Der frühere Direktor der skandalträchtigsten Abteilung der Stadt bezeichnet den Führungsstil seines Vorgängers als patriarchisch und stellt sich gegen missionarischen Verzicht beim Konsum.

Herr Aebli, Sie haben vor sechs Jahren die skandalträchtigste Abteilung der Zürcher Stadtverwaltung übernommen. Bei Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) wurde eine schwarze Kasse geführt, Kaderleute fuhren Luxusautos, es gab sogar einen kleinen Privatzoo. Sie mussten den Betrieb aufräumen, ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten. Sind Sie der Typ knallharter Sanierer?

Ich bin das wohl, auch von meinem Naturell her. Es geht mir um den Auftrag, der in den Gesetzen steht. Für alles andere hat es in einem Betrieb keinen Platz. Es macht nicht immer Spass, so etwas durchzusetzen.

Sind Sie über das Ausmass der Probleme erschrocken?

Klar ist, dass der Eindruck, den gewisse Leute von aussen hatten, falsch war. Es hiess oft, mein Vorgänger Urs Pauli habe unternehmerisch gehandelt. Doch auch der Gemeinderat kam zu einem anderen Schluss. Er führte pseudounternehmerisch und vor allem patriarchisch. Vieles davon hätte ich mir in der Privatwirtschaft nicht erlauben können.

Das Bild des erfolgreichen Machers, der sich Freiheiten herausnimmt, ist also falsch?

Ja. Teure Mittagessen spendieren können Leute, denen eine Firma gehört. Aber sobald man angestellt ist, ob privat oder staatlich – dann geht das nicht. Verschiedene Apéros, zum Beispiel im Anschluss an Weiterbildungsveranstaltungen, habe ich sofort abgeschafft. Ich musste dann halt hinstehen und damit leben, dass mich einige mit Liebesentzug straften. Aber ich habe auch gespürt, dass viele Mitarbeitende meine Ideen mitgetragen haben. Denn längst nicht alle haben vom damaligen System profitiert.

Waren Sie erfolgreich?

Ja, ich glaube schon. Es geht darum, dass man korrekt arbeitet und sich an die Vorgaben hält. Viel schwerer als die in der Öffentlichkeit vieldiskutierten Altlasten wie die schwarze Kasse oder der Zoo wog, dass die strategische Ausrichtung nicht gestimmt hat. Man hat sich auf die falschen Sachen konzentriert und zum Beispiel eine eigene Telefonie unterhalten oder ein eigenes IT-Netz. Das kostete die Stadt über die Jahre Millionen von Franken. Auch die Gebühren waren zu hoch.

Sind heute alle Profiteure des alten Systems weg?

Nein. Auch in Kaderfunktionen arbeiten noch Leute von früher, aber die alten Geschichten sind bereinigt. Und ERZ braucht diese Leute auch, weil sie über sehr viel Know-how verfügen.

Sie sagten einmal, Sie seien kein ängstlicher Mensch. Was hat Sie geprägt?

Wichtig war für mich meine Lehre als Betriebsdisponent bei den SBB. Dort habe ich gelernt, dass ein Fehler im wahrsten Sinne des Wortes tödlich sein kann. Danach habe ich gemeinsam mit einem Partner eine Sicherheitsfirma für die SBB aufgebaut und später ein Stahlwerk geleitet, das stets um sein wirtschaftliches Überleben kämpfte. Deshalb habe ich ein sehr starkes Sicherheitsdenken und keine Angst vor schwierigen Situationen.

Sie kamen aus der Privatwirtschaft in die Stadtverwaltung. Hat das eine Rolle gespielt?

Ja. Ich kann es nicht verstehen, wenn man Geld leichtfertig ausgibt, während andere in der Privatwirtschaft dauernd sparen müssen. Da bin ich ziemlich rigoros.

Die Stadt Zürich ist allgemein äusserst ausgabefreudig, angesichts hoher Steuereinnahmen gibt es kaum Sparanreiz. Stört Sie das?

