausverkauft.
Wer seinerzeit mit einem Einmaleffekt beim exklusiven Ticketvertreiber CTS Eventim gerechnet hatte, sieht sich ein Jahr später getäuscht: Das bereits 35 Jahre alte Unternehmen befindet sich weiterhin auf Wachstumskurs – fundamental und an den Kapitalmärkten. Nach Vorlage des Quartalsberichts am 23. Mai sprang der Kurs im Handelsverlauf kurzzeitig über das Allzeithoch vom April 2024 bei rund 85 €.
Es ist ein langer Weg vom 1989 von Konzertveranstalter Marcel Avram mitgegründeten Ticketverkäufer «CTS Computer Ticket Service» zum heutigen Konzern mit einem Jahresumsatz von fast 8 Mrd. €. 1996 übernahm der Konzertveranstalter Klaus-Peter Schulenberg, der bis heute als CEO tätig ist, den Kartenvertreiber und führte ihn ins aufkommende Internetzeitalter. Mit dem Start von Eventim.de im Jahr 1998 trat er in den Onlineticketmarkt ein. Zahlreiche Übernahmen folgten.
Mit dem Börsengang auf dem Höhepunkt des Neuen Markts 2000 beweist Schulenburgs Gespür fürs Timing. In den 2010er Jahren expandierte er weiter international, unter anderem mit dem Einstieg in den US-Markt und der Übernahme von FKP Scorpio, einem führenden deutschen Konzertveranstalter. Heute ist CTS Eventim der führende Ticketverkäufer in Europa und einer der grössten Veranstalter von Events.
Über 5000% Kursgewinn binnen zwanzig Jahren
Die Anteilsscheine von CTS Eventim reflektieren die konstante Weiterentwicklung und sind einer der raren Dauerläufer an der deutschen Börse. Ganz gleich, wie man den Kursverlauf betrachtet – er zeigt höher. Seit Jahresbeginn hat die CTS-Aktie 31% zugelegt, binnen einen Jahres 33%. Damit lief das MDax-Mitglied nicht nur weitaus besser als sein Vergleichsindex, der über ein Jahr praktisch nicht vom Fleck kam, sondern auch doppelt so gut wie der Dax. Mehr noch: Vergleicht man das Momentum über sechs und zwölf Monate, hängt CTS Eventim sogar viele der Big-Tech-Favoriten an der US-Technologiebörse Nasdaq ab.
Im Langzeitvergleich entwickelt der Dienstleister der Unterhaltungsbranche eine enorme Wertsteigerungskraft. Wer vor zwanzig Jahren den Mut gehabt hätte, 18’000 € in den Vertreiber von Konzertkarten und anderen Events zu investieren, wäre heute Millionär.
Es gibt nur wenige deutsche Aktien in diesem Jahrtausend, die eine ähnlich beeindruckende Performance vorweisen können. Auch den im Dezember 2005 an der Börse gestarteten US-Rivalen Live Nation hat CTS Eventim weit hinter sich gelassen.
Die grosse Frage, die sich vermutlich viele Investierte oder potenzielle Käufer stellen, ist daher, wie lange ein solcher Traumlauf weitergehen kann.
Zweistellige Zuwächse erfreuen die Analysten
Die jüngste Quartalsbilanz bewies indes, dass Live-Unterhaltung weiter boomt. In den ersten Monaten des neuen Geschäftsjahres konnte CTS Eventim erneut ein zweistelliges Wachstum ausweisen: Zwischen Anfang Januar und Ende März erlösten das Münchner Unternehmen 409 Mio. €, 11,6% mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Analystenschätzungen mit einem durchschnittlichen Erlös von 366 Mio. € wurden damit deutlich übertroffen. Unter dem Strich sprang der Gewinn gar 60% auf 67,5 Mio. € empor.
Die grosse Stärke des Geschäftsmodells ist die Profitabilität des Segments Ticketing: Die bereinigte Ebitda-Marge liegt hier bei 45,5%. Die zweite grosse Säule ist der Bereich Live Entertainment, in dem CTS unter anderem als Veranstalter von Festivals auftritt. Gut für die Deutschen: Der Ticketing-Anteil am Gewinn ist höher als bei Live Nation.
Die Quartalsergebnisse lägen dank einer starken Leistung im Ticketing «deutlich über den Erwartungen», ordnet JP-Morgan-Analystin Lara Simpson ein. Auch nach Einschätzung von Baader-Analyst Volker Bosse sind die Ergebnisse überzeugend und sie würden die Anlagethese untermauern, dass Konsumenten trotz höherer Lebenshaltungskosten ihr Geld für Live-Erlebnisse ausgeben.
Günstig relativ zur eigenen Börsenhistorie
Wie stehen nun die Chancen für anhaltende Kurszuwächse? Neben dem charttechnischen Rückenwind bietet die Bewertung durchaus noch Luft nach oben. Die Aktie wird mit dem 26-fachen des für 2025 erwarteten Gewinns bewertet. In den vergangenen zehn Jahren kostete sie durchschnittlich aber das 34-fache des geschätzten Gewinns.
