Der Konflikt erinnert an das Zerwürfnis mit Regierungsrat Mario Fehr: Genau wie damals setzt die Zürcher SP-Führung auf den Dialog.
Die Zürcher SP erlebt wegen des Kriegs in Nahost eine Zerreissprobe. Eine, die in der Intensität an die Tage vor dem Zerwürfnis mit Regierungsrat Mario Fehr erinnert. Erneut sind es die Juso, die sich an einem Sozialdemokraten abarbeiten, der ihnen zu wenig links ist: diesmal an Ständerat Daniel Jositsch.
Die Spannungen haben sich über Monate hochgeschaukelt, bevor sie in den letzten Tagen eskaliert sind.
Die Kritik der Juso an Jositsch mündete am Wochenende in der Aufforderung, sein Amt niederzulegen: «Dani, tritt endlich zurück!» Auslöser ist, dass Jositsch die Streichung der Bundesgelder für das umstrittene Uno-Palästinenserhilfswerk UNRWA unterstützt.
Jositsch, der jüdischer Herkunft ist, hatte seinerseits kurz zuvor von der SP eine Rüge der Juso verlangt. Diese hatten sich Mitte Oktober zur Israel-Boykott-Kampagne BDS bekannt. Zu einer Bewegung, die Jositsch als «extremistisch und israelfeindlich, zum Teil sogar antisemitisch» einstuft. In Deutschland und Österreich gilt sie offiziell als antisemitisch.
Die Zürcher SP will vermitteln, neigt aber zur Juso-Seite
Die Führung der Zürcher SP versucht, im Konflikt zu vermitteln. Dabei hält sie sich an den gleichen Mittelweg, den auch die nationale Parteispitze zu gehen versucht. Die Leitlinie ist laut der Co-Präsidentin Michèle Dünki-Bättig die am Parteitag der SP Schweiz verabschiedete Resolution für einen «gerechten Frieden im Nahen Osten». Diese verurteilt sowohl die Gewalt der Hamas als auch jene der israelischen Armee.
Mit diesem Mittelweg können weder die Juso noch Jositsch viel anfangen. Der Zürcher Ständerat findet ihn «wenig überzeugend». Die Juso halten ihn für zu mutlos, um die «Dinge beim Namen zu nennen». Sie haben deshalb mit vielen Verbündeten aus der Mutterpartei eine Zusatzresolution durchgesetzt, die die Gewalt gegen die Palästinenser ins Zentrum rückt und Massnahmen gegen Israel fordert.
Für die Zürcher Juso ist ausgemacht, dass Israel im Krieg in Nahost der Aggressor ist – das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 erwähnen sie in ihrer Rücktrittsforderung an Jositsch mit keinem Wort. Ihr Co-Präsident Silas Muggli wirft dem Ständerat vor, dass dieser «einen Genozid rechtfertigt und die palästinensische Bevölkerung ohne Hilfsgüter zum Sterben zurücklassen will».
Die Zürcher SP-Führung hält sich auch bei der Beurteilung der UNRWA und bei BDS an die nationale Parteileitung. Im Fall des umstrittenen Hilfswerks ist klar, was das heisst: Dieses soll weiter mit Bundesmitteln unterstützt werden. Ungeachtet der Vorwürfe, dass die UNRWA Hamas-Kämpfer decke und an ihren Schulen Antisemitismus dulde. Niemand sonst könne in Gaza schnell Hilfe leisten.
Im Fall von BDS besteht die Linie eher darin, dem Thema auszuweichen. Die nationale Parteileitung schwieg nach dem Bekenntnis der Juso zur Boykottbewegung. Erst auf Nachfrage sagte der Schweizer SP-Co-Präsident Cédric Wermuth am Parteitag, dass er an der Stelle der Juso anders entschieden hätte. Er glaube aber nicht, dass diese antisemitisch seien.
Unter dem Strich neigt die SP-Führung – mithin auch die kantonale – also nicht zu Jositschs Position.
