Dienstag, April 29

Nur wenige kennen ihn, doch der Dallara Stradale gehört zu den seltensten und leichtesten Supercars der Gegenwart. Mit einem Gewicht von nur 855 Kilogramm und einem 400 PS starken Motor bietet dieser handgefertigte Renner ein unvergleichliches Fahrerlebnis. Eine Fahrt auf der Rennstrecke mit der Rarität.

Es ist schon ungewöhnlich, ständig mit der Aufschrift «Step here» zwischen den Beinen herumzufahren. Aber ein Dallara Stradale ist in jeder Hinsicht ungewöhnlich.

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Stradale was? Tatsächlich kennen nur wenige Insider diesen Supersportwagen. Der Hersteller, Dallara Automobili aus Varano de’ Melegari bei Parma, arbeitet meist im Verborgenen. Seine Produkte sind vor allem Rennwagen-Chassis, heute komplett aus selbstgefertigtem Carbon, die unter vielen professionellen Rennwagen stecken. Gegründet wurde die Hightech-Firma, die heute auf rund 17 000 Quadratmetern mit eigenem Windkanal residiert, 1972 von dem Ingenieur Gian Paolo Dallara, der zuvor Autos und Rennwagen für Ferrari, De Tomaso und Lamborghini konstruiert hatte.

Doch Mitte der 2010er Jahre hatte der umtriebige Italiener genug davon, Rennwagen für andere zu bauen. Ihm schwebte ein eigenes, ganz besonderes Strassenauto im Rennanzug vor, das er wie folgt beschreibt: «Es muss ein Auto sein, bei dem ich das Dach abnehmen kann, um den Wind in meinen Haaren zu spüren und das frisch geschnittene Gras zu riechen.» Ausserdem wolle er zu seiner Lieblingskneipe im Nachbardorf fahren und dort seinen Lieblingsfisch essen können. «Dann möchte ich nach Varano auf die Rennstrecke fahren, schneller als alle anderen sein und schliesslich ganz entspannt nach Hause fahren.»

Am 16. November 2017, dem 81. Geburtstag des Firmengründers, stand das erträumte Auto vor der Tür: der Dallara Stradale. Zunächst als reine Barchetta konzipiert – ohne Dach, nur mit zwei kleinen Windabweisern als Schutz und zwei Helmfächern hinter den beiden Sitzen. Dazu Ingredienzen wie Vier-Zylinder-Turbo, Sechs-Gang-Schaltung, Hinterradantrieb, verstellbare Pedale und Lenkrad, denn die Sitze sind nicht verschiebbar.

Und kompromisslos, wie der Stradale ist, gibt es keine echten Türen – also setzen sich Fahrer und Beifahrer jeweils auf die Seitenwand, heben ein Bein darüber und stellen den Fuss in die Aussparung in der Mitte des Sitzes. So können sie den Rest des Körpers einholen und sich setzen. Aussteigen umgekehrt – und damit auch wirklich jeder versteht, dass man nicht auf das Sitzpolster tritt, steht in der Mitte «Step here».

Nur 600 Exemplare sollen insgesamt gebaut werden, derzeit hat man laut Dallara bereits Nummer 350 fertiggestellt. Jedes Stück ist handgefertigt, keines gleicht dem anderen, wegen der persönlichen Wünsche der Kunden. Ganz neu ist nun auch eine komplette Alcantara-Innenausstattung.

Das Herz des Ford Focus RS lebt im Dallara weiter

Die Technik ist in allen Autos gleich: Als Mittelmotor sitzt quer hinter den Sitzen ein Ford-Vier-Zylinder-Turbo mit 2,3 Litern Hubraum, der ursprünglich zur Modellreihe des Focus RS gehört. Dallara hat ihn – weil es der leichteste Turbomotor war, den es damals gab – zusammen mit Bosch etwas modifiziert, so dass jetzt dank geänderten Turboladern und Ladeluftkühlern sowie verkürzter Auspuffanlage 400 PS und 500 Nm maximales Drehmoment zur Verfügung stehen.

Mager für einen Supersportwagen, könnte man meinen. Im Vergleich zu anderen Supercars stimmt das, aber nicht im Verhältnis zum Gewicht: Der Dallara Stradale wiegt gerade einmal 855 Kilogramm – da sind 400 PS genügend Leistung für einen Sprint in 3,25 Sekunden und 280 km/h Höchstgeschwindigkeit. Ebenso beeindruckend: 855 Kilogramm Abtrieb, gleich viel wie das Trockengewicht, liefert der Wagen bei Höchstgeschwindigkeit, das hat Dallara im hauseigenen Windkanal selbst entwickelt.

