Sonntag, Oktober 6

Die Designer Stefano Panterotto und Alexis Tourron verstehen Luxus als Performance. Gemeint ist: Nicht der Preis eines Produkts bestimmt seinen Wert, sondern wie lange es hält. Mit Vitra haben sie ein Sofa lanciert, das verschiedenste Lebenssituationen überdauern soll.

Wie werden wir in Zukunft wohnen? Es ist eine immerzu gestellte Frage, die Designschaffende beschäftigt, schliesslich steht die Branche nicht nur für die Gestaltung neuer Produkte, sondern viel mehr noch für das Lösen von Problemen. Zwei, die sich intensiv und immer wieder damit auseinandersetzen, sind Stefano Panterotto und Alexis Tourron. Gemeinsam betreiben sie in Lausanne das Designstudio Panter & Tourron; soeben haben sie mit dem Schweizer Möbelhersteller Vitra ein Sofa lanciert, bei dem es genau darum geht: die Ansprüche an das Zuhause von Morgen – und was das Sofa dabei für eine Rolle spielt.

Kennengelernt haben sich der in Italien geborene Stefano Panterotto (Jahrgang 1988) und der Franzose Alexis Tourron (1991) an der École cantonale d’art de Lausanne (Ecal), wo sie 2015 den Master of Advanced Studies in Design for Luxury and Craftmanship abgeschlossen haben. Luxus und Handwerk, damit sind in der Schweiz häufig Uhren gemeint, in Italien Lederwaren, in Frankreich Haute Couture. In diesen Feldern haben die beiden auch gestartet: «ganz klassisch», sagt Panterotto, man könnte aber auch sagen: hochkarätig. Der erste Auftrag kam von der Luxusmaison Hermès, für die sie 2016 den Lausanner Showroom gestalteten. Es folgten Projekte für die international renommierte Kunstgalerie Nov Gallery, die Uhrenmarke Hublot, später für die Modemarke Balenciaga.

«Was uns an den Projekten besonders fasziniert hat, sind die Arbeit mit diesen edlen Materialien und die High-End-Handwerkskunst, die in solchen Luxusgütern steckt», sagt Tourron. Doch ein Gefühl habe sie dabei stets begleitet: dass das hier nicht so ganz ihre Welt ist. «Wir fühlten keine Verbindung zur Luxuswelt», erzählt Panterotto im Gespräch.

Es ist der Punkt, an dem Virgil Abloh ins Spiel kommt. Der 2021 verstorbene Modedesigner «demokratisierte Luxus», wie es in der Branche gerne heisst. Man kann auch sagen: Er brachte die Streetwear ins Luxussegment, etwa mit seinem 2014 gegründeten Modelabel Off-White oder Design-Kooperationen mit Marken wie Nike, Ikea oder Evian. Auch Panterotto und Tourron verfolgten die Arbeit des Amerikaners intensiv. Er wurde zu einem Vorbild und öffnete ihnen gewissermassen eine Hintertür, die sie später wieder zurück zum Produktdesign brachte. Aber zuerst zog es die beiden selbst nach Amerika, genauer gesagt ins Zukunftslabor Silicon Valley.

Die Formel lautet: Luxus = Performance

Das Design Lab von Airbnb lud das Design-Duo zu einem Projekt ein, bei dem es um die Bebauung ungenutzter Hinterhöfe oder Gartenflächen ging. Ein Jahr verbrachten sie für «Samara Backyard» in San Francisco. «Uns führte dieses Projekt vor Augen, wo die Zukunft des Wohnens liegt», sagt Panterotto. «Wir leben in einer Individualgesellschaft, wir bewegen uns viel, ziehen häufiger um als früher, sei es für einen besseren Job oder um die Welt zu sehen.» Nur: Umziehen ist alles andere als nachhaltig, es verbraucht sowohl Geld als auch materielle Ressourcen. An diesem Punkt wollen die beiden ansetzen.

Ihre Formel lautet: Luxus = Performance. Im Design bestimme die Leistungsfähigkeit über die Kostbarkeit eines Produktes, sagt Alexis Tourron. Es gehe nicht darum, mit den wertvollsten Materialien zu arbeiten, «vielmehr bedeutet Luxus für uns, das Privileg zu haben, mit neusten Technologien und innovativen Materialien Produkte zu entwerfen». Dass ihre Vision nicht nur in der Theorie funktioniert, bewiesen die beiden mit ihrer ersten eigenen Möbelkollektion, «Tense». Anfänglich waren die Möbelstücke rein zur Präsentation gedacht, sie stellten sie an der Mailänder Möbelmesse Salone del Mobile 2019 vor, ohne das Vorhaben, sie seriell zu produzieren. «Uns ging es darum zu zeigen, wie Möbelstücke mit einem Minimum an Ressourcen gefertigt werden und Transportwege optimiert werden können, wenn die Produkte überall auf der Welt produziert werden können», erklärt Tourron.

