Dienstag, November 26

Mit einem neuen Album in der Hand versuchen Katy Perry, Nelly Furtado und Manu Chao nochmals Anschluss an die aktuelle Musikszene zu finden. Können sie mit jüngeren Generationen noch mithalten?

Die Öffentlichkeit hat einen Sinn für Abschiede. Mit feuchtem Blick schaut sie den Prominenten nach, wenn diese ihren Rücktritt aus dem Sport, den Verzicht auf ein Amt oder die Auflösung ihrer Band wortreich und tränenselig bekanntgegeben haben. Für einen Moment mögen ihre Schwanengesänge an den Lauf der Dinge und die Endlichkeit des Lebens erinnern. Bald aber werden die alten Stars in Vergessenheit geraten, weil am Himmel von Glamorama bereits die neuen glänzen.

Die Zeiten und Geschmäcke ändern sich rasch. Idole, die sich einmal ins Privatleben zurückgezogen haben, finden deshalb nicht leicht zurück an die Öffentlichkeit. Es sei denn, sie sorgen für ein nostalgisches Fieber. Oder sie melden sich mit neuer Mission zurück.

Die Gegenwart taumelt vor lauter Comebacks und Comeback-Versuchen. Einstige Fernsehstars wie Thomas Gottschalk oder Stefan Raab drängen auf die Bildschirme zurück. Champions wie der Skifahrer Marc Hirscher wollen sich mit der jüngeren Generation messen. Die Sex Pistols sind kürzlich live aufgetreten. Linkin Park sind mit einer neuen Sängerin zurück, und im Herbst erscheint nochmals ein Album der Gothic-Band The Cure. Ob im November dem amerikanischen Politiker Donald Trump eine Rückkehr gelingt, ist unklar.

Ein Faktum ist hingegen das Comeback der Band Oasis. Allein durch die Ankündigung einer Wiedervereinigung haben die Britpop-Machos im August für einen Hype in der Musikszene gesorgt, die sonst von Sängerinnen wie Taylor Swift, Beyoncé oder Charli XCX dominiert wird. «It’s A Woman’s World» singt Katy Perry entsprechend auf ihrem neuen Album «143». Damit hofft auch sie auf einen erfolgreichen Neustart und auf Anschluss an die weibliche Pop-Elite.

Fehlende Originalität

Sechzehn Jahre ist es her, seit die Amerikanerin mit «I Kissed a Girl» wenn nicht für einen Skandal, so jedenfalls für Furore gesorgt hat; und vor vier Jahren liess sie sich von den Fans noch für das Studioalbum «Smile» feiern. Der jetzige Comeback-Versuch hingegen ist ein Flop. Die Streaming- und Verkaufszahlen sind tief. Dass Perry auf Feminismus mache und sich doch als übersexualisierte Puppe in Szene setze, wird in den Social Media ebenso beanstandet wie ihre Zusammenarbeit mit Dr. Luke: Dem berühmt-berüchtigten Produzenten eilt der Ruf eines übergriffigen Unholds voraus.

Von der Pop-Kritik muss sich der Produzent ausserdem den Vorwurf gefallen lassen, der 39-jährigen Pop-Sängerin ein Repertoire aufgezwungen zu haben, das im Vergleich zur Konkurrenz zu wenig an Raffinement und Originalität zu bieten hat. Die monotone, industriell getaktete Musik taugt bestenfalls für den Dancefloor – um eine Party anzuheizen, bevor der richtige DJ kommt.

Auch Nelly Furtado, die gerade mit dem neuen Album «7» um Aufmerksamkeit wirbt, fällt das Comeback nicht leicht. Die portugiesisch-kanadische Sängerin wurde auf der Schwelle zum neuen Jahrtausend zum Pop-Star. Erste Hits wie «Turn off the Light» oder «I’m Like a Bird» setzten ich aus folkloristischen Gitarrenklängen und Trip-Hop-Anleihen zusammen. Wenig später überliess sich die Sängerin dann den Inspirationen des damals tonangebenden R’n’B-Produzenten Pharrell Williams, dem sie mitreissende Titel wie «Maneater» verdankte.