Konsequent uneinig vom ersten Tag an
Die Dissonanzen begannen unmittelbar nach dem Massaker der Hamas. Jositsch ist das einzige linke Mitglied der parlamentarischen Gruppe Schweiz-Israel. Im Oktober 2023 hatte er einen Aufruf unterzeichnet, die Haltung zur Terrororganisation zu überdenken. Im September 2024 hat der Bundesrat nun deren Verbot verabschiedet.
Im Frühling dieses Jahres kam es zu einer Kontroverse zwischen Jositsch und jenen SP-Mitgliedern, die angesichts der Kriegsopfer in Gaza eine Freigabe von eingefrorenen Geldern an die UNRWA forderten. Jositsch sprach sich gegen weitere Zahlungen aus. Man wisse inzwischen, dass das Hilfswerk «sehr schlechte Tendenzen» habe.
Im Oktober 2024 ging es dann Schlag auf Schlag. An einer Gedenkfeier zum Jahrestag des Massakers lobte Jositsch den Entscheid des Nationalrates, die UNRWA nicht weiter zu unterstützen. Einen Entscheid, der gegen den Widerstand seiner Partei zustande gekommen war.
Mitte Oktober reagierte Jositsch empört auf das Bekenntnis der Juso zur BDS-Bewegung. Es sei «unverantwortlich» und «völlig deplatziert», die SP-Parteileitung dürfe dies nicht unwidersprochen lassen. Aber nichts passierte.
Ende Oktober wurde am SP-Parteitag in Abwesenheit von Jositsch die Doppelresolution zum Krieg in Nahost verabschiedet. Der Zürcher Ständerat sah dies als Bestätigung, dass eine Mehrheit in der Partei «einseitig denkt» und die Situation von Israel nicht versteht.
Vier Tage danach bekräftigte Jositsch, dass er in der aussenpolitischen Kommission gegen die anderen SP-Vertreter stimmen werde, wenn es Ende November um die UNRWA-Gelder geht. Schweizer Steuergeld dürfe nicht an eine Organisation fliessen, die antisemitische Tendenzen habe.
Zwei weitere Tage später reagierten die Zürcher Juso mit der Rücktrittsforderung.
Es klingt wie bei Fehr, aber es gibt auch Unterschiede
Die Zürcher SP will den Vergleich mit der Causa Fehr nicht gelten lassen – und auch nicht die möglichen Konsequenzen. «Wir sind in gutem Austausch mit Daniel Jositsch und den Juso», sagt Michèle Dünki-Bättig. «Inhaltliche Differenzen gehören zur DNA unserer Partei.»
Bei ihrer Vorgängerin Priska Seiler Graf tönte es allerdings ähnlich, als die Juso im Herbst 2020 im Streit um die Zustände in einer Asylunterkunft den Rücktritt von Mario Fehr forderten. «Das bringt nichts», sagte Seiler Graf damals, «wir setzen auf Dialog.» Wenige Monate später trat Fehr aus der SP aus.
Der Unterschied: Fehr ging, weil absehbar wurde, dass ihm eine Mehrheit der Partei den Rückhalt für eine neuerliche Wahl in den Regierungsrat versagen würde. Jositsch dagegen ist erst vor einem Jahr als Ständerat bestätigt worden, mit dem Segen der SP.
Dies, obwohl er sich zuvor mit einer wilden Männer-Kandidatur für die Nachfolge von Bundesrätin Simonetta Sommaruga gerade bei den Juso unbeliebt gemacht hatte. Er blieb der SP auch treu, als ihn ein Teil der Zürcher Fraktion bei der Nachfolge von Bundesrat Alain Berset überging.
Vielleicht lässt es ihn wirklich kalt, was die Juso sagen – selbst wenn viele in der Partei ähnlicher Meinung sind. Zur Rücktrittsforderung sagt er knapp: «Jeder kann fordern, was er will.»