Mittwoch, November 27

Die Schweiz und ihre Grenzen: Büsingen ist die einzige deutsche Exklave in der Schweiz. Für vieles braucht das Dorf eine Sonderlösung. Die mitunter kafkaesken Folgen spüren Behörden, Menschen, Vereine.

Im Restaurant Waldheim in Büsingen verläuft eine gestrichelte Linie quer über die Terrasse, es ist die Landesgrenze. Vera Schraner, die Bürgermeisterin, setzt sich auf der Schweizer Seite an einen Tisch und begrüsst den Wirt, der sich gerade schwertut mit den Unwägbarkeiten eines Gasthofs mitten im Grenzgebiet.

Der Wirt hat ein Problem mit dem Berufskraut, einer eingeschleppten Pflanze. Vera Schraner erklärt ihm, dass die Schweiz und Deutschland unterschiedlicher Meinung seien, wie invasiv das Berufskraut sei. Aber die Gemeinde kümmere sich, sagt sie.

Diese Szene an der gestrichelten Landesgrenze zeigt im Kleinen, womit die Gemeinde Büsingen im Grossen ringt. Büsingen am Hochrhein, in der Nähe von Schaffhausen gelegen, ist eine deutsche Gemeinde, wird aber gänzlich von der Schweiz umringt. Eine deutsche Insel in der Schweiz. Im Fachjargon: Exklave.

Und ja: Das ist manchmal schwierig.

Politisch gehört Büsingen zu Deutschland, wirtschaftlich zur Schweiz. Der Sonderstatus wird seit 1967 von einem Staatsvertrag geregelt, 24 Seiten sind es. Doch vieles handhabt die Gemeinde pragmatisch. Die Familien wählen selber, ob die Kinder die Oberstufe in Singen in Deutschland oder in Schaffhausen besuchen. Im Laden zahlt man mit Schweizerfranken, obwohl Euro die offizielle Währung ist. In der Postfiliale können die Einwohner Briefe mit dem Inlandtarif beider Länder verschicken. Büsingen hat zwei Postleitzahlen, D-78266 und CH-8238.

Die Bürgermeisterin Vera Schraner hat viele Sorgen, die ihre Amtskollegen nicht kennen. Man müsse kreativ und pragmatisch sein als Bürgermeisterin von Büsingen, sagt Vera Schraner, dann gebe es auch Lösungen. «Man braucht einen unbeugsamen Optimismus.»

Die unbeugsame Optimistin

Das Hauptproblem der Gemeinde sind die Kosten. Im Restaurant «Waldheim», dort, wo die Grenze die Terrasse quert, kostet das Schnitzel mit Pommes frites 31 Franken 50. Und nicht 15 Euro wie in Deutschland.

Das Leben in Büsingen ist ähnlich teuer wie in Schaffhausen oder Dörflingen. Aber die Steuern, die sind deutlich höher.

Dazu kommt: Die meisten Büsinger arbeiten in der Schweiz. Je stärker der Franken, desto höher ist ihr Einkommen in Euro – und desto mehr liefern sie dem deutschen Staat ab. Oder wie Vera Schraner sagt: «Mein eigener Lohn ist immer weniger wert.»

Die Folge ist, dass viele Einheimische in die Schweiz abwandern. Ohne neue Baugebiete, sagt Schraner, wäre Büsingen in den letzten zehn Jahren weiter geschrumpft. Der Altersdurchschnitt in der Gemeinde betrage 51,3 Jahre, es ist der zweithöchste im Bundesland Baden-Württemberg.

Die Gemeinde wehrt sich und kämpft. Sie verzichtet auf eine Grundsteuer auf Liegenschaften. Sie klopft regelmässig beim Finanzministerium an, um den Steuerfreibetrag zu erhöhen – Schraner war erst letzten Frühling deswegen in der Bundeshauptstadt Berlin. Und Büsingen unterhält einen Topf, um die «exklavenbedingten Lasten» abzufedern. Er speist sich aus der Rückerstattung der Mehrwertsteuer – in Büsingen gilt der tiefere Satz der Schweiz.

All das könne die Nachteile aber nur minim abfedern, sagt Vera Schraner. Am liebsten wäre es ihr, wenn die Büsinger, die in der Schweiz arbeiteten, in der Schweiz Steuern zahlen könnten. Doch das deutsche Finanzministerium stellt sich quer. Schraner sagt: «Dabei sind wir quasi ein Vorort von Schaffhausen.»

Der FC Büsingen wird gern übersehen

Ein Vorort von Schaffhausen! Heinz Wipf würde zustimmen. Wipf wohnt in ebendiesem Schaffhausen und ist Präsident des Fussballklubs Büsingen, eines Lokalvereins mit 300 Mitgliedern, 1924 gegründet, nächstes Wochenende feiert man den 100. Geburtstag.

Der FC Büsingen ist der einzige deutsche Verein in der Meisterschaft des Schweizerischen Fussballverbands, die erste Mannschaft spielt in der vierten Liga gegen die Teams aus den umliegenden Schweizer Dörfern. Seit 77 Jahren ist der FC Büsingen dem Fussballverband der Region Zürich angegliedert.