Vielen potenziellen Kunden – die von der Bestellung bis zur Auslieferung rund sechs Monate warten müssen, obwohl die Montage nur zehn Tage dauert – war der erste Entwurf allerdings zu puristisch. Sie wünschten sich ein Dach über dem Kopf und eine Automatikversion. Gesagt, getan: Das Sechs-Stufen-Automatikgetriebe (von immerhin 56 Prozent aller Käufer geordert) kommt nun ebenso von Ford wie das serienmässige Sechs-Gang-Schaltgetriebe, und über den Köpfen sitzt nun eine Kuppel samt Flügeltüren.

Das macht aus einer Karosserieform gleich drei: Geschlossen ist der Dallara Stradale ein Coupé, mit ausgebauten Türen ein Targa, mit der kompletten Kuppel abmontiert und einer halbrunden Platte samt Windabweisern aufgesetzt die ursprüngliche Barchetta.

Der Preis beginnt etwa bei 260 000 Euro. Mit Sichtcarbon, Alcantara-Ausstattung und mehr kann man die Preise aber in ungeahnte Höhen treiben. Noch sportlicher ist der Dallara EXP als Rennversion mit mehr Flügeln, mehr Rennzubehör, anderen Reifen, anderen Sitzen – und ohne Strassenzulassung.

Für unser Fahrerlebnis in der Strassenversion steht uns ausgerechnet das knapp sechs Kilometer lange Autodromo Nazionale di Monza zur Verfügung. Es handelt sich um die letzte noch existierende echte Hochgeschwindigkeitsstrecke, auf der diverse Rennfahrer, unter ihnen Graf Berghe von Trips und Jochen Rindt, zu Tode kamen.

Aber im Gegensatz zu den damaligen Rennfahrern haben wir eine Vollcarbonkarosserie unter dem niedrigen Heck sowie Fahrstabilisierungssysteme wie ABS und ESP. Unser Testwagen hat eine aufgesetzte Kuppel und ein Automatikgetriebe, das über Schaltpaddel bedient wird. Um uns herum knattern Lamborghini, McLaren, Ferrari und Porsche – dazwischen ist so ein Dallara Stradale ein echter Exot.

Der Wagen kann deutlich mehr, als wir dürfen

Der Motor wird per Knopfdruck gestartet, sofort fällt der tiefe, heisere Sound auf. Als Fahrmodi stehen nur «Normal» und «Sport» zur Verfügung – keine Frage, was wir wählen. Die digitalen Instrumente zeigen schlicht, aber übersichtlich vor allem Geschwindigkeit, Drehzahl und den gewählten Gang an.

Mit erstaunlicher Leichtigkeit verlassen wir die Boxengasse und beschleunigen auf die Piste. Dabei achtet unser Co-Pilot in Gestalt des Dallara-Entwicklungsfahrers Marco Apicella genau darauf, dass wir vor jeder Kurve viel früher bremsen, als es das leichte Gerät zulassen würde. Es ist deutlich zu spüren, wie sehr das Auto am Boden klebt, auch wenn wir in den Schikanen über die Randsteine fahren – ein Beweis dafür, was gute Aerodynamik bewirken kann. Die Lenkung ist schön direkt, und man merkt kaum, dass sie keine Servounterstützung hat.

Auf der langen Start-Ziel-Geraden zeigt der digitale Tacho fast 250 km/h an – der Dallara Stradale ist als Supersportwagen ernst zu nehmen. Nur ein Detail trübt den Fahrspass, und das ist das Doppelkupplungsgetriebe im Automatikmodus. Es reagiert etwas träge und dann mit deutlichem Schaltruck, vor allem beim Hochschalten, was die sonst so schöne, flüssige Beschleunigung trübt. Daher würden wir als Kunden die manuelle Variante bevorzugen. Dann wären wir wenigstens für die Schaltpausen selbst verantwortlich.

Viel zu schnell sind die erlaubten Runden vorbei, wir verlassen das Auto wie oben beschrieben – das mit dem «Step here» klappt erstaunlich gut. Übrigens: Gian Paolo Dallara höchstpersönlich zeigt auch heute noch besonderen Kunden, wie man elegant ein- und aussteigt. Der Mann ist heute 88 Jahre alt.

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