Montag, September 30

Ehemalige Mitarbeiter der Behörde wittern das grosse Geld. Nun mussten sie vor dem Richter antraben.

Mark Russi wittert das schnelle Geld. Doch die Machenschaften, auf die sich der ehemalige Mitarbeiter des Zürcher Strassenverkehrsamts einlässt, bringen ihm am Ende nichts als Ärger ein.

Russi und sein Kompagnon Ralf Bucher (beide Namen geändert) sind für eine der spektakulärsten Zürcher Bestechungsaffären der vergangenen Jahre verantwortlich. Sie schaffen es zusammen mit mehreren Mittätern, rund zwei Jahre lang als Mitarbeiter des Strassenverkehrsamts Fahrprüfungen zu manipulieren und damit viel Geld zu verdienen.

Die beiden Männer sind ein ungleiches Duo: Der 33-jährige Russi arbeitet als Verkehrsexperte beim Strassenverkehrsamt am Standort in Bassersdorf und hat ein Faible für Luxusautos. Der vier Jahre jüngere Bucher ist ausgebildeter Bodenleger und versucht sich daneben erfolglos als Geschäftsmann im Versicherungsbereich.

Im November 2021 fliegt die Sache auf. Als das Strassenverkehrsamt Unregelmässigkeiten feststellt, endet das Anstellungsverhältnis von Russi und zwei weiteren Mitarbeitern der Prüfstelle in Bassersdorf abrupt. Das Amt reicht Strafanzeige ein, die Staatsanwaltschaft eröffnet eine Untersuchung.

Experte: «Aber ich schaute immer auf die Verkehrssicherheit»

Am Dienstag, bald drei Jahre später, nimmt Russi im Saal des Bezirksgerichts Bülach Platz. Ein tätowierter Mann, der einen etwas abgekämpften Eindruck macht. Knapp drei Monate sass er wegen der Vorwürfe der Ermittler in Untersuchungshaft, bevor er im Herbst 2022 entlassen wurde.

Russi ist geständig, genau wie die Mittäter in dieser Bestechungsaffäre. Die Anklage kommt deshalb im abgekürzten Verfahren vor Gericht. Dieses muss den Urteilsvorschlag der Staatsanwaltschaft gutheissen.

Die Bestechungsaffäre beginnt im November 2019. Da fangen Russi und Bucher gemäss den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft mit ihrem illegalen Nebengeschäft an. Die Rollen sind klar verteilt: Bucher bringt die zahlungswilligen Kunden, Russi winkt diese an den Fahrprüfungen durch.

Es bleibt nicht bei einem Mal: Das Angebot spricht sich herum, vor allem unter jungen Migranten. Als Bindeglied fungieren dubiose Vermittler. Sie stellen den Kontakt zwischen den Migranten, die unbedingt einen Führerausweis wollen, und dem Duo her.

Regelmässig zahlen fortan junge Männer Geld fürs Wegschauen des Experten. Insgesamt 70 Fälle kann die Staatsanwaltschaft innerhalb von zwei Jahren nachweisen. Jedes Mal fliessen mindestens 1500 Franken. In einigen Fällen verlangen die Männer sogar Beträge bis zu 3500 Franken. Weshalb, geht nicht aus den Anklagen hervor. Davon profitieren vor allem Ralf Bucher und Mark Russi. Der Verkehrsexperte Russi erhält rund 35 000 Franken fürs Wegsehen.

Vor dem Bezirksgericht versucht Mark Russi zu erklären, weshalb er angefangen hat, Geld für sein Wohlwollen anzunehmen. Er sei damals irgendwie in die Sache reingerutscht, sagt er. Das Geld habe jeweils in einem Couvert auf dem Rad des Autos gelegen.

Der Richter fragt: «Denken Sie, das Geld hat Ihnen zugestanden, haben Sie es verdient?» «Nein», antwortet Russi. Verdient gewesen sei das Geld nicht.

Es sei um eine wohlwollende Prüfungsabnahme gegangen. Russi sagt: «Ein anderer Fahrschüler hatte das so nicht. Aber ich schaute immer auf die Verkehrssicherheit. Es fuhr niemand, der nicht fahren konnte.»

Der Richter fragt: «Was muss man unter wohlwollender Prüfungsabnahme verstehen?»

Die Masche, antwortet Russi, habe darin bestanden, «dass man wusste, wie die Strecke verläuft». Er habe zudem bei kleineren Schnitzern ein Auge zugedrückt. Damit gemeint sei zum Beispiel, wenn jemand vergessen habe, den Blinker zu setzen.

