Forscher aus den USA bestätigen, dass in den ersten zwölf Monaten nach Covid-19 mehr medizinische Probleme auftreten. Dafür gibt es plausible Erklärungen.
Spätestens bis Sommer 2022 hatte das Coronavirus nahezu jeden erwischt. Dann kamen ein Herbst und ein Winter ohne Lockdowns, und gefühlt jagte eine Erkältung die andere. Bei Glühweinpartys oder Familientreffen war man sich schnell einig: Corona macht uns anfälliger. Doch harte wissenschaftliche Fakten, die all die persönlichen Erfahrungen untermauern konnten, haben gefehlt. Bis jetzt.
Wissenschafter der University of St. Louis bestätigen nun in einer Publikation im Fachmagazin «The Lancet Infectious Diseases»: Nach einer Corona-Infektion plagen die Betroffenen mehr Infekte.
Die Forscher haben zwei Gruppen miteinander verglichen: mehr als 230 000 Personen, die zwischen November 2021 und Dezember 2023 positiv auf Corona getestet worden waren, und mehr als 605 000 Personen, die im selben Zeitraum ein negatives Testergebnis erhielten. Bei allen wurden die Einträge in den Krankenakten zu weiteren Erkrankungen sowie Blut- oder Urinanalysen ausgewertet.
In den zwölf Monaten nach einer Corona-Infektion traten bei den Betroffenen mehr bakterielle und virale Infekte auf. Auch Pilzerkrankungen kamen in dieser Gruppe häufiger vor. Corona erhöhte die Wahrscheinlichkeit für weitere Infekte um 20 bis 50 Prozent. Zudem mussten die Menschen öfter ins Spital wegen einer schweren Erkrankung der Atemwege oder gar einer Blutvergiftung.
Allerdings wurden längst nicht alle Corona-Infizierten vermehrt von anderen Viren oder Bakterien geplagt. So kam es beispielsweise pro 10 000 Probanden mit einer Corona-Infektion ohne Spitalaufenthalt zu 525 Atemwegserkrankungen wie Lungenentzündungen und Bronchitis, bei der Kontrollgruppe hingegen zu 362. Eine zu Hause auskurierte Covid-19 hatte also 163 zusätzliche Atemwegserkrankungen ausgelöst. Musste die Person wegen Corona ins Spital, gab es sogar 448 zusätzliche Atemwegserkrankungen.
Die Unterschiede in den Gruppen mit und ohne Corona-Infektionen sind nicht mit dem immer wieder beschworenen Nachholeffekt erklärbar. Dieser besagt, dass nach den Lockdown-Phasen viele Menschen sich mit all den normalen Erregern ansteckten, die sie während der fehlenden sozialen Kontakte nicht bekommen konnten. Von diesem Nachholeffekt waren jedoch beide Gruppen der Studie gleichermassen betroffen.
Sprich, manche Erkältung im Winter 2022 war tatsächlich ein nachgeholter Infekt, weil man wieder mehr Leute und also auch mehr Viren traf. Aber wer zuvor eine Corona-Infektion durchgemacht hatte, der war anfälliger für weitere Ansteckungen.
«Sehr zuverlässige Studie»
Die Autoren schlossen durch weitere Analysen der Daten aus, dass die an Covid-19 Erkrankten häufiger zum Arzt gingen als die Probanden aus der Kontrollgruppe. Mehr Infektionen seien somit nicht wegen einer erhöhten Aufmerksamkeit oder mehr Ängsten seitens der Betroffenen entdeckt worden, schreiben sie. Ebenso hätten die medizinischen Akten keine Hinweise darauf geliefert, dass diejenigen mit Covid-19 vor der Pandemie generell kränker gewesen seien.
Die medizinischen Probleme hingen zudem nicht von der Schwere der Covid-19-Erkrankung ab. Denn sowohl jene mit einer im Spital behandelten Corona-Infektion als auch jene mit einer leichteren Version bekamen mehr Infekte oder mussten häufiger in eine Klinik. Die Forscher aus St. Louis haben ausserdem festgestellt, dass Spitalpatienten nach einer Corona-Infektion deutlich häufiger wegen einer Atemwegserkrankung oder einer Blutvergiftung erneut ins Krankenhaus mussten als die Patienten nach einer Influenzaerkrankung.
Alle präsentierten Analysen zeigen, dass das Coronavirus die Patienten schwächt. Die Autoren der Studie betonen, dass ihre Untersuchung wichtige Zusammenhänge aufzeige, aber keinen endgültigen Beweis dafür liefern könne, dass eine Corona-Infektion eine höhere Anfälligkeit verursache.
«Die neue Studie ist wirklich gut gemacht und sehr zuverlässig», sagt Bernd Salzberger, Arzt und langjähriger Leiter der Infektiologie am Universitätsklinikum Regensburg. «Sie liefert einen starken Beleg dafür, dass eine Corona-Infektion anfälliger macht.»
Die neue Datenanalyse hat allerdings auch einen Haken. Da die Ärzte nur Patientenakten der Gesundheitseinrichtungen und Spitäler für US-Veteranen ausgewertet haben, sind viele der Probanden ältere, weisse Männer. Somit ist nicht sicher, dass die Ergebnisse vollumfänglich auch für die Gesamtbevölkerung gelten.
«Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass auch jüngere Menschen durch eine Corona-Infektion anfälliger werden», sagt Salzberger. Aber der Effekt sei vermutlich weniger stark und halte auch nicht so lange an.
Mögliche Ursachen für eine Anfälligkeit
Warum Menschen nach Covid-19 tatsächlich anfälliger sind für andere Viren oder auch Bakterien, das kann derzeit niemand sicher sagen. Aber es gibt plausible Hinweise. Coronaviren hinterlassen in diversen Organen Schäden. Unter anderem werden die Schutzschichten in den Schleimhäuten löchriger. Zudem werde das Immunsystem durch das Coronavirus gestört, ergänzt Salzberger. Das alles erleichtert Erregern ein Eindringen in den Körper und erschwert ihre Bekämpfung.
Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Die Experten gehen davon aus, dass die Schäden bei den allermeisten Infizierten vorübergehend sind. Wir können also hoffen, dass wir Monate oder Jahre nach einer Corona-Infektion nicht mehr anfälliger sind.