Ja, natürlich. Ich sehe in der städtischen Verwaltung viel Potenzial, effizienter zu arbeiten. Die Verwaltung ist deutlich weniger zentralisiert als die privaten Unternehmen, bei denen ich tätig war. Zentralisierung bedeutet, dass man für Aufgaben, die alle betreffen, eine einheitliche Lösung durchsetzt. Für IT-Anwendungen zum Beispiel. Das macht eine Organisation viel besser führbar, und auch die Kontrollmechanismen sind besser.

Warum ist die Stadt in diesem Punkt anders?

Es ist politisch anders gewollt. Stadträte sind von der Bevölkerung gewählt und sollen dem Amt den Stempel aufdrücken. Auch der Schutz der Angestellten ist bei der Stadt sehr viel höher. Dadurch sind Reorganisationen schwieriger als in der Privatwirtschaft.

Aus dem Stadtparlament kommen auch viele politische Vorstösse, die den Apparat weiter aufblähen. Macht Ihnen das Mühe?

Natürlich gibt es mühsame Forderungen. Jeden Winter kommt die Forderung, weniger Salz zu streuen – und gleichzeitig fragt man die Stadtreinigung, wieso auf den Velowegen Schnee liege. Mit vielen Vorstössen rennen die Politikerinnen und Politiker aber offene Türen ein. Zum Beispiel mit der Forderung nach mehr Bio-Abfall-Sammelstellen. Essensabfälle stellen mit einem Anteil von dreissig Prozent im Abfallsack heute das grösste Potenzial für Einsparungen dar. Doch es ist eine Medaille mit zwei Seiten.

Warum?

Bioabfall zu verarbeiten, ist teuer. Das Material wird eingesammelt, ins Vergärwerk gebracht und dort zu Biogas und Komposterde verarbeitet. Der Erlös daraus deckt die Kosten aber bei weitem nicht.

Ist die Abfallmenge wirklich so ein grosses Problem? Die Schweizerinnen und Schweizer sind doch im internationalen Vergleich vorbildlich.

Es heisst immer, wir Schweizer seien Recycling-Weltmeister. Aber das ist Blödsinn. Wegen der hohen Kaufkraft und des grossen Konsums können wir so viel rezyklieren, wie wir wollen: Wir haben immer noch eine grössere Abfallmenge pro Kopf als die meisten anderen Länder weltweit. Und dies ist mit einem hohen CO2-Ausstoss verbunden.

Was wäre denn der richtige Ansatz, um die Abfallmenge zu verkleinern?

Es führt nichts am Vermeiden von Abfall vorbei.

Also fordern Sie Verzicht.

Nicht zwingend. Auch ich konsumiere gerne. Aber es braucht intelligente Entscheide an der Quelle. Vorgaben für Plastikverpackungen wären zum Beispiel sinnvoll. Mit dem richtigen Verpackungsmaterial liesse sich enorm viel Abfall wiederverwerten.

Verhalten Sie sich privat immer mustergültig?

Ich kaufe Gemüse und Obst immer auf dem Markt. Das ist zwar ein wenig teurer, aber die Produkte sind länger haltbar, und dadurch gibt es weniger Abfall. Ich bin aber nicht in allen Bereichen vorbildlich, ich fahre zum Beispiel in meiner Freizeit Motorrad. Handkehrum betreibe ich eine Solaranlage. Das Potenzial an Optimierungsmöglichkeiten, die nicht weh tun, ist riesig. Man muss nicht missionarisch Verzicht einfordern. 90 Prozent der Abfälle in einem Abfallsack wären rezyklierbar.

Sie haben die Bio-Abfall-Tonne angesprochen. ERZ hat ja kürzlich eine eher zweifelhafte Auszeichnung erhalten: den rostigen Paragrafen. Beamte kontrollierten Kompoststellen bei Liegenschaften. Wieso haben Sie das bewilligt?

