Montag, November 25

In den letzten dreissig Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer immer weniger Alkohol konsumiert. Die Zahl der Menschen, die jeden Tag trinken, hat sich mehr als halbiert.

Am Mittagstisch fragt der Kellner: «Ein Gläschen Rotwein zum Essen?» Und meistens hört er folgende Antwort: «Nein, danke.» Die Schweizerinnen und Schweizer trinken seltener jeden Tag Alkohol. Das zeigen die am Dienstag veröffentlichten Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BfS). Dabei untersuchte das Amt Daten der vergangenen dreissig Jahre von 1992 bis 2022.

Die Trendwende ist eindrücklich: Immer weniger Personen gönnen sich jeden Tag mindestens eine Stange, ein Cüpli oder gar Heftigeres. Ihre Zahl hat sich mehr als halbiert. Von 20 Prozent im Jahr 1992 sank sie 2022 auf 9 Prozent. Bei den Männern verringerte sich die Quote markant von 30 auf 12, bei den Frauen von 12 auf 5 Prozent.

Alkohol ist toxisch

Die Stiftung Sucht Schweiz beobachtet diese Tendenz schon seit längerem. Ihr Mediensprecher Markus Meury bezeichnet sie als «sinnvoll für die Gesundheit». «Alkohol ist ein Zellgift, das wird oft vergessen.»

In den vergangenen Jahren hat sich die Forschung dazu intensiviert. Sie hat Mythen entkräftet und Sinne geschärft. Ein Tropfen Rotwein soll gut für den Kreislauf sein? Der Limoncello die Verdauung anregen? Mediziner weisen deutlich darauf hin, dass Alkohol toxisch, psychoaktiv und krebserregend wirkt. Mehr als zweihundert Erkrankungen können in Verbindung mit Alkohol stehen: Krebs, Leberschäden, Herz-Kreislauf-Probleme, um nur wenige zu nennen. Jedes Glas ist eigentlich eines zu viel. Deshalb sagt Meury von Sucht Schweiz: «Es ist wichtig, dass der Konsum jährlich zurückgeht.»

Generationen altern, Gewohnheiten ändern sich

Ein erster Schritt ist geschafft. Im Alltag der Schweizerinnen und Schweizer klirren die Gläser seltener. Meury erklärt sich die Trendwende mit dem Altern der Gesellschaft, dem Wegfallen von Ritualen, mit Familien-Usanzen, die sich verändern. Gerade auf dem Land hätten ältere Menschen die Gewohnheit, während der täglichen Mahlzeiten Wein oder Bier zu trinken. «Diese Generationen verschwinden langsam.» Andererseits sei man auch weniger als Familie oder in anderen Konstellationen beisammen bei Tisch. «Eine Destrukturierung findet statt», sagt Meury. Und letztlich ist das Gesundheitsbewusstsein gestiegen.

Zu einem allgemeinen Rückgang von Alkoholtrinkern hat es allerdings nicht geführt. Unverändert hoch blieb in den vergangenen dreissig Jahren der Anteil an Personen, die überhaupt Alkohol konsumieren: Das sind 83 Prozent der Schweizer Bevölkerung ab 15 Jahren. Dabei ist der Anteil an Männern grösser. Das BfS hat sich bei der Analyse auf die Zahlen der Schweizerischen Gesundheitsbefragung gestützt. Laut ihr trinken 87 Prozent der Männer Alkohol, bei den Frauen sind es 79 Prozent.

Der Konsum sei situativer und bedachter, sagt Meury von Sucht Schweiz. «In gewissen gesundheitsbewussten Kreisen wird genauer überlegt, ob man an einem bestimmten Anlass wirklich trinken will.» Aktionen wie der «Dry January», bei dem ab Neujahr für den ganzen Monat Januar auf Alkohol verzichtet wird, würden grossen Zuspruch erhalten.

Tägliches Trinken ist vor allem bei den älteren Jahrgängen ein Problem. Unter den Betroffenen handelt es sich zu 31 Prozent um Männer ab 65 Jahren. Mit zunehmendem Alter steigt aber auch bei den Frauen das tägliche Bedürfnis nach einem Gläschen Alkohol: Inzwischen trinkt jede siebte Frau im Rentenalter regelmässig. Gefährlich sei dies zusätzlich, weil ältere Menschen tendenziell auch mehr Medikamente einnähmen, sagt Meury. Es sei wichtig, dass die Ärzteschaft in diesem Punkt insistiere. Genauso wie bei den Schwangeren. Weiterhin kommen zahlreiche Kinder in der Schweiz mit Behinderungen zur Welt, die durch den Alkoholkonsum der werdenden Mutter verursacht sind. Hier sieht Sucht Schweiz Ansätze für mehr Präventionsarbeit.

Rauschtrinken nimmt bei Frauen stark zu

Ein weiterer Punkt liegt im Schutz der Jugendlichen. Sie sind übermässig durch Rauschtrinken gefährdet. Im Ausgang in der Gruppe fallen übermütig Hemmungen. Einige Westschweizer Kantone verbieten in Läden ab 20 oder 21 Uhr den Alkoholverkauf. Für die Jugendlichen ist somit billiger Alkohol weniger gut verfügbar. «Spitaleinlieferungen von jungen Menschen wegen Alkoholvergiftungen sind damit um einen Drittel zurückgegangen», sagt Meury, auch Gewalttaten im Zusammenhang mit Alkoholkonsum seien wahrscheinlich gesunken.

In der Schweiz ereignen sich pro Jahr rund 1500 alkoholbedingte Todesfälle, rund ein Viertel davon durch Unfälle, Gewalt, Suizid oder Alkoholvergiftungen im Zusammenhang mit übermässigem Trinken. Deshalb sagt Meury: «Es gibt noch weiteres Potenzial bei der Prävention, und die Kantone würden gut daran tun, solche Massnahmen zu unterstützen.»

Die jüngsten Zahlen zeigen den Handlungsbedarf. Rauschtrinken nimmt zu. 31 Prozent der 15- bis 24-jährigen Männer betrinken sich mindestens einmal pro Monat. Das BfS stellt fest, dass sich seit 2007 fast doppelt so viele Frauen bei einzelnen Gelegenheiten betrinken (Anstieg von 6 auf 11 Prozent). Bei den Männern ist der Anstieg geringer.

Beliebtester Alkohol ist Wein

Obwohl der Weinkonsum in den vergangenen dreissig Jahren abgenommen hat, bleibt der Wein das beliebteste alkoholische Getränk in der Schweiz. 49 Prozent der Personen konsumierten mindestens einmal wöchentlich Roten oder Weissen, es folgten Bier (38 Prozent) und Spirituosen (16 Prozent). Wein ist bei beiden Geschlechtern ungefähr gleich beliebt, das Bier mundet den Männern allerdings besser.

Die Daten zeigen ein weiteres Phänomen. Der allgemeine Konsum der Frauen nähert sich demjenigen der Männer an. Auch hier löst sich das Rollenbild auf – wie das Eis im Gin Tonic.

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