Freitag, April 25

Ein neues Genre ist geboren. Nennen wir es Blood’n’Blues.

Was ist das für ein Film? Wie nennt sich so etwas – ein Country-Zombie-Movie? Bluegrass-Horror? Dem Regisseur Ryan Coogler gelingt mit «Sinners» das Kunststück, eine Geschichte über Folkmusik in ein Vampirgemetzel umschlagen zu lassen. Das Böse kommt hier mit dem Banjo. Vorschlag für die neue Genre-Bezeichnung: Blood’n’Blues.

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Es sind die frühen 1930er Jahre, Clarksdale, Mississippi: Verkörperung des Guten ist der Pastorensohn Sammie (Miles Caton). Ein «black kid», dessen liebster Besitz eine Gitarre ist, die von Charlie Patton persönlich stammen soll, der Ikone des Delta Blues. So zumindest haben es dem jungen Sammie seine Cousins erzählt, die Zwillinge Smoke und Stack (beide gespielt von Michael B. Jordan).

Diese sind zurückgekehrt aus Al-Capone-Chicago, wo sie sich einen Namen als Gangster gemacht haben. In Mississippi kaufen sie einem ekligen Ku-Klux-Klan-Boss eine alte Scheune ab, um einen «Juke Joint» zu eröffnen, eine Musikkneipe für Schwarze. Und Sammie soll zeigen, was für ein begnadeter Blues-Gitarrist in ihm steckt.

Das Problem ist: Der Junge ist zu gut. Gleich zu Beginn des Films hat eine Stimme aus dem Off davor gewarnt, dass es Musiker gäbe, die so talentiert seien, «dass sie den Schleier zwischen Leben und Tod durchstechen» würden. Ihre meisterlichen Klänge sollen die Kraft haben, die Geister der Vergangenheit und der Zukunft zu beschwören.

Dämonisches Country-Trio

Es kommt, wie es kommen muss. Am Abend der Eröffnung des Juke Joint klopfen, angelockt von der Musik, Untote an der Tür. Drei Weisse, die zunächst so tun, als wären sie ein freundliches Country-Trio. «Wir glauben an Musik und Gleichberechtigung», sagt der Banjospieler mit dem stechenden irischen Blick (Jack O’Connell). «Können wir nicht wenigstens für eine Nacht alle eine Familie sein?» Hinter dem antirassistischen Geschwätz steckt dämonische Hinterlist.

Offenbar dürsten die Weissen nach dem Blut der Schwarzen. In «Sinners» steckt ein Rassismusdrama. Aber ein komplexeres, als man auf den ersten Blick denken könnte. Denn wer zum Zombie wird, findet sich tatsächlich in einer gleichberechtigten Familie von Untoten. Die Gebissenen wollen dann den andern das Zombie-Wesen schmackhaft machen: Lohnt es sich, sich beissen zu lassen? Ist «Sinners» ein subversiver Film darüber, was man geben muss, um sich zu integrieren?

Oder handelt er von der Identitätspolitik, die sich antirassistisch gibt, aber eine Horde von hirntoten Mitläufern produziert? Ist es gleichzeitig nicht auch ein Film über kulturelle Aneignung, und die weissen Musiker wollen die schwarzen, die so viel talentierter sind, kreativ aussaugen?

Mit Knoblauch gegen die Vampire

Es lässt sich viel hineinlesen. Atypisch viel fürs amerikanische Gegenwartskino. Ryan Coogler schert sich nicht um Eindeutigkeiten. Der Genre-Mix ist das eine. Wie der Regisseur ihn dramaturgisch aufzieht, erstaunt auch. Bevor ein selbstironisches B-Movie daraus wird – inklusive Knoblauchzehen-Ausdrücken gegen die Vampire –, zieht sich die Geschichte gemächlich dahin. Nebenfiguren werden eher umständlich eingeführt, dem Cutter hat niemand Druck gemacht.

Offensichtlich durfte sich Coogler nach Grosserfolgen wie «Creed» und «Black Panther» alle Freiheiten herausnehmen. Eine gute Stunde lang liegt dieser Western auf der Lauer. Um nicht zu sagen: Er dümpelt dahin. Aber allzu schlimm ist das nicht, darin zeigt sich der Unterschied zu Netflix: Im Kino kann man nicht wegklicken, man bleibt sitzen. «Sinners» («deutscher» Titel: «Blood & Sinners») begeistert jedenfalls die Massen. Seit 2019 ist kein Film, der nicht auf einem Comic oder etwa einer Barbiepuppe basiert, erfolgreicher in den Kinos gestartet. Hollywood wird garantiert darauf aufbauen. Auf dieses neue Genre namens Blood’n’Blues.

Sinners | Official Trailer

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