Eine Kollektion, die ermöglicht, mobil zu bleiben. Nichts ist verklebt, alles ist demontierbar, und die Möbelstücke werden flach verpackt – selbst Holztisch und Sessel. Das Ergebnis weckte nicht nur das Interesse der Messebesuchenden, sondern auch das der Hersteller: Die dänische Marke New Works sicherte sich die Rechte an zwei Leuchten, die bis heute im Sortiment stehen.

Antworten auf Gesellschaftsphänomene

Es braucht ein Verständnis der Gesellschaft von heute, um zu begreifen, wie wir in Zukunft leben. Dafür sind die beiden Designer weit gereist, haben Abstecher in unterschiedliche Branchen gemacht und Experimente mit neuen Technologien gewagt – etwa die Lancierung des Spazier-Gadgets «Terra», das mehr Kompass als Karte ist und mittels künstlicher Intelligenz funktioniert. Das fördere die «geführte Unvorhersehbarkeit», wie Panterotto es nennt.

Nutzerinnen und Nutzer geben zum Beispiel an, in Paris einen «zweistündigen Marais-Bummel mit Patisserie-Besuch» machen zu wollen oder eine «Kyoto-Architektur-Tour, zurück um 16 Uhr». Die Richtung weisen einem eine Kompassnadel und einfache Symbole. Der ständige Blick aufs Gerät ist nicht mehr nötig. Die KI sorgt dafür, dass man sich nicht verläuft und am Ende wieder da anlangt, wo man gestartet ist.

Das Wander-Gadget «Terra» weist einem den Weg, ohne dass man ständig auf ein Gerät schauen muss.

Auch suchen die Designer immer wieder den Austausch, etwa mit ihrem Projekt «Diurno» am diesjährigen Salone del Mobile. Panterotto und Tourron erschufen eine Art Tageshotel, eine gemütliche Lobby, wo die Leute vorbeikommen und sich ausruhen konnten vom Messerummel ringsherum. Die beiden Hosts begrüssten die Leute vor Ort, so entstanden Dialoge und Netzwerke – «etwas, das heute immer seltener wird, spricht doch zum Beispiel im öffentlichen Verkehr kein Fremder mehr mit dem anderen», so Panterotto.

Panter & Tourron gestaltete die gesamte Installation «Diurno» samt Möbelstücken.

Was das Design-Duo aber besonders auszeichnet, ist sein reflektierter Umgang mit Kritik zur eigenen Arbeit. Auf die Frage, welche Produkte die Gesellschaft von heute brauche, antwortet Panterotto: «Nun, ich glaube nicht, dass wir irgendetwas benötigen. Wohl eher brauchen wir weniger.» Er sagt das nicht verbittert, aber mit einer Ernsthaftigkeit, die keinen Zweifel daran lässt, dass Nachhaltigkeit bei allen Überlegungen im Design-Prozess eine zentrale Rolle spielt. Er verspüre manchmal «eco-anxiety», sagt er, und schiebt gleich hinterher: «Aber für solche Gefühle habe ich den falschen Beruf gewählt, wir sind in einem System, in dem wir nur überleben, wenn wir etwas produzieren.» Was also ist die Lösung? «Was wir herstellen, muss besser oder, sagen wir, länger haltbar sein», sagt Tourron.

Keine Zeitgeist-Ästhetik

Mit dieser Idee haben sie die Zusammenarbeit mit Vitra gestartet. «Ich glaube, es ist das erste grosse Projekt, das von all diesen Überlegungen der letzten Jahre geprägt war und das die Aufmerksamkeit auf einen neuen Lebensstil lenkt», sagt Alexis Tourron über das neue Sofa «Anagram», das sie gemeinsam mit Vitra erstmals im Juni in Kopenhagen an den 3daysofdesign präsentierten und ab September erhältlich ist.

Zusammen mit Vitra lanciert Panter & Tourron das Sofa «Anagram».

Auf den ersten Blick sieht man dem Sofa nicht an, dass es für die Zukunft gebaut ist. «Die Form steht nicht im Vordergrund», sagt Stefano Panterotto. «Es geht um die Funktion.» Das klassische Design soll garantieren, dass das Sofa nach einem Umzug optisch auch noch in die neue Wohnung passt. Die Wandelbarkeit kommt durch die Modularität: «Anagram» lässt sich beliebig umstellen.

Der Entwurf ist also nicht nur eine Antwort darauf, dass wir öfter umziehen, sondern auch darauf, dass Wohnflächen tendenziell kleiner werden, es mehr Einzelhaushalte gibt, während gleichzeitig die Anzahl an Wohngemeinschaften wächst. «Diesen unterschiedlichen Strömungen wollen wir mit diesem Sofa gerecht werden», sagt Tourron. Ein Produkt, in dem viel Zeitgeist steckt, ohne dass es danach schreit.

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