Nelly Furtado verfügt über eine charakteristische, schmeichlerische Stimme, die sie geschmeidig über fast jeden Beat legen kann. Umso mehr mag man sich fragen, was ihr künstlerisches Profil bestimmt und wie sich das in der gegenwärtigen Musikszene behaupten könnte.

Ein paar Songs, die die Sängerin zusammen mit Gästen wie dem südafrikanischen Rapper Blxckie oder den jungen kanadischen Produzenten Charlotte Day Wilson und Gray Hawken aufgenommen hat, versprühen zwar den Charme und die Wärme von Soul. Die meisten Titel aber kommen als maschinelle Pop-Vehikel daher, in denen sich Furtados Gesang wie ein Vokal-Sample ausnimmt.

Die 45-jährige Musikerin wurde einst durch die Musik der frühen nuller Jahre geprägt, ohne sich selbst stilistisch zu verwirklichen. Und so ist es kaum erstaunlich, dass sie auch der zeitgenössischen Musik keinen Stempel aufzudrücken vermag. Wenn sie sich heute in die aktuelle Pop-Szene zu mischen versucht, lässt das an Eltern denken, die etwas unbeholfen an der Fete ihrer Kinder antanzen.

Gefangen in Klischees

Manu Chao hat ganz andere Probleme: stilistische Manierismen, an denen er hängenbleibt wie eine Spinne im eigenen Netz. In den neunziger Jahren hatte der Franzose baskischer Abstammung mit seiner Band Mano Negra Punk mit Latin- und Reggae-Anklängen kombiniert. In der folgenden Dekade empfahl er sich mit freundlich-folkigem «Mestizo»-Pop als Hirte und Heiland freakiger Weltverbesserer. Er sang aber nicht nur für Friede und Gerechtigkeit, er unterstützte aktiv verschiedene soziale Projekte.

Jetzt will er sich mit «Viva tu», dem ersten Studioalbum seit siebzehn Jahren, nochmals als Star aufspielen. Er hätte es besser bleiben lassen. Denn wenn der 63-jährige Barde sein gereiftes Sein in das Image von einst zu pressen versucht, macht er sich zur Parodie seiner selbst. Auf dem neuen Album zeigt sich der verlebte Charmeur mit breitem, selbstgerechtem Lachen, das blutrote Hemd gibt den Blick frei auf das Perlengebimmel über der sonnengegerbten Brust. Wenn das Coverbild die Hinfälligkeit jugendlicher Romantik und rebellischer Träume illustriert, so ist das Album selbst parasitär Manu Chaos eigener Musik gegenüber.

Tatsächlich klingeln, bimmeln und plätschern die Gitarrensaiten auf «Viva tu» ähnlich wie früher in karibischen oder südamerikanischen Rhythmen. Der Gesang und die Texte nehmen sich unterdessen aber so unangenehm manieriert und banal aus, dass sie auch das alte Repertoire beeinträchtigen. Wenn man sich einstige Hits wie «Clandestino» (1998) wieder anhört, hört man jetzt schon die Tendenz zum Kitsch heraus, der die neuen Songs wie klebrige Fäulnis überzieht.

Materielle Nöte

Ach, die alten Stars! Die meisten würden sich besser auf ihren Lorbeeren ausruhen und von Nachruhm zehren, solange er ein paar Münzen abwirft. Aber in dieser Hinsicht haben sich die Verhältnisse eben seit langem verschlechtert. Es begann Ende der neunziger Jahre mit der Erfindung von MP3 und ersten Download-Plattformen wie Napster. Plötzlich konnten sich die Musikfans fast alle Alben gratis aus dem Internet herunterladen.

Der Plattenverkauf brach ein, die Musikindustrie erlebte eine Krise. Und die Musiker waren plötzlich wieder auf die Gagen von Konzerten angewiesen. Das führte zu einer ersten Comeback-Welle. Zahllose Rocker rauften sich zusammen, um ihre abgewrackten Bands nochmals auf Vordermann zu bringen.