Das habe ich überhaupt nicht bewilligt, ich habe mich vielmehr darüber geärgert. Als ich davon erfahren habe, habe ich gesagt: So etwas kommt nicht infrage, hört auf damit. Es war ein Fall von Übereifer. Den Grundsatz, dass geprüft wird, ob ein Gebührenerlass gerechtfertigt ist, halte ich allerdings für richtig.

Also war es ein einsamer Entscheid eines Abteilungsleiters?

Ja, so etwas wird nicht von der Geschäftsleitung beraten. Anliegen aus der Bevölkerung waren mir aber immer sehr wichtig. Wenn jemand einen Brief an uns geschrieben hat, musste die Antwort zwingend über meinen Schreibtisch. Als Direktor müssen Sie bereit sein, über kleine Dinge einen Dialog mit den Leuten zu führen. Sie dürfen sich nicht nur zu den grossen Fragen Gedanken machen.

Den direkten Kontakt mit den Leuten suchen aber die wenigsten Stadträte oder Direktoren.

Ich halte das für eine verpasste Chance. Natürlich muss man es mit Mass machen, denn man hat als Direktor einen guten Lohn und wird nicht fürs Wischen bezahlt. Aber wenn man draussen ist, merkt man oft, dass Dinge anders laufen, als man es im Büro diskutiert hat. Als ich meine Stelle antrat, trugen die Leute bei der Müllabfuhr T-Shirts mit Kragen, wegen des Erscheinungsbilds. Aber die Leute schwitzten darin. Wir haben dann gemerkt, dass es mit einem Baumwollleibchen deutlich angenehmer geht.

Ihr prominentester Mitarbeiter in der Müllabfuhr ist Hugo Portmann. Er hat sich kürzlich gewehrt, weil ERZ ihm die Beschäftigung über die Pensionierung hinaus verwehrt, obwohl es diese Möglichkeit bei der Stadt gibt. Er hat gesagt, er fühle sich wie ein Züri-Sack, der entsorgt wird. Ist die heutige Regelung für einfache Mitarbeitende unfair?

Es müssen immer beide Seiten einverstanden sein bei einer Weiterbeschäftigung. Die Regelung wurde geschaffen, um einen Fachkräftemangel zu vermeiden, beispielsweise bei Elektrikern. Dieses Problem gibt es bei der Müllabfuhr nicht. Man hat sich bemüht, mit ihm eine Lösung zu finden. Aber die Anstellung, die er wollte, konnte man ihm nicht anbieten. Und man darf auch einmal anerkennen, dass ihm ERZ damals die Chance auf einen Wiedereinstieg gegeben hat.

Die Stadt hat diese Regelung für eine Weiterbeschäftigung vor drei Jahren aber so verkauft, dass sie ihren Mitarbeitern etwas Gutes tue.

Man müsste es anders kommunizieren, eindeutig.

Man hört viel vom Personalmangel. Da erstaunt es, dass es beim harten Job des Müllmanns offenbar keine Rekrutierungsprobleme gibt.

Da besteht tatsächlich kein Mangel. Der Lohn und die soziale Absicherung sind deutlich besser als bei privaten Anbietern. Und diese Arbeit können auch Leute ohne bestimmtes Fähigkeitszeugnis machen und die nicht perfekt Deutsch sprechen. Es ist deshalb wichtig, diese Jobs Leuten zuzuhalten, die damit ihre Familie durchbringen können.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass die Leute ihren Abfall im öffentlichen Raum einfach liegenlassen, obwohl Kübel und Container herumstehen?

Zürich ist eine der saubersten Städte weltweit, hat aber, quasi abgekoppelt davon, das Seebecken. Das ist im Sommer ein Partybetrieb im Freien, von der Ostschweiz wie der Innerschweiz ohne Umsteigen erreichbar. Littering ist dort ein grosses Problem. Die Kübel sind aber oft nur zur Hälfte gefüllt, es liegt also nicht daran, dass es zu wenig Behälter hätte.

