Dienstag, Oktober 8

Immer wieder gewinnen von KI generierte Bilder Fotowettbewerbe. Ein Fotograf hat nun zurückgeschlagen.

Auf den ersten Blick sieht das Foto eines Flamingos aus wie von einer künstlichen Intelligenz (KI) generiert. Zu sehen ist ein runder, rosa-oranger, flauschiger Ball aus Federn auf dünnen Stelzen. Wie so oft bei KI-Bildern fehlt ein Körperteil: der Kopf. Für einen Preis bei einem Wettbewerb für KI-Bilder reichte es trotzdem.

Doch «Flamingone», wie das Foto heisst, wurde nicht mit einem Textbefehl in einem KI-Bild-Generator kreiert, sondern ist das Werk des Fotografen Miles Astray. Er hat den Flamingo, der seinen Kopf unter den Federn versteckt, fotografiert.

Seit rund eineinhalb Jahren sorgen Bilder, die mithilfe von KI generiert werden, für Aufsehen. Nicht immer ist die künstliche Herkunft eines Bildes offensichtlich. Ein berühmtes Beispiel ist das von KI generierte Bild des Papstes in Daunenjacke. Ein weiteres Beispiel ist der deutsche Künstler, der im vergangenen Jahr mit einem KI-Bild einen der wichtigsten Fotopreise der Welt gewonnen hat.

Mit Deepfakes – täuschend echten, mit KI generierten Bildern oder Videos – wird versucht, politische Desinformation zu verbreiten oder Personen in kompromittierenden Situationen darzustellen. Ein Beispiel dafür ist das Bild der angeblichen Verhaftung von Donald Trump durch die New Yorker Polizei.

Fotografen und Vertreter anderer Kreativberufe befürchten, dass ihre Tätigkeit wegen KI obsolet werden könnte, denn die Bilder sehen immer realer aus.

Mit seinem Flamingo-Foto wollte Astray dem ein Zeichen der Hoffnung entgegensetzen. Er wollte beweisen, dass herkömmliche Fotografie ihre Relevanz nicht verloren hat.

Ein natürliches, surreales Foto

Nachdem von KI generierte Bilder echte Fotos bei mehreren Wettbewerben überstrahlt hatten, wuchs im 38-jährigen Astray der Wunsch, das Ganze umzudrehen. Sein Flamingo-Foto sei der ideale Kandidat dafür gewesen, schreibt Astray in einem Beitrag auf seiner Website: «Es ist eine surreale und fast unvorstellbare Aufnahme und doch völlig natürlich.»

Das Foto entstand an einem Strand auf der Karibikinsel Aruba, an dem Flamingos frei zwischen Menschen umherstreifen. Astray stand an einem sonnigen Tag um fünf Uhr auf, um Fotos der Flamingos ohne störende Touristen zu schiessen. Am Strand angekommen, entdeckte er ein besonders schönes Exemplar, das gerade sein Federkleid putzte. Der «sehr glückliche Schnappschuss» erwischte den Flamingo, als er gerade seinen Hals beugte, um sich mit seinem Schnabel zu kratzen.

Zwei Jahre lang studierte Astray an dem Foto herum, wie er der «Washington Post» erzählte. Er habe auf den richtigen Wettbewerb für seine kleine Protestaktion gewartet. Dann hätten Ende 2023 die Organisatoren des 1839 Awards’ Color Photography Contest angeklopft und ihn gefragt, ob er nicht teilnehmen wolle. In der Jury des Wettbewerbes sitzen unter anderem Branchenexperten vom Pariser Kunstmuseum Centre Pompidou, von der «New York Times» und Getty Images.

Tatsächlich gewann das Foto den dritten Platz in der Kategorie für KI-Bilder – und den Publikumspreis.

«Dass es von der Jury in die engere Auswahl gewählt wurde, war eine Überraschung, denn bei solch grossen Wettbewerben ist es immer ein bisschen eine Lotterie. Es gibt einfach so viele hervorragende Bilder im Wettbewerb», sagte Astray dem Fernsehsender CNN. Als Astray merkte, dass er tatsächlich eine Chance hatte, den Wettbewerb zu gewinnen, begann er, um Stimmen für sein Foto zu werben. «Aber ich hatte bis zum Schluss keine Ahnung, wie nah ich am Sieg dran war.»

Nach der Bekanntgabe der Gewinner machte Astray seine Irreführung öffentlich und informierte die Organisatoren. Er habe natürlich ethische Bedenken gehabt, die Jury und das Publikum zu täuschen, schreibt Astray auf seiner Website. Doch er habe gehofft, dass sein Anliegen, auf die Kraft von menschengemachten Inhalten hinzuweisen, diese Täuschung überwiege. «Was natürlich ironisch ist, weil es das ist, was KI tut», schreibt er.

Technologie an sich ist nicht gut oder schlecht

Die Debatte, ab wann ein Bild eine Täuschung ist, wird nicht erst seit KI geführt. Sie ist so alt wie die Fotografie. Schon in der Dunkelkammer war es möglich, Details zu verwischen oder Kontraste zu verstärken und so den Charakter einer Szene zu verändern. Mit der Digitalisierung in den 1990er Jahren wurde die Bildbearbeitung – Photoshop sei Dank – vereinfacht und zugänglicher gemacht. Schon damals hiess es, das «Ende des fotografischen Zeitalters» sei gekommen.

Mit dem rasanten Aufstieg generativer KI haben solche Rufe neuen Antrieb erhalten. Bewegen wir uns bald in einer virtuellen Welt, die nichts mehr mit der Realität zu tun hat und in der Maschinen uns die kreative Arbeit wegnehmen?

Astray gibt sich hoffnungsvoll. «Technologie an sich ist nicht von Natur aus gut oder schlecht», sagte er der «Washington Post». «Es kommt darauf an, wie wir sie anwenden, richtig?»

Es brauche eine Diskussion

Von KI generierte Bilder sind laut Astray jedoch kaum mehr von echter Fotografie unterscheidbar. Was sind die Auswirkungen und Fallstricke, die sich daraus ergeben? «Ich denke, das ist eine sehr wichtige Diskussion, die wir jetzt führen müssen», sagte Astray.

Die Jury hat Astray vom Wettbewerb im Anschluss an seine Beichte zwar ausgeschlossen. Man hege «keinen Groll» gegen ihn, teilte Lily Fierman, Direktorin der Organisation hinter dem Wettbewerb, mit. Gemeinsam wolle man nun einen Beitrag zum Thema veröffentlichen. «Wir hoffen, dass wir damit andere Fotografen erreichen (und ihnen Hoffnung geben) können, die sich Sorgen wegen KI machen», sagte Fierman.

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