Montag, Oktober 28

Personen mit gefälschten oder nicht eigenen Ausweisen kommen vermehrt ins Land und erschleichen sich Aufenthaltsrechte. Die zuständigen Ämter werden nun in speziellen Kursen geschult. So soll auch Menschenhandel verhindert werden.

Ein Algerier wird zum Belgier, ein Albaner zum Deutschen, eine Thailänderin zur Dänin: Mit gefälschten Identitätskarten und Pässen ist in wenigen Minuten so einiges möglich. Bemerken die Mitarbeitenden der Einwohnerkontrolle oder des Migrationsamtes die Fälschung nicht, erhält die Person Privilegien, die ihr eigentlich nicht zustünden.

So dürfen Bürger aus europäischen Staaten sowie Island, Liechtenstein und Norwegen in der Schweiz arbeiten, sie profitieren vom Sozialsystem, können Kredite beantragen oder ihre Familienmitglieder aus anderen Ländern nachholen. Personen aus sogenannten Drittstaaten dürfen dies nicht. Deswegen wird regelmässig versucht, sich die Aufenthaltsrechte zu erschleichen. Die Problematik ist schon länger bekannt. Nun werden Mitarbeitende von Einwohnerkontrollen und Migrationsämtern vermehrt geschult.

Riesiges Ausmass, hohe Dunkelziffer

«Das Ausmass ist riesig», sagt Alexander Ott, Co-Leiter des Berner Polizeiinspektorates sowie Chef der Fremdenpolizei. Als ehemaliger Grenzwächter erkennt er gefälschte Ausweise oft auf Anhieb. Wie viele davon im Umlauf sind, kann Ott jedoch nicht sagen. Er geht gegenwärtig von «mehr als jedem Zehnten» aus, der eine Aufenthaltsbewilligung beantragt. Da es keine grundsätzliche Ausweispflicht gebe in der Schweiz und systematische Grenzkontrollen abgeschafft worden seien, sei die Dunkelziffer hoch. Viele Fälle würden eher zufällig entdeckt.

Seit 2008 ist die Schweiz Mitglied im Schengen-Dublin-System. Das bedeutet: Die Landesgrenze ist grundsätzlich offen, Personenkontrollen sind aufgehoben. Damit habe sich die Dokumentenkontrolle von der Grenze ins Inland verlagert, sagt Ott. Nur sei dies wenigen Ämtern in Städten und Gemeinden bewusst: «Viele Mitarbeitende finden, es sei Sache der Polizei, die Ausweise zu kontrollieren.» Doch Einwohnerkontrollen und Migrationsämter sind die ersten Stellen, die die Ausweisdokumente von vermeintlich Aufenthaltsberechtigten zu sehen bekommen.

Alexander Ott ist seit kurzem auch Co-Präsident des Verbands Schweizerischer Einwohnerdienste und hat ein Weiterbildungsprogramm ins Leben gerufen für alle interessierten Amtsmitarbeitenden. Kürzlich kam eine Gruppe des Migrationsamtes und Passbüros des Kantons Schaffhausen in den Grundkurs.

Ausweis-Paket ab 300 Franken

Fälschungen würden ihnen häufiger begegnen, sagt Sinisa Pavlovic, der stellvertretende Dienststellenleiter: «Wir hatten beispielsweise kürzlich den Fall einer Frau, die in einem Nagelstudio gearbeitet hat und einen schwedischen Pass hatte, obschon sie Vietnamesin war.» Grundsätzlich möglich, aber die Frau habe kein Wort Deutsch und auch kein Schwedisch gesprochen. Ihr Pass wurde an die Spezialisten der Kantonspolizei geschickt, die feststellten, dass dieser gefälscht war.

In Bern hat Alexander Ott einen Fachspezialisten für Ausweisprüfungen, der mit ihm den Grundkurs leitet: Steven Schaub. Auch er war früher Grenzwächter. Schaub sagt, die meisten Fälschungen seien einfach zu erkennen, da viele Fälscher auf Quantität und nicht auf Qualität setzten: «Heute kann man online ein ganzes Päckli bestellen: einen Fake-Pass, eine Fake-Identitätskarte und einen Fake-Führerausweis gibt es ab 300 Franken.» So könne man sich bei jeder Gelegenheit ausweisen.

Schaub erklärt im Kurs, woran man gefälschte Pässe oder Identitätskarten als Laie erkennt: «Die Schriftart stimmt oft nicht, auch die Schreibweise der Länder ist häufig falsch. Gross- und Kleinschreibung kann ebenfalls eine Rolle spielen.» Dann nimmt er eine UV-Licht-Lupe zur Hand und fährt über einen Pass. Das Papier leuchtet grell unter der Lupe. Ein klarer Hinweis auf eine Fälschung, sagt der Fachexperte: «Sicherheitspapier beginnt nicht einfach zu leuchten.» Auf einen Ausweis wurde plump «Security» gedruckt. Auch dieser wird unter dem UV-Licht endgültig entlarvt. Echte Pässe hätten ausserdem variable Elemente, die beispielsweise die Farbe wechselten, je nachdem, wie man sie ins Licht halte.

