Justizminister Jans und der Gerichtspräsident Chaix loben den Rechtsstaat und blicken verstört ins Ausland. Derweil erinnert der Ständeratspräsident Caroni an kuriose Urteile – etwa zum Säntis.
Wenn für jung gebliebene Erwachsene 40 das neue 30 ist, dann darf auch das Bundesgericht sich jünger machen, als es eigentlich ist. Zumal ein paar Jahre bei dieser altehrwürdigen Institution noch weniger ins Gewicht fallen. 177-jährig ist das Bundesgericht eigentlich, so alt wie der Bundesstaat. Und doch feierte es am Donnerstagabend mit einem staatstragenden Festakt nur sein 150-Jahr-Jubiläum – denn erst 1875 wurde es zu einem ständigen Gericht, mit Sitz in Lausanne.
Davor hatten heute kaum vorstellbare Zustände geherrscht. «Man traf sich zum Rechtsprechen am häufigsten in Bern», sagte der Justizminister Beat Jans in seiner Festrede. «Das war praktisch, weil die meisten Richter auch National- oder Ständeräte waren.» Die Gewaltenteilung sei eher locker gehandhabt worden.
Infolge der Totalrevision der Verfassung von 1874 änderte sich das. Fortan durften Bundesrichter kein anderes öffentliches Amt mehr haben. Sie wurden Berufsrichter und erhielten zunehmend mehr Kompetenzen.
Jans feiert «150 Jahre Rechtssicherheit»
Schloss das Bundesgericht einst nur gut 600 Fälle im Jahr ab, waren es vergangenes Jahr 7350, mehr als zwölf Mal so viele. Das Bundesgericht ist zum vielbeschäftigten obersten Gericht der Schweiz geworden. Deshalb feierten die Spitzen von Staat und Justiz genaugenommen nicht 150 Jahre Bundesgericht, sondern, wie Beat Jans sagte, «150 Jahre Rechtsstaat und Rechtssicherheit».
Das wären vor ein paar Jahren noch banale, selbstverständliche Worte gewesen. Tempi passati. Mehrere Redner verwiesen mit Schrecken auf das Ausland. Wir lebten in einer Zeit, in der selbst in einigen westlichen Demokratien der Rechtsstaat als Erbe der Aufklärung infrage gestellt werde, sagte der Gerichtspräsident François Chaix, in offensichtlicher Anspielung auf die USA unter Präsident Donald Trump.
Chaix’ Rede geriet rollengemäss am stärksten staatspolitisch. Er erinnerte an die Aufklärer Montesquieu und Voltaire, sinnierte über die Inschrift «Lex, Justitia, Pax» am Hauptportal des Gerichtsgebäudes und leitete daraus den Arbeitsauftrag der Bundesrichter ab: «Gesetze anzuwenden, Recht zu sprechen, rechtlichen und sozialen Frieden zu gewährleisten und damit unsere Demokratie zu stärken.»
Riniker erinnert an erste Frau am Bundesgericht
Apropos Bundesrichter – die erste Frau wurde erst 1974 ans Bundesgericht gewählt. Margrith Bigler-Eggenberger blieb 17 Jahre lang die einzige Frau in Lausanne, wie die Nationalratspräsidentin Maja Riniker betonte. Erst 2021 bekam das Bundesgericht seine erste Präsidentin. Heute gibt es 15 Richterinnen im 40-köpfigen Kollegium.
Entertainer-Qualitäten bewies der Ständeratspräsident Andrea Caroni. Der Ausserrhoder erinnerte in seiner launigen Ansprache daran, dass die Innerrhoder zur Einführung des Frauenstimmrechts 1991 «eine freundliche Aufmunterung des Bundesgerichts abwarten wollten».
Caroni verwies auch darauf, dass das Bundesgericht 1956 entgegen dem Willen der Basler Behörden den ursprünglich männlichen italienischen Vornamen «Andrea» auch für Mädchen zuliess. Damit habe das Bundesgericht «also meiner persönlichen Marginalisierung den Boden bereitet», sagte Caroni.
Doch als Ausserrhoder ist Caroni dem Bundesgericht auch bis heute dankbar. Denn 1895 bestiegen drei Bundesrichter samt Sekretär den Säntis, um anschliessend zu urteilen: Der Gipfel gehört nicht nur St. Gallen und Appenzell Innerrhoden, sondern auch Appenzell Ausserrhoden. Das Bundesgericht, sagte Caroni, habe damit seinen Titel als «höchstes Gericht der Schweiz» mehr als verdient.