Woran liegt es dann?

An einem Selbstverständnis, das ich nicht recht nachvollziehen kann. Ich war auch schon frühmorgens mit der Putzequipe unterwegs, und was man da erlebt, ist sagenhaft. Da hocken junge Männer auf den Treppen, aus den Boxen erschallt Dumm-dumm-dumm, ich sage: «Guten Morgen, darf ich da schon ein paar Flaschen wegnehmen?» Sie antworten: «Ja, gerne» – und feiern munter weiter. Gleichzeitig umkurven die ersten joggenden Expats die Abfallberge.

Was kann man gegen diese Abfallberge tun?

ERZ hat farbige Behälter hingestellt und mit Kampagnen auf Social Media begleitet, direkt auf die Zielgruppe abgestimmt. Es gibt kleine Container, die man mit auf den Festplatz nehmen kann. Das kommt gut an.

Hat es auch eine Wirkung?

Ja, ERZ erhält mehr Wertstoffe zurück. Das ist wichtig. Was viele Leute nicht wissen: Alles, was einmal am Boden liegt, kann nicht mehr rezykliert, sondern muss aus hygienischen Gründen verbrannt werden. Die Ausnahme ist Glas. Viele denken sich: ERZ räumt ja schon auf. Mit solchen Missverständnissen versucht ERZ aufzuräumen.

Braucht es mehr Kontrolle gegen Littering?

Es braucht schon auch Repression und Kontrolle. Präsenz wirkt. Einmal, als ich an der Street Parade beim Putzen geholfen habe, hat mich eine junge Frau genau in jenem Moment erblickt, als sie Abfall auf den Boden hat fallen lassen. Sie hat sich sofort entschuldigt und gesagt, das mache sie sonst nie. Die Frage ist, wie viel man in die Präsenz investieren will. Das Bussgeld für Littering wurde von 80 auf 120 Franken erhöht. Doch man müsste jemanden in flagranti erwischen. Will man wirklich die Polizei gegen Littering einsetzen? Das ist kaum verhältnismässig.

Muss man in Kauf nehmen, dass die Leute nach Mitternacht betrunken sind und sich deshalb danebenbenehmen?

Ich finde nicht. Ich war auch einmal jung und bestimmt nicht immer nüchtern, aber das heisst noch lange nicht, dass man Abfall durch die Gegend schmeisst.

Besonders hoch sind die Abfallberge nach Grossanlässen, von denen Zürich wieder viele bevorstehen: Caliente, Street Parade, Velo-WM. Dort fehlen die Rezepte nach wie vor. Am letzten Züri-Fäscht wollten Sie 50 Prozent der Abfallmenge einsparen. Sie erreichten aber bloss 20 Prozent.

Das stimmt, auch wenn ich überzeugt bin, dass ERZ diesen Wert bei einer nächsten Ausgabe hätte steigern können. Aber solche grossen Feste sind schwierig. Pro Kopf sind es an solch einem Fest nur 150 Gramm Abfall, kaum mehr, als die Leute im Alltag produzieren würden. Aber es sind halt derart viele Leute am selben Ort. Wenn Sie in einer dichtgedrängten Masse stehen, ist es unmöglich, zur Wertstoffsammelstelle auf der anderen Strassenseite zu gelangen.

Abgesehen vom Seebecken und von Grossveranstaltungen gilt Zürich als Musterschüler. Was ist eigentlich das Geheimnis der sprichwörtlichen Zürcher Sauberkeit?

Sauberkeit hat viel mit Ressourcen und Mitteln zu tun. Man muss es sich leisten können, jeden Morgen Leute und Fahrzeuge vorbeizuschicken. In Zürich leert man die Kübel nicht nur, sondern putzt sie auch. Und Stellen, wo oft uriniert wird, werden gereinigt. Das können sich andere Städte schlicht nicht leisten. Die Zürcher Sauberkeit ist kein Verdienst, sondern ein Privileg.

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