Schon mit Basiswissen könnten viele gefälschte Ausweise erkannt werden, sagt Schaub. Er suche nicht die Fehler auf den Ausweisen, sondern die weltweiten Standards, die auf falschen Dokumenten oft nicht vorhanden sind.

Zur Hilfe könne man auch einen speziellen Dokumenten-Scanner nehmen, der einerseits nach den Standards suche und andererseits die Informationen mit internationalen Datenbanken abgleiche. Doch nicht alle Ämter verfügten über ein solches Gerät, das wenige hundert Franken koste. Kleinere Gemeinden seien der Meinung, dass sich diese Investition nicht lohne, sagt Alexander Ott: «Unser Ziel ist deshalb, die Amtsmitarbeitenden zu sensibilisieren und möglichst vielen das technische und fachliche Know-how beizubringen.» Nur so könne der Missbrauch von Aufenthaltsbewilligungen verhindert werden.

Ausweis stimmt, aber Person nicht

Ein neues, grosses Problem sei ausserdem, dass Personen echte Ausweise vorzeigen würden, die ihnen aber gar nicht gehörten. «Hier wird es kompliziert», sagt der Fachspezialist Schaub, der schon Hunderte Identitätskarten und Pässe als Grenzwächter kontrolliert hat. Er zeigt ein Foto eines Mannes und den dazugehörigen Pass. «Die Ohren sehen gleich aus, aber die Nase irgendwie nicht», meint eine Kursteilnehmerin. Auch die Augenform des Mannes wird genaustens inspiziert.

Obschon kleinere Zweifel bestehen, einigt sich die Gruppe aus dem Kanton Schaffhausen darauf, dass es wohl derselbe Mann sei wie auf dem Ausweis. «Nein, es ist der Ausweis seines Bruders», sagt Schaub und löst den Fall auf. Der Mann sei mit einer Einreisesperre belegt worden und habe deshalb nicht den eigenen Ausweis mitgenommen. Misstrauisch seien die Grenzwächter nur geworden, weil er nervös gewesen sei und nicht genau habe sagen können, wohin er wolle.

Bei rund zwanzig Fällen müssen die Kursteilnehmer entscheiden, ob das Ausweisdokument zur entsprechenden Person gehört oder nicht. Haben die Personen viel ab- oder zugenommen, sind sie stark oder plötzlich gar nicht geschminkt oder haben Operationen im Gesicht vornehmen lassen, ist die Entscheidung schwierig. Auch veränderte Kamerawinkel und Lichtverhältnisse machen die Aufgabe nicht einfacher. Sinisa Pavlovic zieht ein positives Fazit des Kurses: «Ich bin überrascht, wie viel ich gelernt habe. Die vielen Tipps und Tricks werden wir gut umsetzen können.»

Schuldknechtschaft und Menschenhandel

Auch Ott und Schaub sind zufrieden. Jeder sensibilisierte Mitarbeitende helfe dabei, das Problem anzugehen. Denn es sei eng verbunden mit dem Thema Menschenhandel, das Ott seit über dreissig Jahren beschäftigt. In der Stadt Bern hat er Verbundskontrollen eingeführt, die schweizweit für Schlagzeilen sorgten. Die Fremdenpolizei kontrolliert Restaurants, Coiffeursalons oder Nagelstudios gemeinsam mit der Gewerbepolizei, der Arbeitsmarktkontrolle und der Steuerbehörde. Diverse andere Städte und Kantone wollen das System übernehmen, um gegen Schwarzarbeit und Menschenhandel vorzugehen.

Personen mit gefälschten Ausweisen sind für Ott ein Puzzleteil in diesem Kampf, denn sie gingen oft eine Schuldknechtschaft ein. Er kennt den Fall eines Mannes aus Bulgarien, dessen Haus zu einem so hohen Preis renoviert worden sei, dass er es nicht mehr habe bezahlen können. Die Gläubiger schlugen vor, er solle seine Tochter in die Schweiz schicken. Sie sei hübsch und könne hier als Prostituierte arbeiten. So könne er die Schulden abbezahlen. Sie gaben der Frau gefälschte Dokumente mit. Die Fremdenpolizei Bern erwischte sie.

Statt auszureisen, tauchen die Opfer oft unter. Denn in ihre Heimat können sie nicht, solange ihre Schuld besteht. Sie überleben im Untergrund nur mit Schwarzarbeit. In diesem Milieu habe man keine Rechte, sagt Ott: «Die Verletzlichkeit der Leute wird vollends ausgenutzt.» Für ihn ist deshalb klar, dass es nicht nur um gefälschte Ausweise geht. Er will verhindern, dass sich mafiöse oder Clan-ähnliche Strukturen bilden können. Mit den Verbundskontrollen und nun eben auch mit den Kursen für Amtsmitarbeitende: «Jeder Nadelstich hilft dabei, dass sich kein gefährliches Netzwerk in der Schweiz festsetzt.» Denn kein Mafiaboss oder Clan-Baron werde gerne gestört. Darauf setzt Ott.

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