«FC Büsingen – einfach einzigartig», heisst es auf der Website des Vereins. Einzigartig sind auch seine Probleme. Zumindest für Aussenstehende. Denn für Büsingen sind sie: typisch.

Wipf, pensionierter Polizist, gutgelaunt und braungebrannt, steht auf dem Kirchberg, wie die Spielstätte des FC Büsingen genannt wird. Geranien zieren das moderne Klubhaus, der Kunstrasen gleisst in der Sonne, die Festbänke stehen bereit. Wipf sagt: «Früher hatten wir hier nur ein Hüttli und eine Ackerwiese.»

Um den Umbau der Anlage zu finanzieren, stellte der FC Büsingen ein Gesuch beim Deutschen Fussball-Bund. Wipf zückt ein Dokument aus einer Mappe, es ist die Traktandenliste des Weltfussballverbands Fifa. Unter Varia, Traktandum 13.3., steht: Der FC Büsingen beantragt, in den Deutschen Fussball-Bund aufgenommen zu werden. 2015 war das.

Absurd ist typisch für Büsingen

Der Sonderstatus von Büsingen wurde zur Chefsache. Doch just am grossen Tag wurden in Zürich mehrere ranghohe Fifa-Funktionäre verhaftet. Und der FC Büsingen ging einfach vergessen. Eine Aufnahme war nie mehr ein Thema.

Umgekehrt erhielt der FC Büsingen jahrelang finanzielle Unterstützung aus dem Schweizer Sportförderprogramm für Kinder und Jugendliche. Den Behörden in Bern war schlicht nicht aufgefallen, dass es sich um einen deutschen Verein handelt.

Vor zwei Jahren fiel der Irrtum auf – und das Bundesamt für Sport stoppte die Zahlung. Nun fehlt dem Verein jedes Jahr ein fünfstelliger Betrag in der Kasse, die Mitgliederbeiträge mussten erhöht werden. Der FC-Präsident Wipf sagt, gegen 80 Prozent der Junioren des FC Büsingen besässen einen Schweizer Pass. Und zwei Kilometer weiter links und rechts erhielten die Klubs für die gleiche Arbeit Geld. «Rechtlich ist der Fall klar. Aber das ist doch Bünzlitum.»

Büsingen hat den Sonderstatus akzeptiert

Je länger man in Büsingen unterwegs ist, kuriose Anekdoten hört, rot-weisse Fahnen in Gärten sieht, desto mehr fragt man sich: Wieso wechselt Büsingen nicht einfach in die Schweiz?

Die Bürgermeisterin Vera Schraner, verheiratet mit einem Schweizer und 25 Jahre in der Schweiz zu Hause, lacht und stellt die Gegenfrage: Wie sollte das gehen?

Dass Büsingen überhaupt zur Exklave wurde, ist den Launen der Geschichte geschuldet. Ein Streit im 18. Jahrhundert führte dazu, dass Schaffhausen die Pfandschaft über mehrere Dörfer in der Region verlor. Zum «ewigen Ärgernis» Schaffhausens sollte Büsingen österreichisch bleiben. Als die Habsburger die Nachbardörfer im 18. Jahrhundert an Zürich verkauften, wurde Büsingen zur Exklave. Mehrere Versuche, das Dorf der Schweiz einzugliedern, scheiterten.

Heute hat sich Büsingen mit seinem Sonderstatus arrangiert. Oder besser: Es arrangiert sich fortlaufend.

Vera Schraner, die unbeugsame Optimistin und oberste Verkäuferin des Orts, sagt, man müsse das Gesamtbild sehen. In Büsingen zahle man für die Kinderbetreuung einen Bruchteil der Kosten in der Schweiz. In Büsingen könne man sich noch ein eigenes Haus leisten, auch wenn man nicht Millionär sei. Und trotz allen Problemen: Der Staatsvertrag funktioniere im Grunde sehr gut. «Es ist wie ein Puzzle, und ich sehe es als meine Aufgabe, neue Teile zu finden, die das Bild verbessern.»

Ein solches Puzzleteil hat Vera Schraner auch für den FC Büsingen und die anderen Sportvereine im Dorf gefunden. Sie hat interveniert, und nun ist das Bundesamt für Sport gewillt, eine neue Regelung zu prüfen, damit der FC Büsingen wieder Fördergelder für die Jugendarbeit von der Schweiz beziehen könnte. Doch die Revision des entsprechenden Gesetzes wird frühestens 2028 umgesetzt.

Bis dahin springt die Gemeinde Büsingen ein. Vera Schraner verhandelt noch wegen der letzten Details mit dem Kanton Schaffhausen, damit auch dieser einen Teil beisteuert. Denn die Hälfte der Kinder in Büsinger Sportvereinen wohnen in der Schweiz.

Und so macht Vera Schraner weiter. Und bleibt optimistisch. Die Opferrolle bringe Büsingen nicht weiter, sagt sie und schnippt mit den Fingern in die Luft: Wer überhört werde, müsse halt auf sich aufmerksam machen.

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