Richter: «Die faulen Äpfel müssten aussortiert werden»

Allein hätte das Duo das kriminelle System nicht aufziehen können. Dafür brauchen Russi und Bucher Helfer. Leute, die Zugang zum Computersystem des Amts haben. Denn wenn jemand sich für eine Fahrprüfung anmeldet, wird der Verkehrsexperte nach dem Zufallsprinzip zugeteilt. Um das System auszuhebeln, benötigen die Drahtzieher deshalb jemanden bei der Zulassungsstelle, der die fraglichen Prüfungstermine auf den richtigen Experten umdisponiert.

Zwei Mitarbeiter des Strassenverkehrsamts Bassersdorf erklären sich bereit dazu.

Der eine weist Russi 30 Fälle für die Abnahme der Prüfungen zu. Im Gegenzug erhält er von diesem insgesamt 10 000 Franken zugesteckt. Der andere bekommt für sein Tun 7000 Franken. So hält es die Staatsanwaltschaft in ihren Anklageschriften fest. «Mal gab es einen Hunderter, mal waren es zweihundert Franken», sagt einer der beiden Männer. Er steht zusammen mit Russi und einem dritten Mitarbeiter des Strassenverkehrsamts vor Gericht.

Dann sagt er: «Ich habe die Termine bewusst gebucht. Ich ging davon aus, dass Mark Russi Geld erhielt für sein Wohlwollen. Grundsätzlich wusste ich, dass es ohne mich nicht gegangen wäre.» Der andere involvierte Mitarbeiter sagt zum Richter, er habe gewusst, dass es «faule Prüfungen» seien. Am Anfang habe er keinen Vorteil gehabt, dann sei das Geld gekommen.

Das Gericht in Bülach folgt schliesslich den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Mark Russi wird zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten sowie einer Busse von 500 Franken verurteilt – wegen Bestechlichkeit. Zudem muss er eine Ersatzforderung von 4000 Franken an den Staat zahlen und die Verfahrenskosten übernehmen.

Die beiden Mittäter, die ihm im internen System die Fahrschüler zugeschanzt haben, werden beide mit einer zwölfmonatigen, bedingten Freiheitsstrafe bestraft. Auch sie müssen eine Ersatzforderung sowie die Verfahrenskosten übernehmen.

«Die Strafen sind relativ harsch», sagt der Richter bei seiner Urteilseröffnung. Doch es gehe um einen Fall, der in der Schweiz nicht passieren dürfte. «Es riecht ein bisschen nach Bananenrepublik. Es kann nicht sein, dass das Vertrauen in den Staat zerstört wird.» Darum gelte: «Wehret den Anfängen.» Die faulen Äpfel müssten aussortiert werden.

Russis Kompagnon Ralf Bucher ist bereits im Frühling per Strafbefehl verurteilt worden. Er hat wegen Bestechung eine bedingte Geldstrafe samt Ersatzforderung erhalten.

Die Staatsanwaltschaft schreibt in Buchers Strafbefehl, ihm sei bei den Zahlungen bewusst gewesen, dass ein Teil des Geldes jeweils dazu dienen werde, einen Verkehrsexperten für die beabsichtigten Abnahmen von Fahrprüfungen zu schmieren.

Weitere Mitarbeiter unter Verdacht

Ausgestanden ist die Affäre noch nicht. Mutmasslich bestechliche Mitarbeiter sind nämlich nicht nur am Standort in Bassersdorf aktiv gewesen. Auch die Abteilung Administrativmassnahmen ist in den Fokus der Ermittler geraten.

Diese Abteilung kümmert sich um die Abwicklung von Verstössen im Strassenverkehr. Etwa dann, wenn Autofahrerinnen und Autofahrern der Führerausweis entzogen wird, weil sie zu schnell oder alkoholisiert gefahren sind.

Dort führt die Zürcher Staatsanwaltschaft ebenfalls gegen mehrere Personen ein Strafverfahren, weil es zu Unregelmässigkeiten gekommen war. Unter den Verdächtigen befindet sich ein Mitarbeiter, der den Ermittlern bei einer fingierten Übergabe eines Couverts mit Bargeld ins Netz gegangen ist.

Der Vorwurf: Der Mann soll Geld für ein Entgegenkommen bei Fahrausweisentzügen verlangt haben. Die Untersuchung gegen ihn und weitere Involvierte läuft noch, der Mann arbeitet inzwischen aber nicht mehr bei der Behörde.

Urteile DH 240 025, DH 240 026 und DH 240 027 vom 27. 8. 24.

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