Dienstag, April 29

Leon de Winters «Stadt der Hunde» ist ein überambitionierter Text, der viel zu viel will und für seine Erzählsprünge kein passendes Mass findet.

Jaap Hollander hat es zu etwas gebracht. Aus einfachen Verhältnissen stammend, ist er nicht nur in seiner niederländischen Heimat zu einem der besten Neurochirurgen avanciert, und wann immer komplizierte Operationen anstehen, wendet man sich an ihn, den «Zauberer».

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Im Privatleben hingegen feiert er keine vergleichbaren Erfolge. Bevor von #MeToo die Rede ist, macht er sich nonchalant an Kolleginnen und Krankenschwestern heran. Dann wird eine von ihnen, Nicole, unverhofft schwanger. Die Affäre mündet zum Leidwesen von Jaap in einer Ehe, die er aber bald als derart «katastrophal» empfindet, dass auch die gemeinsame Tochter Lea die Scheidung nicht verhindern kann.

Verschollen in Israel

Leon de Winters «Stadt der Hunde» setzt mit einer gravierenden Zäsur im Leben der längst getrennten Eheleute ein: Die inzwischen achtzehnjährige Lea macht sich zusammen mit ihrem amerikanischen Freund nach Israel auf, um ihren jüdischen Wurzeln (die ihrem Vater immer herzlich gleichgültig waren) nachzuspüren.

Doch von ihrem Ausflug in die Negevwüste kehren die beiden nicht mehr zurück. Sie bleiben verschwunden, obwohl die israelischen Behörden alle Hebel in Bewegung setzen und Jaap sogar Rat bei einer Hellseherin sucht. Jahr für Jahr reist Jaap fortan für mehrere Wochen nach Tel Aviv, unfähig, den wahrscheinlichen Tod seiner Tochter zu akzeptieren.

Die Zeit vergeht, zumindest in diesem Roman, wie im Flug, denn nach einem Kapitel sind bereits zehn Jahre verstrichen. Gegen seinen Willen ist Jaap inzwischen in den Ruhestand verabschiedet worden. Er pflegt eine leidenschaftslose Beziehung zu Geertje, der Witwe seines ehemaligen Steuerberaters, renoviert sein Haus in Nordholland und unternimmt einen letzten Versuch, Lea aufzuspüren: Ein Geologenteam soll in einem höhlenreichen Krater, wo sich Lea und ihr Freund zuletzt wohl aufgehalten haben, keinen Stein auf dem anderen lassen. Das aufwendige Vorhaben hat aber einen stolzen Preis: drei Millionen Dollar.

Alles merkwürdig konstruiert

Leon de Winter ist ein versierter Romancier. Deshalb erstaunt es umso mehr, dass «Stadt der Hunde» ein so merkwürdig konstruierter Text ist, der von Kapitel zu Kapitel mehr aus dem Ruder läuft. Ist man anfangs verblüfft, dass die zehn Jahre von Leas Verschwinden schnöde, ja fast lieblos erzählt werden, so reibt man sich die Augen, als der Roman alsbald märchenhafte Züge annimmt.

Während Jaap noch mit dem federführenden Geologen verhandelt, bittet ihn der israelische Ministerpräsident höchstpersönlich zu sich, um ihn mit einer heiklen Mission zu beauftragen. Der saudische Prinz Faysal braucht Jaaps Hilfe, da dessen siebzehnjährige Tochter Noora an einer tiefliegenden «arteriovenösen Fehlbildung» im Gehirn leidet und Jaap – Ruhestand hin, Ruhestand her – weltweit der einzige Chirurg zu sein scheint, der als Operateur infrage kommt.

Jaap zögert eine Weile, zumal er erkennt, dass der Fall fast gänzlich hoffnungslos ist und er bei einem Fehlschlag seinen eigenen Tod fürchten muss. Das Honorar aus den saudischen Geldtöpfen von einer Milliarde Dollar ist freilich nicht übel – und gibt Jaap die Aussicht, wenigstens seine geologische Mission finanzieren zu können.

Es kommt, wie es – zumindest in diesem Roman – kommen muss: Noora wird auf dem Landweg von Riad nach Tel Aviv verbracht und unterzieht sich der zwölfstündigen Operation, die dank Jaaps genialer Fingerfertigkeit glückt. So rettet Jaap nicht nur das Leben der jungen Frau, sondern tut auch weltpolitisch einen Schritt «Richtung Frieden». Noora nämlich ist als künftige Herrscherin vorgesehen, und auch in Israel empfindet man das als Hoffnungssignal für den Nahen Osten.

Ein Wüstenhund namens Ibrahim

So weit, so unglaubwürdig, doch leider belässt es Leon de Winter nicht bei dieser OP mit Happy End. Er dreht das Rad seiner konfusen Geschichte unerschrocken weiter und macht aus dem Arzt Jaap einen Patienten. Auf dem Weg zu einem Rendez-vous mit einer befreundeten Kollegin tritt er mit seinen feinen italienischen Lederschuhen in Hundekot, gleitet aus, und bei der notwendigen Operation erkennt man einen übersehenen Tumor, der dafür verantwortlich ist, dass Jaap seit längerem an einer Schwäche der Gesichtserkennung leidet.

Die Operation scheint zu gelingen, doch die Nachwirkungen führen zu Halluzinationen, die nicht nur Geertje plötzlich als Veruntreuerin seines saudischen Geldes in ein schlechtes Licht rücken, sondern auch einen sprechenden Wüstenhund namens Ibrahim aufmarschieren lassen, der offenbar Wege weiss, Jaap zu seiner Tochter zu führen.

Sagen wir es offen: «Stadt der Hunde» ist ein überambitionierter Text, der viel zu viel will – am Ende spielen sogar die Hamas-Angriffe auf Israel vom Oktober 2023 eine Rolle – und für seine Erzählsprünge kein passendes Mass findet. Dass ein Teil dessen, was Jaap mit seinem Gefährten, dem klug parlierenden Hund, widerfährt, im Nachhinein zum Traumerlebnis erklärt wird, macht die Sache nicht besser. Nachgereichte Handlungsmotivationen dieser Art sind literarisch fast immer Notbehelfe, die keinen Leser befriedigen – auch nicht jene von Leon de Winters missglücktem Roman.

Leon de Winter: Stadt der Hunde. Roman. Diogenes-Verlag, Zürich 2025. 267 S., Fr. 36.90.

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