Freitag, Februar 7

Seit 18 Jahren bereiten sich die baltischen Staaten auf den historischen Moment vor. Der Zeitpunkt der Abkopplung könnte nicht brisanter sein.

Die Leitungen sind schon seit drei Jahren tot. Seit die russischen Truppen im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierten, kaufen die baltischen Staaten keinen Strom mehr aus Russland oder Weissrussland. Estland, Lettland und Litauen hängen jedoch noch immer am russischen Brell-Stromnetz, mit dem sie seit der Sowjetzeit verbunden sind.

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Auch wenn in den letzten Jahren kein Strom mehr floss, war das Baltikum bei der Regelung der Frequenzen, beim Ausgleich und bei Notreserven von Russland abhängig. Am Samstag soll die Verbindung zur ehemaligen Besatzungsmacht endgültig gekappt werden. Der Zeitpunkt könnte kaum brisanter sein.

Keine Angst vor russischen Provokationen

In den letzten Monaten kam es im Nordosten Europas immer wieder zu seltsamen Zwischenfällen – zuletzt an Weihnachten, als in den Tiefen der Ostsee vier Datenkabel und die Stromleitung Estlink 2 beschädigt wurden. Estlink 2 transportiert Strom von Finnland nach Estland. Dass die Leitung nur wenige Wochen vor der Abkopplung mutmasslich vom Anker eines Schiffs der russischen Schattenflotte touchiert wurde, hält im Baltikum kaum jemand für keinen Zufall. Die finnische Polizei ermittelt wegen Sabotage.

Lettlands Präsident Edgars Rinkevics hält «Provokationen» am Wochenende für möglich. Die Sicherheitsbehörden seien in höchster Alarmbereitschaft, sagte er am Mittwoch an einer Medienkonferenz. In den drei Ländern sind neben der Polizei auch die Streitkräfte im Einsatz. Estlands Ministerpräsident Kristen Michal sagte bereits im Januar, dass niemand die baltischen Staaten daran hindern könne, sich vom russischen Stromnetz abzukoppeln.

Das Selbstbewusstsein rührt auch daher, dass die Balten gut vorbereitet sind. Die Abkopplung vom russischen und die Synchronisierung mit dem europäischen Stromnetz wird seit 18 Jahren geplant. Der litauische Präsident Gitanas Nauseda sagte am Donnerstag, dass an alle Eventualitäten gedacht worden sei. «Die Menschen werden es nicht spüren, weder in Bezug auf ihre Rechnungen noch auf etwaige Unannehmlichkeiten.» Für den Samstag und Sonntag gibt es ein genaues Drehbuch, falls der Plan scheitert, gibt es einen Reserveplan.

Gemeinden warnen vor Stromausfällen

Die Umstellung erfolgt in drei Schritten: Am Samstagmorgen kappen die baltischen Staaten zunächst alle verbliebenen Leitungen nach Russland, Weissrussland und in die russische Exklave Kaliningrad. Die Abkopplung beginnt in Litauen und endet in Estland. Danach operieren die baltischen Netze während etwa 24 Stunden im Inselbetrieb, bevor sie am Sonntagabend mit dem europäischen Netz zusammengeschaltet werden. Über Leitungen nach Polen, Finnland und Schweden wird das Baltikum dann mit der restlichen EU verbunden.

Während sich Politiker und Energieunternehmen zuversichtlich geben, warnen die Gemeinden vor einem Stromausfall. Riga ruft seine Bewohner dazu auf, die Smartphones aufzuladen und Autos vollzutanken. Und die estnische Hauptstadt Tallinn mahnt die Bevölkerung, sich darauf vorzubereiten, mindestens eine Woche ohne Strom, Wasser und Heizung auszukommen. Die Bevölkerung scheint die Empfehlungen ernst zu nehmen: In Estland stiegen in den letzten Wochen die Käufe von Generatoren sprunghaft an.

Wenn die heiklen 24 Stunden überstanden sind, wird sich die Sicherheit der Energieversorgung im Baltikum erhöhen – davon sind die Behörden in allen drei Ländern überzeugt. Russland gilt nicht erst seit seinem Einmarsch in die Ukraine als ein unberechenbarer Partner. Doch die Abkopplung von Russland ist nicht nur geopolitisch von Bedeutung. Es ist auch ein historischer Moment. Das Baltikum legt am Samstag die letzten Fesseln der Sowjetvergangenheit ab.

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