Dank Streaming-Plattformen ist die Musikindustrie heute zwar wieder besser aufgestellt; die Major-Labels haben die Kontrolle über den Markt teilweise zurückgewonnen. Musikerinnen und Musiker hingegen verdienen mit Streaming kaum etwas, wenn es ihnen nicht gelingt, frische Luft in die Glut ihres Ruhms zu blasen. Durch wichtige Durchsagen von Comebacks und Welttourneen bringen sie sich zurück in Erinnerung, was über das Hörverhalten der Fans die Algorithmen auf Spotify oder Youtube triggert.

Musiker mit älteren Fans, die sich musikalisch kaum über Streaming-Dienste orientieren, müssen diese vor allem durch Konzerttourneen mobilisieren. Immerhin ist ein reiferes Publikum in der Regel zahlungskräftig und bereit, auch teurere Tickets zu berappen. Ein höheres Altersniveau also kann zum Faktor werden, der die Chancen auf ein lukratives Comeback begünstigt.

Die Pop-Musik hat sich über die Jahrzehnte in verschiedenste Stile verzweigt; gleichzeitig erfolgt die Wachablösung massgeblicher Künstlerinnen und Künstler sehr rasch. Erwachsene Musikhörerinnen und -hörer, beschäftigt mit Karriere und Kindern, verlieren leicht den Überblick. Umso grösser ist ihr Bedürfnis, die eigenen musikalischen Vorlieben nostalgisch zu verklären oder als Klassik zu institutionalisieren. Da die Fans höheren Alters indes einen proportional zur demografischen Entwicklung wachsenden Teil des Publikums bilden, ist die Musikindustrie darauf erpicht, dieses Segment gezielt mit Reunions, Reissues und Comebacks zu bedienen.

Musikalische Heldentaten

Und wenn die Gallagher-Brüder sich entschliessen, all ihren Streitigkeiten zum Trotz den Oasis-Karren nochmals auf die Bühne zu hieven, um nicht etwa ein neues Programm, sondern ein paar bewährte Schlachtrösser zum Besten zu geben, so wird das zur medialen Sensation hochgepuscht. Die Generation Golf feiert und fühlt sich nochmals jung. Die Reunion von Oasis ist das beste Beispiel eines erfolgreichen Comebacks – mit einem Minimum an künstlerischem Aufwand erregt es ein Maximum an Aufsehen.

Es gibt in der Geschichte der Pop-Musik aber Comebacks von geradezu heroischem Charakter, die den Künstlerinnen und Künstlern ein Optimum an Kreativität und Originalität abverlangt haben. Die Band Joy Division aus Manchester prägte in den späten siebziger Jahren den britischen Post-Punk durch die düsteren Imaginationen ihres an Depressionen leidenden Leaders Ian Curtis. Nachdem sich dieser 1980 das Leben genommen hatte, kam die Band nicht nur unter dem neuen Namen New Order zurück; sie spielte auch eine andere Musik – hedonistische Dance-Stücke wie im Hit «Blue Monday».

Tina Turner litt jahrelang unter der Knute ihres gewalttätigen Produzenten und Ehemanns Ike. Als sie ihn endlich verlassen hatte, galt ihre musikalische Karriere im Musikbusiness als zerstört. Dann aber gelang ihr dank einer eigenen Rezeptur aus Rock, Soul und Pop eine Solokarriere sondergleichen. Und schliesslich Johnny Cash: Als er in Nashville längst als verschroben galt und verbraucht wie ein abgehalfterter Gaul, holte ihn der Produzent Rick Rubin aus der Versenkung der Country-Szene ins Rampenlicht des Rock’n’Rolls. Und für ein junges Publikum sang der Kämpe nun von seinen Eindrücken angesichts des nahen Todes.

Bei Johnny Cash und Tina Turner wurde das Comeback zum Finale, sie haben damit ihre Karriere gekrönt. Das gelingt freilich nur wenigen. Aber es scheint, als sei die Qualität eines Comebacks ein verlässlicher Indikator für das künstlerische Niveau und die kulturelle Bedeutung eines Stars.

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