Eren Güvercins neues Buch zeigt, wie die Ditib, der grösste deutsche Islam-Verband, mit Erdogans fundamentalistischer AKP verbandelt ist. Vorderhand ist der Verkauf gestoppt: wegen eines Plagiatsvorwurfs.
Es geschieht nicht oft, dass ein Verlag die Auslieferung eines Buches stoppt. C. H. Beck hat es Ende vergangener Woche getan. Der Münchner Verlag teilte den Medien mit, «Ditib und der ferngesteuerte Islam in Deutschland» des deutschen Journalisten und Buchautors Eren Güvercin werde aus dem Verkauf gezogen. Das Ende Januar erschienene Buch setzt sich kritisch mit der Ditib auseinander, dem grössten der in Deutschland tätigen Islam-Verbände, und zeigt dessen Verbindung zum türkischen Staat und Recep Tayyip Erdogans AKP auf.
Grund für den drastischen Schritt ist ein Plagiatsvorwurf. Der Verlag sei darauf hingewiesen worden, heisst es in der Mitteilung, dass ein Teil des Buches nicht auf Vorarbeiten des Autors beruhe, wie dieser behauptet habe, sondern auf einen anderen Autor zurückgehe. Güvercin hat in einer Anmerkung zu einem vier Seiten umfassenden Kapitel angegeben, der Inhalt stütze sich auf ein Referat, das er auf einer Konferenz gehalten habe. Tatsächlich stammen die dort angestellten Überlegungen über die Situation von Muslimen in Deutschland aus einem Vortrag des Soziologen Aydin Süer.
Güvercin räumt den Fehler ein. Er könne sich nicht erklären, wie es dazu gekommen sei, sagt er im Gespräch mit der NZZ. Er habe auf keinen Fall mit Absicht gehandelt. Das Ganze sei aus Unachtsamkeit geschehen, er bedaure es.
Antisemitische Ideologien
C. H. Beck hält fest, eine nicht kenntlich gemachte Übernahme von Texten Dritter entspreche nicht den Qualitätsansprüchen des Verlags. Vorerst ist das Buch auf der Website des Verlags nicht mehr zu finden. Ob es wieder in den Verkauf kommt, allenfalls mit geschwärzten Seiten, oder ob es ganz zurückgezogen wird, steht noch nicht fest. C. H. Beck will diese Woche darüber entscheiden.
Ein Plagiat ist keine Bagatelle, auch wenn es aus Fahrlässigkeit entstanden sein sollte. Güvercin hat seinem Buch und sich selbst geschadet. Und vor allem dem, was er im Buch zur Sprache bringt. Das Nachrichtenportal «IslamiQ», das der islamistischen Gemeinschaft Milli Görüs nahesteht, titelte «Skandal um ‹Islamexperten›» und stellte aufgrund des Verstosses gleich das ganze Buch unter Verdacht: Der Vorfall stelle die Glaubwürdigkeit von Güvercins Thesen infrage.
Das greift eindeutig zu kurz, zumal es in Güvercins Buch nicht in erster Linie um Thesen geht, sondern um Recherchen. Diese zeigen, dass die Muslim-Verbände, allen voran die türkische Ditib, die Hoffnungen, welche die deutsche Politik in sie setzt, nicht erfüllen. Sie sind nicht einfach Religionsgemeinschaften für deutsche Muslime, sondern Vertreter der Interessen jener Staaten, von denen sie finanziell abhängig sind: der Türkei oder Irans. Und sie verbreiten islamistische und oft auch offen antisemitische Ideologien.
Güvercin kennt das Milieu, das er beschreibt, sehr gut. Der in Köln Aufgewachsene ist gläubiger Muslim und ein scharfer Kritiker des politischen Islams. Mehrfach hat er sich in den vergangenen Jahren prononciert zu Wort gemeldet. Er begrüsste das Verbot des extremistischen Islamischen Zentrums Hamburg und rief die in Deutschland lebenden Muslime nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 auf, deutlich gegen den Terror der Hamas Stellung zu beziehen. Und er warnt immer wieder vor der Gefahr, die von radikalen islamischen Gruppierungen ausgeht – gerade auch für die integrierten Muslime.
Spionage in Moscheen
Im Buch «Ditib und der ferngesteuerte Islam in Deutschland» zeigt Güvercin auf, wie die Ditib, der neunhundert Moschee-Gemeinden in Deutschland angeschlossen sind, von der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet kontrolliert wird. Sie vertritt das politische Programm der radikalislamischen Regierungspartei AKP. Die Imame, die sie stellt, seien Beamte des türkischen Staates, schreibt Güvercin. Sie wollten nicht den Muslimen in Deutschland eine religiöse Heimat bieten, sondern ihnen den politischen Islam näherbringen, den Erdogan vertritt.
Als Beweis führt Güvercin Beispiele an, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen: Nach dem Putschversuch in der Türkei 2016 liess der türkische Staat in Deutschland Informationen über vermeintliche Anhänger der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen sammeln. Und zwar durch die Imame der Ditib, die gewissermassen zu inoffiziellen Mitarbeitern des türkischen Geheimdienstes wurden. Die Generalbundesanwaltschaft stellte die Ermittlungen im Fall ein. Die Vorwürfe hatten sich zwar bestätigt, doch die Beschuldigten setzten sich ins Ausland ab.
Vor gut einem Jahr hat die Ditib vom deutschen Staat die Aufgabe übernommen, die Imame für die Gemeinden in Deutschland auszubilden. Das wurde von der Regierung als «Meilenstein» gefeiert: Statt den aus der Türkei importierten Imamen seien nun keine verkappten Wahlkampfhelfer für Erdogan mehr in den Gemeinden tätig, sondern gut ausgebildete Geistliche. Tatsächlich, so zeigt Güvercin, werde nur rund ein Viertel der künftig in Deutschland tätigen Imame tatsächlich in Deutschland ausgebildet. Die meisten würden nach wie vor in der Türkei rekrutiert – und seien von der Diyanet geprägt.
Verlässliche Partner
Güvercin kritisiert, dass verschiedene Bundesländer mit der Ditib zusammenarbeiten. Für ihn ist klar, dass sie die Voraussetzungen nicht erfüllt, um vom Staat als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden. Er fordert eine «religionspolitische Zeitenwende». Eine Politik, welche die muslimischen Verbände und die muslimische Zivilgesellschaft in die Pflicht nehme.
Die deutschen Muslime, sagt Güvercin, dürften nicht zum Spielball der Interessen von islamistischen Staaten werden. Im Kampf gegen den Islamismus sei die Gesellschaft dringend auf verlässliche muslimische Partner angewiesen. Dafür brauche es eine selbstbestimmte deutsch-muslimische Religionsgemeinschaft. Keine intransparenten Verbände, die von Handlangern des türkischen Präsidenten gelenkt würden.
Güvercins Buch gilt der Ditib. Anderen Verbänden wie Milli Görüs oder der Atib stellt er allerdings auch kein besseres Zeugnis aus. Und auch dem Zentralrat der Muslime in Deutschland nicht. Tatsächlich vertritt der Zentralrat nicht einmal zwei Prozent der deutschen Moschee-Gemeinden. Und nach dem 7. Oktober 2023 wartete man vergeblich darauf, dass die Verantwortlichen das Massaker als Terrorakt verurteilten. Sie sprachen lieber nebulös von «Eskalation im Nahen Osten» und forderten scheinheilig, «dass alle Seiten jetzt die Kampfhandlungen sofort einstellen».