Wegen des Gewinneinbruchs während der Coronapandemie ist die langfristige Darstellung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses schwierig. Das Verhältnis von Kurs und Buchwert schwankt weniger stark und zeigt ebenfalls, dass CTS Eventim relativ zur eigenen Börsenhistorie günstig bewertet ist, mit dem 6,5-fachen des für 2025 geschätzten Buchwerts.
Für das Gesamtjahr 2024 rechnen die Analysten durchschnittlich mit einem Jahresüberschuss von 287 Mio. € (oder 2.96 € je Aktie) bei 2,52 Mrd. € Umsatz. Für die Jahre 2025 bis 2027 sagen die Analysten im Durchschnitt ein Plus von mehr als 8% per annum voraus.
Wachstum dank Sport, TikTok und den USA
CTS Eventim erhielt im ersten Quartal zudem gemeinsam mit AXS Group als lokalem Partner den Zuschlag als offizieller Ticketing-Provider der Olympischen Sommerspiele in Los Angeles 2028. Ende April gab das Unternehmen eine weltweite Kooperation mit TikTok bekannt. Diese Partnerschaft ermöglicht es Künstlern, auf der Videoplattform für Konzerte zu werben und Tickets über CTS zu verkaufen.
Zusätzlich Rückenwind könnte aus den USA kommen. In der vergangenen Woche überraschte das US-Justizministerium mit einer Klage gegen Live Nation, die mit ihrer Tochter Ticketmaster US-Marktführerin ist. Dabei geht es im Kern um die Monopolstellung mit wettbewerbswidrigen Praktiken, die in den USA zu sehr hohen Eintrittspreisen geführt hat.
Analyst David Karnovsky von JP Morgan erwartet als wahrscheinlichstes Ergebnis der juristischen Auseinandersetzung kundenfreundliche Reformen wie zum Beispiel eine Einschränkung der in den USA bisher üblichen exklusiven Bindung von Konzertsälen an einen Ticketverkäufer. Es dürfte nach Ansicht der Deutsche-Bank-Analysten drei bis vier Jahre dauern, bis es zu einem Gerichtsprozess in der Sache kommt.
Falls die US-Justiz den Markt für Wettbewerber öffnet und die Exklusivverträge von Ticketmaster unterbindet, würde dies kleinere Wettbewerber wie CTS Eventim auf dem US-Markt begünstigen. 2023 stammten nur 7% des Umsatzes aus den USA, dagegen 46% vom deutschen Heimatmarkt. Bei Live Nation stammten 2022 zwei Drittel des Umsatzes aus den USA.
Kritik an der Marktmacht der Tickethändler gibt es auch in Europa: Vor knapp einem Jahr knickte die CTS-Eventim-Aktie kurz ein, nachdem Fernsehstar Jan Böhmermann einige Geschäftspraktiken kritisiert hatte.
Die nach manchen Kennzahlen nur halb so hohe Bewertung der Aktien spricht ohnehin für die Deutschen. Der grosse US-Rivale kostet an der Börse das 65-fache des für 2024 erwarteten Gewinns. Allerdings ist Live Nation mit einem Umsatz von 22,75 Mrd. $ im Jahr 2023 fast zehnmal so gross wie CTS Eventim. Analysten trauen Live Nation ausserdem ein deutlich rascheres Wachstum zu. Gemessen am für 2026 erwarteten, deutlich höheren Jahresüberschuss kostet Live Nation noch das 31-fache davon. Das ist immer noch teurer, aber nicht mehr sehr weit von den Kennziffern der Deutschen entfernt.
Fazit: Rarer deutscher Wachstumswert
Der Blick über den Atlantik hilft, die Dynamik der Branche zu verstehen. Das Geschäft mit Veranstaltungen wächst seit zwei Jahrzehnten 8% pro Jahr, teilte Live Nation beim Kapitalmarkttag im November mit. Noch besser: In der kommenden Dekade werde sich das Wachstum noch beschleunigen, versprachen die Manager.
Wegen dieses langfristigen Trends und der hohen Margen im Ticketverkauf ist bei Live Nation seit Jahren ein langfristig äusserst erfolgreicher Investor engagiert, dessen Geschichte wie die von Warren Buffett in William Thorndikes lesenswertem Buch «The Outsiders» festgehalten ist: John Malone hält über Liberty Global 30% der Anteile.
Kurzfristig ist das Geschäft durchaus konjunkturabhängig. Sollte die Weltwirtschaft in die Rezession abgleiten, dürfte kurzfristig an hochpreisigen Konzertkarten eher gespart werden als an Windeln oder Lebensmitteln.
Langfristig ist das Ticket-Business jedoch grossartig, wie Investor Malone weiss. Denn ausserhalb von Krisenzeiten sind Konzerte noch wichtigere Erlebnisse für viele Konsumenten geworden. Was Ältere einst für Musikkassetten, Schallplatten und CDs ausgaben, stecken viele Menschen heute in Eintrittskarten – selbst wenn die im «Fansale», wie der Wiederverkauf bei Eventim heisst, hohe dreistellige Summen kosten.
«You could be anywhere in the world, but you are here with me», feiert Taylor Swift ihre treuen Fans immer wieder.
Nicht nur die Swifties leben schliesslich nur einmal.