Als neues Mittel zur Stressreduktion wird das Nichtstun zelebriert. Das könnte einem beinahe vergessenen Möbelstück neuen Aufschwung verleihen.
Wie gut es doch tut, mal kurz die Beine zu strecken. Es muss gar kein Power-Nap sein, nur eine kurze Pause. Die Zeit rennt. Oder nein, wir rennen – die ganze Zeit. Als Folge der Digitalisierung hat sich der Alltag vieler beschleunigt. Nicht nur sind wir ständig über alles informiert, wir erledigen Dinge auch häufiger gleichzeitig. Wir chatten, während wir spazieren, telefonieren, während wir fahren, googeln, während wir warten. Keine Minute bleibt ungenutzt, keine Zeit wird verschwendet.
Dauernd «busy» zu sein, wurde zum Statussymbol. Doch es zeichnet sich eine Gegenbewegung ab: Zahlreiche Ratgeberbücher haben sich jüngst der Rehabilitierung der Pause verschrieben. In den Buchhandlungen liegen Titel wie «Nichts tun» von Jenny Odell oder «Pause!» von Andrea Gerk prominent platziert auf. Untätigkeit will gelernt sein, oder wie einst Algernon in Oscar Wildes Theaterstück «The Importance of Being Earnest» sagte: «Es ist furchtbar anstrengend, nichts zu tun.» Ein Möbelstück kann dabei helfen, diese schwierige Aufgabe zu meistern: das Daybed. Ruhebett heisst es auf Deutsch, was fast wie ein Befehl klingt, dabei ist es eher eine Einladung.
«Zum Ausspannen vorzüglich geeignet»
Vorläufer des Daybed war die Chaiselongue, die aus der Verschmelzung von Fauteuil und Fusshocker hervorging. Um 1900 hatte sie ihren festen Platz in Boudoirs und Lesezimmern. Das Daybed gleicht mehr einer Bank, ohne schräg angewinkeltes Kopfteil. Besonders in den zwanziger Jahren gehörte es in noblen Häusern zur Grundausstattung. Eng verbunden ist das Möbelstück mit der irischen Designerin und Architektin Eileen Gray; 1919 erhielt sie den Auftrag, die Pariser Wohnung von Madame Matthieu-Lévy zu entwerfen, Inhaberin eines berühmten Modesalons und schillernde Figur des Paris der zwanziger Jahre. Gray gestaltete eine prunkvolle Liege aus braunem Lack in geschwungener Form und spitz zulaufenden Enden. Sie nannte die Chaiselongue «Pirogue», «Kanu» auf Französisch.
Heute weitaus bekannter ist allerdings einer ihrer späteren Entwürfe aus dem Jahr 1925, den sie für ihre Villa E.1027 fertigte. Das Ruhebett aus einer reduzierten Stahlrohrkonstruktion betitelte sie schlicht mit «Day Bed». «Es bietet angenehmen Sitzkomfort und ist zudem zum Ausspannen vorzüglich geeignet», soll Gray in ihrer typisch pragmatischen Manier über das Design gesagt haben.
Das Daybed fördert das gepflegte Nichtstun. «Dolce far niente», wie es in Italien so schön heisst. Wenig überraschend findet man bei unseren Nachbarn im Süden auffallend viele Tagesliegen – sowohl für drinnen wie auch für draussen. Die Modelle sind oft grosszügig gepolstert. Der italienische Architekt Antonio Citterio nennt seine Chaiselongue für die Marke Flexform «Gregory XL», was vermutlich eine Anspielung auf das voluminöse Auflagekissen ist. Bei Minotti wird sie mit Daunen gefüttert und wahlweise mit Samt überzogen (Modell «Andersen Daybed» von Rodolfo Dordoni).
Bedingt bequem
In nördlicheren Gefilden sind die Tagesliegen für gewöhnlich 90 Zentimeter schmal und nur bedingt bequem. Wegweisend für die Form, wie wir sie heute kennen, war Mies van der Rohes «Barcelona»-Liege, die der deutsch-amerikanische Architekt 1930 vorstellte. Sie steht auf vier Chromstahlbeinen und verfügt über eine dünne, gesteppte Lederauflagematratze und eine Nackenrolle.
Diese schlichte Form haben viele Designerinnen und Designer beibehalten. Bei der dänischen Designmarke Frama besteht das Daybed aus einem einfachen, hölzernen Lattenrost auf vier Füssen und einer Auflagematratze. Verspielter zeigt sich der Entwurf der beiden Gestalterinnen Arianna Lelli Mami und Chiara Di Pinto von Studiopepe: Sie reihten für ihr Daybed «Five to Nine» für Tacchini mehrere Nackenrollen zu einer Matratze aneinander.
So zeitlos seine Form ist, so gegenwärtig ist die Funktion des Daybed. Es ist kein Sofa und auch kein Bett, bei dem es ums Einschlafen geht. Es ist zum Ausruhen da, zum Tagträumen, aber es eignet sich nicht, um den ganzen Tag im Pyjama vor sich hinzugammeln. Hier streckt man nur eben mal rasch die Beine aus – eine kurze Pause, so stilvoll wie in den goldenen zwanziger Jahren, als das Vergnügen an oberster Stelle stand.