Der Geigerin Janine Jansen und Zürichs Musikdirektor Paavo Järvi gelingt eine Sternstunde – so intensiv, dass man nach dem Ende des Violinkonzerts von Jean Sibelius Mühe hat, sich auf den harten Tonhalle-Sitzen wiederzufinden.

Schwerelos schwebt der Ton durch den Raum. Was ist das: eine Sternschnuppe? Ein Licht in der Nacht? Ein Geigenton ist es jedenfalls nicht. So entmaterialisiert erhebt sich der Klang der Violine über dem dunklen Abgrund, der bedrohlich nach ihr zu rufen scheint. Janine Jansen streicht, nein, streichelt ihr herrliches Instrument nicht einfach mit dem Bogen, sie lässt es leuchten, singen, flehen. Und mehr als einmal fragt man sich an diesem denkwürdigen Abend in der Tonhalle Zürich, woher sie solche Töne nimmt.

Die niederländische Geigerin gehört bereits seit etlichen Jahren zur Elite ihrer Zunft – bei diesem Gastauftritt mit dem Tonhalle-Orchester unter der Leitung von Paavo Järvi demonstriert sie, dass ihr derzeit niemand das Wasser reichen kann.

Ungewöhnliche Anerkennung

Sie tut das im horrend schwierigen Violinkonzert von Jean Sibelius, aber fast beiläufig, ohne jedes Star-Gehabe – solche Äusserlichkeiten, die bei anderen einen gewissen Schauwert bieten, liegen ihr nicht. Stattdessen herrscht bei Jansen vom ersten Moment an höchste Konzentration, schon mit dem Orchestereinsatz versinkt sie regelrecht in der Musik. Nur darum geht es hier, das macht sie mit freundlich-einladender Unerbittlichkeit sofort klar. Und die Intensität lässt die Zeit stillstehen, ja sie entrückt die musikalische Wiedergabe derart in einen unirdischen, ausseralltäglichen Raum, dass man nach dem Ende Mühe hat, sich auf den harten Tonhalle-Sitzen wiederzufinden.

Eine Sternstunde, keine Frage. Auch deshalb, weil Jansen das vom versierten Geiger Sibelius mit allen Finessen und allerlei Bösartigkeiten gespickte Konzert gerade nicht – siehe oben – als Virtuosenfutter missversteht. Bei ihr ist das Werk vielmehr ein Seitenstück zu den grossen Sinfonien des Finnen, ein ausladend rhapsodisches Drama zwischen einer subjektiven, menschlichen Stimme und einem unheimlichen Kollektiv in Gestalt des Orchesters, das sie immer wieder einzuhegen, zu vereinnahmen und zur Not auch zum Schweigen zu bringen versucht. So beredt und bedrängend hört man dies selten.

Das ist auch das Verdienst von Järvi, der den dichten, bassbetonten Orchestersatz eben nicht begleitend zurücknimmt, sondern sinfonisch raumgreifend gestaltet. Es unterstreicht die ungeheure Dringlichkeit von Jansens Musizieren, dass sie sich trotzdem mühelos darüber erhebt: indem sie bald scheinbar ganz im Tutti-Gewoge aufgeht, bald dagegen ankämpft, um schliesslich umso leuchtender daraus hervorzutreten. Das ist Konzertieren in einer völlig uneitlen, quasi existenziellen Dimension, wie sie nur wenige erreichen. Am Ende legen auch die Tonhalle-Musiker – eine aussergewöhnliche Anerkennung – ihre Instrumente beiseite, insbesondere die Streicher, um in den frenetischen Applaus des Publikums einzustimmen.

Wie aus dem Märchenbuch

Das Orchester lässt sich zudem hörbar von dieser Glanzleistung inspirieren. In Rimski-Korsakows ohrwurmgesättigter Orient-Fantasie «Scheherazade» gewinnen nach der Pause die ohnehin sehr profilierten Solisten an den ersten Pulten nochmals an Präsenz. Jeder und jede begreift sich hier, nach dem Vorbild Jansens, als Individuum, das mit seinen zauberhaften Interventionen einen Beitrag zum Ganzen leistet. Die unter Järvi inzwischen erreichte Freiheit des Musizierens ist ein beeindruckender Fortschritt gegenüber dem teilweise verzagten Auftreten des Orchesters noch vor wenigen Jahren.

Dabei sind die Herausforderungen hoch, namentlich für den Konzertmeister Klaidi Sahatçi, der mit seiner Violine die um ihr Leben erzählende Titelheldin verkörpert. Von den Kollegen feinsinnig unterstützt, geht er buchstäblich in der Rolle auf. Ein Konzert wie aus dem Märchenbuch, und die Zugabe von Rimskis berühmtem «Hummelflug» machte das Glück für das Publikum vollkommen.

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